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Sextipps aus den alten Schriften – kein muslimischer Gelehrter provoziert so wie er

Lieblingsfarbe Pink, Sextipps aus den alten Schriften: Kein muslimischer Gelehrter bricht mit mehr Rollenbildern als Ali Ghandour und dabei hält er sich noch für konservativ.
Heinrich Holtgreve/Ostkreuz
Ali Ghandour beantwortet gerne Fragen u00fcber den Islam - und ist dabei erstaunlich offen
Ali Ghandour entdeckte Sex, als er die Schriften eines muslimischen Gelehrten las.
Mitten in der Pubertät fand er in der Bibliothek seines Vaters ein Buch mit dem Titel "Die Rückkehr des Greises zur Potenz seiner Jugendzeiten" von Imam Ibn Kamal Pascha. Heimlich begann der Junge zu lesen, und er war schockiert. In intimen Details beschrieb der Imam die Körper von Mann und Frau und erzählte lustvolle Geschichten von Herrschern, Gottesdienerinnen und Prostituierten.

Die islamische Version des Kamasutra beschreibt 140 Sexpositionen, das indische nur 64. Für Ghandour beweisen solche Werke, dass der Islam eben keine lange Tradition der Sexualfeindlichkeit hat

Heute ist Ali Ghandour 33 Jahre alt und selbst islamischer Gelehrter. Den Moment, in dem der Imam ihn aufklärte, beschreibt er in seinem eigenen Buch als Schlüsselerlebnis: Wie kann es sein, dass Sex heute im Islam tabuisiert wird, obwohl traditionelle Religionsgelehrte um das Jahr 1500 völlig frei davon erzählten? Diese Frage trieb ihn damals um, heute beschäftigt sie ihn sogar als Forscher, sein Buch heißt: "Lust & Gunst: Sex und Erotik bei den muslimischen Gelehrten".
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Ali Ghandour macht den Islam bunter

Ghandour gehört zu einer neuen Generation von Wissenschaftlern, die eine eigene Art islamischen Denkens etablieren wollen. Er ist bekannt dafür, dass er gegen den extremistischen Islam kämpft und zugleich gegen die Engstirnigkeit vieler Gläubiger. Den Muslimen in Deutschland will er zeigen: Du kannst bunt leben und trotzdem ein guter Muslim sein.

Gelobt sei Der, Der die Frau mit Klitorisvorhaut und Gesäß verschönerte.

Imam as-Suyuti (16. Jahrhundert)
Als Ghandour im Café in Hamburg sein Handy neben sich auf den Tisch legt, lacht er. "Nicht vor der Hülle erschrecken!" Sie ist weiß mit rosa Blüten. "Ich mag Rosa einfach", sagt er. "Lange habe ich das nicht gezeigt. Und warum? Weil Rosa angeblich eine weibliche Farbe ist. Jetzt verstecke ich das nicht mehr."
Wenn er auf seinem Youtube-Kanal über islamische Rechtsfragen oder Mystik referiert, trägt er manchmal ein rotes Band im Haar oder ein Hemd mit pinken Blumen. Oder sein grünes T-Shirt mit der Figur Hello Kitty, die einen Fes auf dem Kopf hat, den traditionellen arabischen Hut. Widersprüche zu verbinden, dafür steht Ali Ghandour. Wenn man ihn besser kennenlernt, bekommt man sogar das Gefühl, dass er Gegensätze vollständig auflöst. Was wie eine Provokation wirken mag, ist für ihn gar keine. Er sehe sich nicht als Reformer, sagt er, sondern stehe für einen traditionellen Islam. Der sei nur eben offener und toleranter, als man denkt.

Der schamloseste Sex ist der köstlichste.

Ibn Sirin (11. Jahrhundert)
In seinem leicht arabisch gefärbten Deutsch spricht er über die Sexualmoral muslimischer Gelehrter im Mittelalter und ihre erotischen Gedichte. Einige gaben konkrete Ratschläge, wie man eine Frau befriedigt. Ghandour zitiert aus Werken wie "Die Feinheiten der Erotik" oder "Die kostbaren Perlen in den Eigenschaften der fettleibigen Frau". Geschrieben hat diese Texte Imam as-Suyuti, ein Universalgelehrter aus dem 15. Jahrhundert und Autor einiger Standardwerke zur Koranwissenschaft. Und er war bei Weitem nicht der Einzige, der solche Texte veröffentlichte: Ghandour erzählt, es gebe sogar eine islamische Version des Kamasutra, und zwar mit 140 Sexpositionen das indische beschreibt nur 64. Für ihn beweisen diese Werke, dass die heutige Prüderie vieler Muslime eben keiner langen Tradition der Sexualfeindlichkeit folgt.
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Warum ist der Islam so prüde?

Dass Erotik heute im Islam ein Tabu ist, könnte mit der Geschichte zusammenhängen, vermutet Ghandour. Zur Kolonialzeit stellten die imperialistischen Mächte den Orient als verkommenen Ort dar. Das Bild vom Araber, der keinen Anstand hat und sich ausgiebig mit seinem Harem vergnügt, blieb über Jahre bestehen. Später hätten sich viele Muslime davon distanzieren wollen, sagt Ghandour. Falls er richtig liegt, hat der Westen sogar zur Prüderie des Islams beigetragen.

O Allah, stärke meinen Penis, denn darin liegt die Zufriedenheit meiner Gemahlin.

Sa'id b. al-Musayyib (11. Jahrhundert)
Wie Ghandour den Islam versteht, hat viel mit seiner Herkunft zu tun. Geboren wurde er in Casablanca. Seine Eltern, beide Anwälte und aktiv in der marokkanischen Studentenbewegung der Siebzigerjahre, ließen ihm als Kind viel Freiheit. "Was meine Eltern mir mitgegeben haben, ist, alles zu hinterfragen." Er wuchs mit Menschen auf, die verschiedenen Religionen angehörten, seine Nachbarn etwa waren jüdisch.
Der Islam interessierte ihn lange nicht besonders, als Jugendlicher hörte er Death Metal und Michael Jackson und wollte Filme machen. Erst als er zum Studium nach Deutschland kam, stellte er sich die für ihn existenziellen Fragen: Warum bin ich Muslim? Und warum ist der Islam heutzutage so prüde? Daraufhin begann er, Arabistik und Islamwissenschaften zu studieren.
Kurz fühlte er sich sogar selbst zum Salafismus hingezogen, einer modernen islamischen Strömung, die im 18. Jahrhundert entstand. Bald empfand er die jedoch als absurd: Für den Salafismus gibt es nur einen richtigen Weg, den Islam zu interpretieren, eine eindeutige Wahrheit. Wie sollte das in unserer vielfältigen Welt möglich sein?, fragte Ghandour sich. Die traditionellen Strömungen, findet er, akzeptieren viele Zugänge zum Islam. Seitdem engagiert sich Ghandour für dieses Islamverständnis, ein tolerantes Gegenbild zum Salafismus.
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Heinrich Holtgreve/Ostkreuz
Ali Ghandour, 33, lehrt Islamische Theologie an der Universitu00e4t Mu00fcnster
Im Café in Hamburg zupft Ghandour an seinem Bart, während er lange über die Antworten nachdenkt. Zwei Tische weiter sitzt ein Mann um die 50, der immer wieder interessiert herübersieht. Vielleicht sind die Worte "Islam" und "Sex" etwas zu oft gefallen. Ghandour bemerkt die Blicke gar nicht. Er ist es gewohnt, dass die Menschen auf ihn reagieren. Sein Buch empfanden viele Muslime als Befreiung, nur wenige fühlten sich provoziert. Einer zum Beispiel warf ihm auf Facebook vor, er habe eine muslimische Version von "Fifty Shades of Grey" geschaffen.

Mit Cartoons gegen den Islamischen Staat

Dass Ghandour für seine Äußerungen zu Sex kaum kritisiert wurde, mag daran liegen, dass er sich auf alte Traditionen beruft. Heftiger sind die Kommentare zu den Cartoons, die er, bekennender "South Park"-Fan, auf Youtube veröffentlicht. "Museltoonz" hat er die Serie genannt, in der er sich über den IS lustig macht. In einer Folge geht es darum, wie IS-Anhänger in Deutschland Mitstreiter rekrutieren.
Der Protagonist heißt Abu Aggro, mit seinen tiefen Augenringen, den zusammengewucherten Augenbrauen und dem struppigen Bart wirkt er finster. Im Film drangsaliert er einen Jungen, der offenbar zum Islam konvertiert ist, und fordert ihn auf, sich dem IS anzuschließen. Während er vom Leben als Kämpfer schwärmt, zeigt der Cartoon Bilder des vermeintlichen Abenteuers: Zelte in der Wüste, Schießübungen, Explosionen. "Das ist wie 'Call of Duty', nur in echt und dazu schöne scharfe Bräute, Brudi", verspricht Abu Aggro. Ghandour zieht das "Bruder"-Getue der Extremisten ins Lächerliche. Am Ende taucht er selbst in Form eines erklärenden Cartoon-Alis auf und wendet sich an den Konvertiten. Er zerlegt die ISSlogans und ihren Anspruch, als Einzige den wahren Islam zu leben.
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Stets taucht er mit Klarnamen auf, oft bekommt er Tausende Klicks und etliche Kommentare. Viele unterstützen ihn, viele hassen ihn. Als Ghandour auf seinem Blog einen Artikel postete, der das Konzept des Kalifats hinterfragt, explodierte seine Inbox. Auch auf seinem Facebook-Account ist regelmäßig die Hölle los. Ghandour bleibt gelassen, auf Facebook schrieb er: "Wer nicht über sich selbst lachen kann, der nimmt das Leben nicht ernst genug." Obwohl einige Satiriker, die den IS veralbern, bedroht werden, wirkt er sorglos.
"Das Leben ist wie eine Imagination Gottes. Was passieren soll, passiert." Mit dieser Haltung ist er zu einer Instanz geworden. Von vielen muslimischen Jugendlichen bekommt er Mails, sie suchen seinen Rat. Inzwischen tun das ganze Gemeinden.

Ali Ghandour vermittelt einen offenen Islam

Im Hamburger Stadtteil Billstedt steigt Ali Ghandour aus der U-Bahn in einen grauen Nachmittag. Er ist auf dem Weg in die Ibrahim-Khalil-Moschee. Seit acht Monaten unterrichtet er jede Woche dort. Mit seinen Schülern diskutiert er, was das Wort "Ungläubiger" bedeutet oder wie Gebetsvorschriften zu verstehen sind. So will er auch den Jugendlichen vermitteln, wie offen der traditionelle Islam in Wirklichkeit ist. Dass er hier unterrichtet, hat eine Vorgeschichte: Im vergangenen Jahr reiste ein Mädchen, das auch diese Moschee besuchte, nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen. Ihr Vater nahm sich daraufhin das Leben. Die Muslime in Hamburg wollen vermeiden, dass so etwas noch einmal vorkommt. Deshalb baten sie Ghandour, regelmäßig mit ihren Kindern zu sprechen vielleicht würden sie ja auf ihn hören, seine Cartoons mögen sie schließlich auch.

Ich blickte ein Umfangen, ein Liebkosen, ein Saugen vom Mundnektar und eine leidenschaftliche Umarmung. Eloquent ist ihre Verspieltheit und verehrt ist ihre Gewagtheit.

Muyhi ad-Din Ibn al-Arabi (13. Jahrhundert)
In einem der Gebetsräume der Moschee hat Ghandour sich an seinen Schreibtisch gesetzt. Die acht Schüler sind etwa zwischen 20 und 30, darunter mehrere, die zum Islam konvertiert sind. Heute geht es um Essensvorschriften, halal ist nicht gleich halal es gebe eine Vielfalt an Meinungen, und diese Vielfalt lehne der Islam nicht ab, so Ghandour. Ein blonder Mann in der ersten Reihe, mit grüner Gebetskappe auf dem Kopf, lauscht ehrfürchtig. Eine Frau in grauem Wollkleid und mit einem elegant gebundenen Kopftuch verteilt Trockenpflaumen. Die Atmosphäre ist locker, doch man merkt, Ali Ghandour ist es ernst. Er räuspert sich, trommelt mit den Fingern auf seinen Schreibtisch, als zwei der Frauen anfangen zu tuscheln. Wenig später verstummen alle Nebengeräusche. Ali diskutiert mit der Schülerin, die vorher Pflaumen verteilt hat. Die Muslime sollten konservativer sein, sagt sie, strenger, sich mehr an die Regeln halten, so wie früher.
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IS-Aussteiger zitiert Ali Ghandour

Ghandour erwidert: "Die muslimische Gemeinschaft hat es in diesem Idealzustand nie gegeben. Der Mensch ist immer Mensch, er ist nie perfekt." Seine schmalen Hände folgen seinen Worten. Aus einer Ecke ertönt zustimmendes Gemurmel.
Ghandour schließt den Unterricht ab, trägt die Stühle und Tische zurück an ihre Plätze. Danach steht er noch lange mit seinen Schülern draußen vor der Moschee. Inzwischen ist es stockdunkel. Die Schüler fragen unbefangen, er antwortet offen. Einer bemerkt anerkennend: "Es gibt noch andere, die in Hamburg unterrichten. Aber der Ali, der weiß am meisten."
Musa Schmitz ist einer der bekanntesten Aussteiger aus dem Salafismus. In den vergangenen Monaten ging seine Geschichte durch die Medien. In einem Interview für die Bundeszentrale für politische Bildung erwähnte der Aussteiger Ali Ghandour. Eine seiner Predigten sei es gewesen, die ihn zum Nachdenken gebracht habe. Ihm sei bewusst geworden, dass es nicht nur einen Weg gibt, den Islam zu leben, erzählte Musa Schmitz. "Der Islam ist nicht nur so, sondern auch so." Eine fast schon wörtliche Auslegung des muslimischen Gelehrten Ali Ghandour.
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