Damals in den 90ern waren Dating-Webseiten ausschließlich für Ausgeflippte reserviert, die heimlich den Bildschirm ableckten, in der Garage ihrer Eltern lebten und sehr viel Zeit damit verbrachten, im Geräteschuppen Sci-Fi-Pornoheftchen durchzublättern. Heutzutage hat sich das Ganze komplett geändert. Jetzt wurde jeder Millennial, dessen Wert man in Avocados messen kann, schon mal von irgendeinem Sack unerwünscht auf Tinder belästigt.
Falls du nach einem unverbindlichen Techtelmechtel mit jemandem suchst, der angibt, dass er eine Vorliebe für Netflix-Marathons und Analsex in Blumenbetten habe, sind diese Apps, bei denen man nach rechts swiped, der Stoff, aus dem die romantischen Träume sind. Für jeden, der aber auf der Suche nach einer dauerhaften Beziehung ist, kann es sich allerdings so anfühlen, als ob man versuchen würde, seinen Weg durch eine fremde Stadt zu navigieren, wenn das Navi zusammengebrochen ist. In der einen Minute chattest du noch mit einem süßen Kerl über angesagte Lunch-Spots in Berlin, in der nächsten bietet er dir bereits an, Ochsenschwanzsuppe von deinen Füßen abzulecken.
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Webseiten wie ElitePartner oder Parship versprechen langanhaltende Ergebnisse mit Paaren, die durch gemeinsame Interessen, Algorithmen und sorgfältig abgeschnittene Urlaubsschnappschüsse, bei denen alle Beweise vom Ex gelöscht wurden, zusammengebracht wurden. Während diese Seiten sich vielleicht selbst als die Cher Horowitz des Internets sowie als Vereiniger von unglücklichen Singles im Schoß der immer währenden Freude verkaufen, ist es ihr Vorrecht, Geld zu machen. In einer Welt, in der du am Bahnhof kein Pipi machen kannst, ohne 3o Cent für dieses Privileg zu bezahlen, scheint es, als ob die Liebe nicht einfach oder günstig zu haben sei. Und obwohl diese Webseiten einen gesunden Profit für ihre Besitzer generieren, bin ich nicht davon überzeugt, dass sie die Antwort darauf sind, ein gutes Match zu finden.
Trotz der Tatsache, dass ich mehr als 40 Männer von mindestens vier verschiedenen Dating-Seiten gedatet habe, habe ich nie eine Langzeitbeziehung zu jemandem entwickelt, den ich online kennengelernt habe. Ich kenne einige Leute, die eine Internet-Romanze geheiratet haben, aber ich kenne sehr viel mehr, die mit der unverbindlichen Gelegenheitssex-Kultur, falscher Intimität und schlechten Eigenschaften, die mit diesem Prozess assoziiert werden, zu kämpfen haben. Dadurch, dass uns freie Hand gegeben wurde, ohne Konsequenzen ein Scheißkerl zu sein, sind Ghosting, Benching und Last-Minute-Absagen im Online-Dating zur Norm geworden und soziale Nettigkeiten wurden in Geschichtsbücher verbannt. Neulich hat ein Mann eine erstes Date mit mir, eine Stunde bevor wir uns treffen wollten, abgesagt, weil ich nicht genügend Enthusiasmus für Outdoor-Wassersport gezeigt habe. Ein anderer Kerl hat ein Loblied auf mich gesungen, um dann auf Nimmerwiedersehen auf die Insel der verlorenen Männer zu verschwinden. Zwar hatte ich auch ein paar nette Dates mit fancy Cocktails und super angenehmen Gesprächen über das deutsche Klima und ein geteiltes Faible für Käse. Aber das ganze Online-Dating fühlt sich noch immer künstlich an, mehr wie eine Business-Transaktion auf einer Konferenz, als ein Weg zum Glück. Alle meine bedeutsamen Beziehungen sind aus Freundschaften oder Begegnungen im wahren Leben hervorgegangen, die den ganzen ‘Sich kennen lernen’-Prozess weniger gezwungen und weniger voll beladen mit der Angst vor Ablehnung oder peinlichen Kaffee-Dates gemacht haben.
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Laut Therapeut und Beziehungsexperte Graham Landi bin ich damit nicht allein. Eines der größten Probleme mit Dating-Seiten, sagt er, ist es, dass sie basierend auf Algorithmen für Liebe werben, was seiner Meinung nach wissenschaftlich nicht möglich sei. „Dating-Seiten zielen darauf ab, dich, basierend auf der Persönlichkeit, mit Menschen zu matchen. Aber die Wahrheit ist, dass du eine Verbindung nicht erfinden kannst. Der ganze Prozess spult die ‘Sich kennen lernen’-Phase vor. Wenn du also bei deinem ersten Date ankommst, wisst ihr beide, dass ihr dort seid, um zu schauen, ob ihr eine Beziehung beginnen wollt. Dating-Seiten machen ihr Geld, indem sie den Mythos ‘der einen perfekten Person’ verbreiten, nach der jeder von uns verzweifelt auf der Suche ist.“
Mit einer endlos erscheinenden Liste an möglichen Optionen ist es für uns einfacher als je zuvor, Menschen aus willkürlichen Gründen eine Abfuhr zu erteilen und jegliche Mängel als sofortiges K.o.-Kriterium wahrzunehmen. Ich mache mich, was diesen Charakterzug anbelangt, genauso sehr schuldig, indem ich jeden wegscrolle, der seine Sätze mit Emojis versieht, der den Ausdruck ‘lol’ verwendet oder vorgibt, ein eingefleischter Fan eines gesunden Lebensstils zu sein. (Dude, bitte gib mir Wein!)
Im Gegensatz dazu sind Paare, die sich im echten Leben begegnen, mit höherer Wahrscheinlichkeit toleranter gegenüber der Star Wars DVD- Sammlung, Food-Ticks oder Baumwollphobie des jeweils anderen, in dem Wissen, dass es sich hier nur um einen Bruchteil der Person handelt, zu der sie eine Beziehung aufgebaut haben. Auch haben sie eine höhere Akzeptanz von Krankheiten, Behinderungen und psychischen Problemen, weil sie die Möglichkeit gehabt haben, die wahre Person zu sehen, ganz ohne Vorurteile, wie die Person vielleicht sein könnte. „Online-Dater wollen sofortige Befriedigung und Perfektion, einfach weil es das ist, was verkauft wird,“ sagt Graham. „Du triffst jemanden, der eine fixe Idee darüber hat, was es sein sollte und wohin es führen sollte und das macht Menschen anfällig für das Gefühl der Angst, etwas zu verpassen – die Idee, dass du ganz vielleicht etwas viel Besseres verpassen könntest. Es überrascht nicht, dass die Menschen sich am Ende fühlen, als würden sie nicht das bekommen, für das sie bezahlt haben.“
Während kein Zweifel daran besteht, dass Dating-Seiten von der menschlichen Angreifbarkeit zehren, sind wir ebenso Schuld daran, wenn es darum geht, den Kreislauf aufrechtzuerhalten, indem wir unser Streben nach ‘dem Richtigen’ weiter fortsetzen. „Dating-Seiten können dir dabei helfen, mehr Menschen kennenzulernen, aber sie können nicht alles, was sie versprechen. Es ist unmöglich, vorherzusagen, wann man die richtige Person findet – da spielen einige Faktoren mit rein,“ sagt Graham. „Paare, die sich online kennenlernen sind sehr glücklich aber dennoch realistisch. Sie erkennen, dass es keine Perfektion gibt und arbeiten hart an ihren Beziehungen.“
Online-Dating kann definitiv für einige zum Erfolg führen, aber es erfordert eine robuste Haut und eine pragmatische Einstellung – besonders in großen Städten, wo es viel Wettbewerb gibt. Mit meiner ganz und gar nicht robusten Haut und meinen gehobenen romantischen Zielen von wahrer Liebe und dem Besitz eines Einhorns, bin ich mir nicht sicher, ob ich nicht schon längst aus dem Spiel ausgeschieden bin. Also habe ich mir stattdessen vorgenommen, mein Abo für einige Monate auszusetzen und mehr Zeit damit zu verbringen, Menschen im realen Leben zu treffen. Und wenn alle Stricke reißen, gibt es immer noch Hundewelpen.
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