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Netflix’ Inventing Anna: Ein oberflächliches Girlboss-Märchen

Foto: bereitgestellt von Netflix.
Was bekommst du, wenn du einen viralen New-York-Magazine-Artikel mit einer Shonda-Rhimes-Netflix-Produktion, Ozark-Star Julia Garner und einer Charakterstudie einer der berühmtesten Betrügerinnen kreuzt, die New Yorks Elite um Hunderttausende von Dollar beraubte? Vermutlich erwartest du von dieser Kombination etwas fast schon Magisches, Faszinierendes. Das echte Ergebnis ist ein kitschiges Drama à la Gossip Girl voller edler Aufnahmen der New Yorker Skyline, innen aber völlig leer.
Keine Frage: Die Story ist spannend und kommt genau zur richtigen Zeit. Unsere Faszination für das True-Crime-Untergenre von Betrugsstorys wie dieser erreicht gerade ihren Höhepunkt; die Netflix-Doku Der Tinder-Schwindlertrendet in den sozialen Netzwerken, und es stehen nicht bloß eine, sondern gleich zwei Hollywoodproduktionen zur Geschichte der Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes in den Startlöchern. 
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In Inventing Anna geht es um die schockierende, aber wahre Story von Anna Delvey, die die New Yorker High Society davon überzeugte, sie sei eine millionenschwere deutsche Erbin – obwohl sie in Wahrheit Anna Sorokin hieß, aus Russland stammte und alles andere als reich war. Ihr gelang es, wohlhabende Kunsthändler:innen, Privatjet-Vermietungen und Manhattans Luxushotels zu beschwindeln und schaffte es beinahe, einen Hedgefonds dazu zu bringen, ihr 25 Millionen Dollar zu „leihen“, um damit einen doppelt so kostspieligen Club zu eröffnen. 
Foto: bereitgestellt von Netflix.
2017 wurde sie schließlich verhaftet, und die dramatische, neun Episoden lange Netflix-Serie folgt den Bemühungen der Journalistin Jessica Pressler, die 2018 für ihren New-York-Magazine-Artikel „How Anna Delvey Tricked New York’s Party People“ herausfand, wie und wieso Delvey das alles getan hatte. In der Serie versucht die Journalistin Vivian Kent (eine fiktionalisierte Version von Pressler) immer wieder, das Innenleben eines Menschen zu verstehen, der zu so einem Betrug fähig war, indem sie Delveys Opfer befragte und gleichzeitig versuchte, ihre eigene wackelige Karriere zu retten.
Schon die erste Folge deutet an, welche bombastische Geschichte uns hier erwartet. Uns als Publikum wird direkt eine ganze Wagenladung an Tweets präsentiert, die uns klar machen wollen: Anna Delvey wurde genau zum Höhepunkt der Girlboss-Kultur zum versehentlichen Star. „Ikone“, „Heldin“, „Halloween-Kostüm dieses Jahr: Anna Delvey“, „Das einzige Problem mit meiner Queen Anna Delvey ist, dass sie Frauen hinterging. Wir betrügen hier nur Männer“ – alle scheinen Delvey zu bewundern. Eingeleitet wird die Serie mit Julia Garners Synchronstimme, die uns erzählt: „Die Geschichte, die ihr euch gleich auf eurem fetten Hintern sitzend ansehen werdet wie ein riesiger Klumpen Nichts, dreht sich um mich.“ Direkt von Anfang an ist klar: Delvey ist egoistisch, arrogant und hinterhältig – und wird dennoch von vielen als eine Art Robin Hood dargestellt, die von den Reichen nimmt und… naja, sich selbst gibt.
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Foto: bereitgestellt von Netflix.
An dieser Stelle spulen wir zurück und landen im Chefredaktionsbüro von Manhattan (das in der Serie für das New York Magazine steht), in dem Kent ihrem Chef gerade voller Enthusiasmus ihre Artikelidee pitcht. Die dick aufgetragene Message kommt klar rüber, als Kent einen Artikel zu #MeToo an der Wall Street ablehnt, um sich ihrem Anna-Delvey-Projekt zu widmen. Sie argumentiert: „Ihr wollt eine weibliche Journalismus-Granate auf sie werfen… sie dazu bringen, ihre Storys öffentlich zu machen, bis diese Frauen traumatisiert und ihre Karrieren zerstört sind. Ich bin nicht gegen die Frauen. Ich bin dagegen, dass Sie sie als Clickbait ausnutzen.“ Später hören wir aber, wie sie ihren Kolleg:innen erzählt, sie habe den Artikel nur deswegen abgelehnt, weil die #MeToo-Story kein Titelseiten-Material sei – „die hier aber schon“. Als Kent dann zu einem Ultraschall-Termin muss (Pressler war während ihrer Recherche schwanger) und herausfindet, dass sie ein Mädchen bekommt, schreit sie dramatisch auf. Subtil geht anders: Das Publikum soll verstehen, wie frustriert sie von dieser frauenfeindlichen Welt ist, die Frauen vom Erfolg abhalten will. Entweder unterwirft man sich diesem erdrückenden System – oder arbeitet dagegen, wie Delvey, scheint uns die Serie vermitteln zu wollen.
Und auch für Delveys Opfer scheint die Serie kaum bis kein Mitleid zu empfinden. Wir bekommen sie in teuren Yoga-Outfits oder pläneschmiedend in Rooftop-Bars gezeigt, mit schrillen Stimmen und Martinis in der Hand. Sie werden beinahe so dargestellt, als hätten sie Delveys Verbrechen quasi verdient – und genau daher wurde Delvey auch von so vielen bewundert. Wer sonst hätte es schließlich gewagt, die New Yorker Elite dermaßen bloßzustellen, und das auch noch so mühelos
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Foto: bereitgestellt von Netflix.
Als sich Kent und Delvey endlich kennenlernen, spielt Delvey direkt die Mitleidskarte und betont ihre Girlboss-Mentalität. Es ist, als sollten wir Parallelen zwischen den beiden Frauen erkennen. „Sie wollen mich als dumme, oberflächliche Person darstellen, die nur aufs Geld aus ist. Ich will, dass Sie wissen, dass ich das überhaupt nicht bin. Ich bin nicht irgendeine Partymaus. Ich versuche, ein Business aufzubauen.“
Diese monotone Message wird uns im Laufe der neun Episoden recht häufig aufgedrückt. Die erste Episode endet damit, dass sich eine von Delveys Freund:innen (eine Hotelmitarbeiterin, die Delvey eine ihrer Luxus-Unterkünfte ermöglichte) für sie einsetzt und sogar Verständnis für Delveys „Hustle“ ausdrückt: „Das ist New York. Hier spielen alle irgendwelche Spielchen. Jeder muss gewinnen.“
Aber wer genau war denn Anna Delvey nun? Diese Frage beantwortet Inventing Anna nie so richtig. Genauso wenig, wie sie es schaffte, so viele Leute zu betrügen. Stattdessen füllt die Serie die Lücken auf unbefriedigende Art – manchmal, indem sie Anna aus der Distanz als manipulativ und herablassend darstellt, manchmal hingegen fast schon als Karriere-Vorbild. Die Serie scheint nicht genau zu wissen, auf welche Seite sie sich stellen soll – was merkwürdig wirkt, vor allem, weil Delvey inzwischen in mehreren Anklagepunkten des schweren Diebstahls schuldig gesprochen wurde. Klar, die Serie ist unterhaltsam; dennoch musst du rund alle 15 Minuten mal die Augen abwenden, damit dein Hirn nicht zu Brei zerläuft. Inventing Anna wirkt teilweise wie ein farbloser Reinfall, der die Girlboss-Kultur ausnutzt, um uns anzustacheln – obwohl wir über Girlbosses schon längst wieder hinweg sind.
Inventing Anna ist zum Streamen auf Netflix verfügbar.

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