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In Dennis Nilsen – Memoiren eines Mörders geht’s um mehr als „nur“ einen Serienkiller

Foto: Press Association/AP Images.
Achtung: Spoiler zu Netflix’ Dennis Nilsen – Memoiren eines Mörders direkt voraus!
Netflix’ neue True-Crime-Dokumentation Dennis Nilsen – Memoiren eines Mörders durchzieht ein tragischer roter Faden: So viele Menschen mussten sterben, weil ihre Gesellschaft zu intolerant war, um sie zu akzeptieren. Der verurteilte Serienmörder Dennis Nilsen suchte sich junge Männer als Opfer aus – oft schwule Männer, Sexarbeiter oder obdachlose Teenager. Mit dem Versprechen, ihnen Essen und ein Dach über dem Kopf zu bieten, lockte er sie zu sich nach Hause, wo er sie schließlich tötete. Weil Nilsen ein ehemaliger Polizist war, wusste er vermutlich, dass diese Verschwinden nicht sofort gemeldet werden würden – dank der schambehafteten Kultur der LGBTQ+-Community im London der 1980er. Zu dieser Zeit rissen junge queere Menschen oft von zu Hause aus oder wurden rausgeschmissen; viele ihrer Eltern hätten damals vermutlich nicht einmal bemerkt, dass ihr Kind gekidnappt wurde. Und wenn sie es doch merkten, hatten viele Eltern Angst davor, Anzeige zu erstatten und über die Situation sprechen zu müssen, weil Institutionen wie die Polizei und die Presse zutiefst homophob waren. 
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Wie in der Dokumentation erzählt wird, gestand Nilsen schließlich ganze 16 Morde; nur acht seiner Opfer wurden allerdings jemals identifiziert. Von 1978 bis 1983 mordete er sich ungestört durch London, selbst obwohl einige seiner Beinahe-Opfer entkamen. Eines dieser frühesten Beinahe-Opfer schaffte es, dem Tod zu entkommen, indem er sich aus einem Fenster warf – weigerte sich aber danach, Anzeige zu erstatten. Und Martyn, ein weiteres Fast-Opfer, das in der Doku nur bei seinem Vornamen benannt wird, wandte sich danach nicht an die Polizei, weil er der dortigen Homophobie entgehen wollte. Und dann wäre da noch Carl Stotter, der von Nilsen 1981 fast erwürgt und ertränkt wurde. Als Nilsen ihn unerklärlicherweise gehen ließ, traute er sich zur Polizei – wo man ihm seine Geschichte aber nicht glaubte.
Selbst, als Nilsen nach seiner Verhaftung 1983 vor Gericht landete, hatte die Staatsanwaltschaft Schwierigkeiten damit, Zeug:innen und Opfer zur Aussage zu ermutigen. Darin hätten sie intime Details ihres Lebens offenlegen – in einer Verhandlung, die Tag für Tag in der Presse diskutiert wurde – und sich berüchtigten, brutalen Kreuzverhören unterziehen müssen. Die Doku verrät uns aber, dass sich schließlich doch ein paar Leute trauten und der Staatsanwaltschaft weiterhalfen – inklusive Stotter. Im Oktober 1983 wurde Nilsen schließlich wegen sechsfachen Mordes und zweifachen versuchten Mordes zu mindestens 25 Jahren Haft verurteilt; später wurde das Urteil auf „lebenslänglich“ hochgeschraubt.
Nilsen verbrachte tatsächlich den Rest seines Lebens hinter Gittern. Langweilig war ihm dort wohl nicht: In Briefen an die Polizei, TV-Produzent:innen und Journalist:innen erzählte von seinen Verbrechen, nahm die langatmigen Kassetten auf, die in der Dokumentation zum Einsatz kommen, und schrieb eine Autobiografie.
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Im Jahr 2018 starb Nilsen schließlich im Alter von 72 im Gefängnis im englischen Yorkshire. Laut der BBC hatte er sich zuvor wegen Bauchschmerzen einer Operation unterzogen, habe dann aber ein Blutgerinnsel erlitten. Seine Todesursache war eine Lungenembolie; ein Aneurysma war geplatzt. 
Selbst nach seinem Tod hallen Nilsens Taten nach. Obwohl heute zumindest nicht mehr so viele junge, schwule Männer entführt werden könnten, ohne dass ihr Verschwinden gemeldet werden würde, fallen auch heute noch viele Randgruppen Nilsen-ähnlichem Verhalten zum Opfer: In den 2000ern wurden mehrere Sexarbeiterinnen vom noch immer nicht identifizierten „Long Island Ripper“ ermordet, und allein in den USA wurden im Jahr 2020 45 trans Männer und Frauen getötet – ein trauriger Rekord.
Solange unsere Gesellschaft damit weitermacht, manche Menschengruppen effektiv als entbehrlich zu betrachten, wird es Mörder:innen geben, die das ähnlich sehen. Nilsens Mordlust hätte sich wohl nicht aufhalten lassen – aber er hätte niemals so lange damit durchkommen dürfen. Schon Jahre vor seinem letzten Mord hätte er gestoppt werden können, wenn die Menschen nicht zu viel Angst vor der gesellschaftlichen Verurteilung gehabt hätten, um sich bei der Polizei zu melden, oder wenn die Polizei die Vermisstenanzeigen ernst genommen hätte. Nilsen war nicht der letzte Mensch, der die Ausgrenzung dieser Randgruppen ausgenutzt hat. Es liegt an der Polizei und der Presse – und uns allen –, zu verhindern, dass diese Gruppen zu leichten Zielen werden, indem wir sie zu Wort kommen lassen… und ihnen dann auch den Glauben schenken, den sie verdienen. 

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