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Warum Musik politisch sein muss: 90s-Ikone Neneh Cherry über ihr neues Album

Gegen Ende der 70er Jahre lebte sie als Teenager in besetzten Häusern und stand bei den aller ersten Londoner Punkbands am Mikro. Ende der 80er verursachte sie einen Skandal, als sie ihren weltberühmten Megahit „Buffalo Stance“ im britischen TV mit deutlich sichtbarem Babybauch performte. Und auch danach galt Neneh Cherry immer als selbstbestimmte Frau, die grundsätzlich nur nach ihren eigenen Regeln spielt. Auf ihrem neuen Album spricht die 54-jährige Poprebellin über die Fluchtkrise, außer Kontrolle geratene Waffengewalt und gesellschaftliche Entfremdung.
Refinery29: Auf deinem neuen Album „Broken Politics“ zeichnest du kein allzu schönes Bild von der Welt...
Neneh Cherry:
Natürlich nicht. Wir leben in unruhigen Zeiten. Die Platte spiegelt das wider, was gerade überall auf diesem Planeten passiert. Ich habe in meinen Songs schon immer nach Antworten gesucht. Die neuen Stücke stellen aber eher eine Art von Bestandsaufnahme dessen dar, was es bedeutet, heute am Leben zu sein.
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Foto: Wolfgang Tillmans
Würdest du die Platte denn als politisches Statement bezeichnen?
Als ich mit meinem Ehemann und Producer die Arbeiten zu diesem Album begann, haben wir uns lange über die generelle Richtung unterhalten. Wir waren uns darüber einig, dass es Zeit ist, die Dinge ganz klar auszusprechen und zu benennen. Keine verklausulierten Metaphern, sondern Klartext. Besonders bei Themen wie Waffengewalt in „Shot Gun Shack“ oder der Fluchtkrise in „Kong“. Gleichzeitig sollten die Lyrics eine gewisse Einfühlsamkeit besitzen. Ich bin keine politische Agitatorin oder habe irgendwelche Lösungen anzubieten. Ich versuche nur, durch meine Musik mit der momentanen Lage der Welt klarzukommen.
Wobei du die Songs als deinen ganz persönlichen Einsatz gegen die Unterdrückung der freien Meinung und des freien Willens bezeichnest.
Überall auf der Welt sind faschistische Tendenzen zu beobachten. Ein Bestandteil des Faschismus ist, Andersdenkende und Kritiker*innen mundtot zu machen. Glücklicherweise stehen immer mehr Menschen dagegen auf und demonstrieren für eine bunte, vielschichtige Gesellschaft. Obwohl von gewissen Seiten ständig versucht wird, Angst zu erzeugen und uns gegeneinander aufzuhetzen, kommen die Menschen wieder zusammen. Ich glaube, jede*r sollte sich der eigenen Rolle in diesem Machtspiel bewusst sein.
Stilistisch vereinst du auf Songs wie „Faster Than The Truth“ oder „Black Monday“ Elemente aus Pop, Electro, TripHop, Jazz und Soul. Eine ziemlich breite Mischung!
Dieses Album fasst viele Einflüsse zusammen, die mich während meines bisherigen Lebens inspiriert haben. Angefangen bei der Jazz-Musik meines Vaters bis hin zu meinen eigenen stilistischen Schaffensphasen. Es ist alles da. Wie ein Soundtrack, der Teile aus allen Perioden meines Lebens enthält. In gewisser Weise kehre ich zu meinen Wurzeln zurück und schließe nun einen Kreis.
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Apropos Wurzeln: In deiner Jugend hast du in besetzten Häusern gewohnt und mit Bandmitgliedern der berüchtigten Sex Pistols rumgehangen. War die Zeit so wild und aufregend, wie sie klingt?
Absolut! Ich wurde in Schweden geboren und ging später mit meiner Familie auf Reisen quer durch die Welt. Mit 16 zog ich auf eigene Faust nach London. Ich glaube, dieser besondere Punk-Spirit ist immer noch ein Teil von mir. Allerdings muss ich heute zum Glück nicht mehr in baufälligen Ruinen wohnen. Damals gab es zumindest noch leerstehende Häuser in Zentral-London. Heute kann sich niemand mehr die in immer schwindelerregendere Höhen steigenden Mieten leisten. Alles ist gentrifiziert und glänzt. Platz für Individualität findet man dort heute kaum noch. Wir waren damals eine große Familie. Wir wurden nicht vom Geld angetrieben, sondern konnten uns auch irgendwie ohne viel Kohle durchschlagen.
Die Aufnahmen zu „Broken Politics“ sind im legendären Woodstock bei New York entstanden. Ist die ländliche Abgeschiedenheit ein Grund für diese besondere Nachdenklichkeit innerhalb der Songs?
Die Atmosphäre des Albums hatte eher mit meiner generellen Stimmung zu tun. Ich habe meine Energie diesmal auf eine andere Form kanalisiert. Es geht mehr um die Kraft, die in der Ruhe und in der Reduziertheit liegt. Man muss diese Songs nicht laut hören, um ihre Power zu fühlen. Als einer der ersten Tracks entstand das Stück „Deep Vein Thrombosis“, das mich sehr an meinen Dad erinnert.
Dein Vater, die 1995 verstorbene Jazz-Ikone Don Cherry scheint auch sonst einen besonderen Einfluss auf die Stücke gehabt zu haben. Was war der beste Rat, den du je von ihm bekommen hast?
Er gab mir damals den gleichen Ratschlag, den ich heute als Mutter an meine eigenen Kinder weitergebe: immer bescheiden zu sein, mit beiden Füßen auf der Erde zu bleiben und trotzdem seinen Weg zu gehen, ohne sich verbiegen zu lassen. Gerade meiner jüngsten Tochter Mabel habe ich diesen Tipp mit auf den Weg zu ihrer eigenen Musikkarriere gegeben: sie selbst zu sein; egal, was auch passiert. Ich wuchs in einer sehr ländlichen Gegend in Schweden auf. Ich war immer das einzige schwarze Kind innerhalb der Gemeinschaft. Obwohl ich viele Freund*innen hatte, wurde mir ständig das Gefühl vermittelt, irgendwie „anders“ zu sein. Ich wurde andauernd von den anderen damit konfrontiert, dass meine Familie anders aussah und dass Künstlerfamilien sowieso irgendwie seltsam wären.
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Foto: Wolfgang Tillmans
Du stammst aus einer unglaublich talentierten Musikerfamilie: Dein Vater hat in den 50ern und 60ern den Jazz geprägt, dein jüngerer Bruder Eagle-Eye Cherry ist ebenfalls ein erfolgreicher Popmusiker geworden und auch dein Stiefsohn Marlon Roudette hat sich einen sehr guten Namen gemacht. Mit deiner 22-jährigen Tochter Mabel ist nun die dritte Musikergeneration der Cherry-Familie am Start.
Jede meiner drei Töchter ist eine große Inspiration für mich. Familie und Zusammenhalt waren bei uns schon immer sehr wichtig. Bei allem, was ich getan habe, standen die Kinder und die Familie an erster Stelle. Danach kam die Karriere. Ich habe immer versucht, beides so gut es geht unter einen Hut zu bringen. Keine leichte Aufgabe, gerade im Showgeschäft. Alles drehte sich nur um den Nachwuchs. Sobald das letzte Kind aus dem Haus war, fühlte ich mich eine Zeit lang schrecklich leer und nutzlos. Ich denke, dass sich der Umstand, drei mittlerweile erwachsene Töchter zu haben, auch auf gewisse Weise auf der Platte widerspiegelt. Ich bin nun in einer neuen Lebensphase, über die leider kaum öffentlich gesprochen wird. Es fühlt sich schon ein wenig seltsam an, aber auch sehr aufregend.
Du bist mit Cameron McVey, dem Producer von Massive Attack verheiratet und hast auf „Broken Politics“ außerdem mit Massive Attack-Sänger Robert „3D“ del Naja gearbeitet – ein Musiker und Graphic Artist, von dem vermutet wird, er wäre Banksy...
Kein Kommentar (lacht). Dazu kann ich leider keine Angaben machen. Vielleicht bin ich selbst ja sogar Banksy, wer weiß?
Neneh Cherrys neues Album „Broken Politics“ erscheint am Freitag, den 19. Oktober 2018.

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