Vor dem Umzug verbrachte ich oft fast zwei Stunden lang mit dem morgendlichen Styling – ganz egal, wie locker oder formal der jeweilige Tag ablaufen sollte. Zuerst scrollte ich mich dazu durch Pinterest, Instagram und Vogue Runway, auf der Suche nach der nötigen Outfit-Inspiration. Dann zog ich drei bis fünf Looks an, um den richtigen für den jeweiligen Tagesplan zu finden. Irgendwo dazwischen machte ich mir ein paar Gedanken darüber, welchen Fashion-Trend ich ja mal ausprobieren sollte, welches Styling das von mir verlangen würde, und ob der spezifische Trend überhaupt zu meinem beruflichen Status als Mode-Redakteurin™ passte. Das Ganze war aber fast schon so anstrengend wie das Leben in einer Stadt, in der ich fast jeden Tag zu irgendeinem Event musste.
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Als ich mich aber aus der Großstadt verabschiedete, begann damit für mich plötzlich ein ganz neues Leben – eins, in dem ich nach der Arbeit eher im Park spazierte oder Tennis spielte, als zu irgendwelchen Veranstaltungen zu fahren, und am Wochenende wandern ging. Klar hatte ein Teil meines Garderoben-Umstylings auch damit zu tun, dass ich hier nicht mehr dauernd Freund:innen oder Bekannten auf der Straße begegne und demnach kein Problem (mehr) damit habe, wie jemand auszusehen, die nicht eben auch mal zur Fashion Week fahren könnte. Meine Umstellung hängt aber tatsächlich mehr damit zusammen, dass ich heute mehr auf ein Gleichgewicht zwischen meinem Privat- und meinem Berufsleben (das mich dazu zwingt, mir in Sachen Mode mehr Mühe zu geben) achte. Versteh mich nicht falsch: Ich bin immer noch genauso an Mode interessiert wie früher. Mein Umzug hat aber sehr wohl verändert, wie ich mich kleide, weil mein Outfit nicht mehr jeden Tag theoretisch für ein Streetstyle-Foto hinhalten müsste.
Nachdem sie in New York City in der Fashion-PR gearbeitet hatte und von dort aus für einen Vertriebs-Job nach Florida gezogen war, kam auch Rachel Whitehouse zu einer ähnlichen Erkenntnis. „Mit allen Trends und Fast-Fashion-Launches mitzuhalten, ist total anstrengend“, erzählt Whitehouse, die vor Kurzem ein TikTok-Video gepostet hat, indem sie bloß Jeans, ein T-Shirt und Sandalen trägt – ein „langweiliges, aber effektives Outfit“, wie sie selbst sagt. Heute setzt sie „vor allem auf Funktionalität und Komfort“ und kleidet sich „nur noch für sich selbst“.
@clothesarefriends Effective is key
♬ original sound - clothes are friends
Das geht auch TikTok-Creator Evan Smith so. „Ich muss nicht jeden Tag mega aussehen“, meint Smith in einem Video. „Du erschöpfst damit bloß dein Gehirn, deinen Körper und dein Bankkonto, wenn du jeden Tag versuchst, der Welt zu zeigen, wie krass du bist.“ Wie Whitehouse hat sich auch Smith inzwischen mit Outfits, die praktisch und bequem sind, eine ordentliche TikTok-Followerschaft aufgebaut – von weißen Tanktops über Jeans bis hin zu einfarbigen Looks – und beweist damit, dass es okay ist, auch mal eine „langweilige“ Fashion-Phase zu haben.
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Wenn ich mich durch die Fotos auf meinem Handy scrolle, erkenne ich deutlich, dass ich in den letzten Monat sichtbar weniger rumexperimentiert habe als in vorherigen Jahren, in denen ich mehr Styles und Trends ausprobierte denn je. Das heiß aber auch, dass ich aktuell weniger Geld denn je für Klamotten ausgebe und öfter mal zu vertrauten Favoriten greife, anstatt bei jedem Trend shoppen zu gehen. Vor allem ist mir aber aufgefallen, dass ich weniger an andere denke, wenn ich mich morgens anziehe, sondern viel mehr mir selbst gefallen will.
@svnthevan let’s all take a collective step back #fashion ♬ original sound - Evan Smith
Social-Media-Plattformen vermitteln uns oft die Vorstellung, persönlicher Style setze eine gewisse Extravaganz voraus. Viele von uns konsumieren Mode nur mit dem Gedanken ans „Sehen und gesehen werden“. Weil ich selbst ebenfalls so lange dazu zählte, habe ich irgendwann verlernt, Qualität und Komfort über alles andere zu stellen. Ich habe jetzt aber bemerkt, dass es in Sachen Mode fast schon revolutionär ist, einfach mal mich selbst zu priorisieren, anstatt unzähligen TikTok-Trends zu folgen.
Die meisten Kleidungsstücke in meinem Schrank, in denen ich mich in der Welt wirklich wohl fühle, sind klassische Styles und neutrale Farben – inklusive T-Shirts, Blazer und Sportklamotten. Und obwohl ich die zwar schon immer geliebt habe, habe ich jetzt beschlossen, dagegen nicht mehr anzukämpfen, sondern zu Styles zu greifen, die mir gefallen. Whitehouse stimmt mir da zu. „Wenn es anderen gefällt, top. Aber ich werde meinen Style und meinen Geschmack nicht mehr anpassen, um anderen zu gefallen.“
Für eine Fashion-Redakteurin, deren Job sich um Trends und Styling dreht, ist es vielleicht überraschend, wie unwichtig es mir geworden ist, immer nur das zu tragen, was gerade beliebt ist. Stattdessen verliebe ich mich immer mehr in die banale, vielleicht „langweilige“ Seite der Mode. Ich setze heute auf Outfit-Formeln, mit denen ich mich in meiner Haut wohl fühle. Und ich habe mich damit abgefunden, dass ich es liebe, dieselben Stücke immer und immer wieder zu tragen. Mein Portemonnaie und der Planet werden mir langfristig dafür danken, dass ich es heute lieber schlicht mag. Klar gibt es immer noch Tage, an denen es mir total Spaß macht, mich schick zu machen – zum Beispiel an meinem Geburtstag und zur Weihnachtszeit –, aber mir gefällt eben auch die Vorstellung, mir meine kreative Energie für diese besonderen Anlässe aufzuheben. An anderen Tagen kann’s ruhig etwas langweiliger zugehen. Das ist okay. So ist das Leben. Zumindest mein Leben.
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