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Bin ich die Einzige mit einem Dating-App-Ghostwriter?

Foto: Serena Brown
Daten kann zwar eine einsame Angelegenheit sein, muss sie aber nicht. Das weiß ich schon seit der siebten Klasse, als ich mich in meinen ersten richtigen Freund verliebte. Er hatte eine Topffrisur à la Justin Bieber. Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie er immer seine Haare in den Nacken warf – genau wie Zac Efron in High School Musical.
Selbst als wir dann offiziell ein Paar waren, war ich immer so nervös, wenn ich mit ihm allein war. Zum Glück hatte ich aber einen Puffer: meine beste Freundin, die mit seinem guten Freund zusammen war. Als Vierergespann machten wir alles zusammen: Wir sahen gemeinsam Filme an und hingen miteinander ab. Meine Freundin und ich waren zu einem wahrscheinlich übertriebenen Ausmaß persönlich in die aufkeimenden Romanzen der jeweils anderen involviert. Manchmal fragte ich sie, was ich meinem Möchtegern-Bieber schreiben sollte, wenn ich flirten oder einen Streit anfangen wollte. Ich tippte eine Nachricht ein. Daraufhin schnappte sich meine beste Freundin mein Handy, bearbeitete die Nachricht und fügte Kommentare hinzu, die witziger waren, als meine je hätten sein können.
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Schließlich wurden meine Freundin und ich abserviert – am selben Sommerwochenende. Dadurch, dass sie in der gleichen unglücklichen Lage war, war die Trennung zugegebenermaßen weniger schlimm. Als ich die SMS bekam, in der stand, dass er sich trennen wollte, saß ich vor meiner Freundin, die nur kurz davor eine ähnliche Nachricht erhalten hatte. Ich schätze, unsere Ex-Jungs hatten ebenfalls Blicke auf die Nachrichten des anderen geworfen, bevor sie sie losschickten.
Mehr als zehn Jahre später begann ich zu bemerken, dass sich eigentlich gar nicht so viel an meinen Dating-Gewohnheiten geändert hat. Meine Mitbewohnerin und ich sitzen manchmal auf der Couch und helfen uns gegenseitig dabei, Nachrichten an potenzielle Partner:innen auf Dating-Apps zu verfassen. Ich schlage ihr vor, kürzere Texte zu schicken, und sie erinnert mich daran, Fragen zu stellen, um die Konversation in Gang zu halten. Als ich mich Anfang des Jahres in einem frustrierenden Hin und Her mit einem Tinder-Date wiederfand, stürmte ich aus meinem Zimmer, um ihr die letzte ungeheuerliche Nachricht vorzulesen, die ich erhalten hatte. Sie half mir, eine Antwort zu verfassen, die weniger diplomatisch ausfiel, als es der Fall gewesen wäre, hätte ich sie selbst verfassen müssen. Wann immer meine Mitbewohnerin nicht zu Hause ist, teile ich Screenshots von Dating-App-Nachrichten in einem Gruppenchat. Früher oder später meldet sich immer jemand. Meine Freund:innen und ich sind aber keinesfalls die Einzigen, die beim Daten die Hilfe von Ghostwriter in Anspruch nehmen. Ghostwriting ist The Atlantic zufolge nämlich „das große offene Geheimnis der modernen Kommunikation“.
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Katie Jacobs, 27, ist Single und hat einen Teil der Verantwortung für ihr Dating-Leben ebenfalls „der Gruppe“ überlassen – und das schon seit Jahren. Als sie mit drei Mitbewohner:innen zusammenlebte, projizierte sie manchmal ihren Handy-Bildschirm auf den Fernseher, damit alle ihr beim Swipen und Schreiben von DMs auf einer Dating-App helfen konnten. „Dabei tranken wir Wein, wodurch sich das Ganze wie ein Spiel anfühlte“, sagt Jacobs. „Meine Ghostwriter waren in mancher Hinsicht wählerischer, als ich es normalerweise gewesen wäre. Oft lehnten sie stellvertretend für mich jemanden ab, dem ich eigentlich sehr wohl eine Chance gegeben hätte.“ Manchmal ermutigten sie sie aber auch dazu, mit jemandem, an dem sie wegen einer Kleinigkeit nicht interessiert war – weil er zum Beispiel Golf als Hobby angegeben hatte –, in Kontakt zu treten.
Als Jacobs dann umzog, tauschten sie und ihre Mitbewohnerin manchmal ihre Handys aus und swipten und schrieben anderen Personen im Namen der anderen. „Das Schöne daran ist, dass wir ziemlich ähnliche Persönlichkeiten haben, auch wenn wir nicht immer den gleichen Geschmack bei der Partnerwahl haben“, sagt sie. „Das kann ich aber auch wirklich nur mit einer Person machen, der ich völlig vertraue.“
Nach einem Match verzichtete Jacobs allerdings auf zu viel Input von Freund:innen. Sie holte sich nur Ratschläge, wenn sie wirklich am Ende ihrer Weisheit war und nicht wusste, was sie schreiben sollte, oder wenn es sich bei dem Match um eine Frau handelte. „Ich bin bisexuell und mir ist aufgefallen, dass ich mit dem, was ich zu Frauen sage, vorsichtiger sein muss als bei Männern. Das hat damit zu tun, dass ich davon ausgehe, dass weibliche Matches Botschaften eher auf die gleiche Weise analysieren wie ich“, erklärt sie. „Eine Freundin von mir ist gay. Deshalb frage ich sie oft um Rat, wenn ich mir nicht sicher bin, was ich genau schreiben soll. Ich könnte mir keine bessere Ghostwriterin wünschen.“
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Selbst dann birgt diese Strategie jedoch einige Risiken. Jessica, 27 (die uns bat, ihren vollen Namen aus beruflichen Gründen nicht zu verwenden), swipte im Auftrag einer Freundin und begann – wie sie es schon oft getan hatte – mit einem Match zu chatten. Irgendwann spürte sie diesmal aber einen Funken. Nachdem sie ihrer Freundin davon erzählt hatte, beichtete Jessica ihm, dass sie die eigentliche Person hinter dem Profil gewesen war. „Er antwortete etwa einen Tag lang nicht“, erinnert sich Jessica. „Dann bat er tatsächlich darum, meine Freundin anrufen und mit ihr via Snapchat sprechen zu können. So wollte er sicherzustellen, dass es sich bei dem Ganzen auch ja nicht um Catfishing handelte.“ Sogar nach diesem Telefonat war er noch eine Weile skeptisch. Jessica und er blieben aber in Kontakt und sind bis heute zusammen (wenn auch momentan auf Distanz). „Wenn das keine moderne Romanze ist, dann weiß ich auch nicht“, lacht Jessica.
„Im Allgemeinen scheint es den meisten egal zu sein“, wenn sie herausfinden, dass sie Ghostwriter-Nachrichten gelesen haben, vor allem, wenn sie die Person, mit der sie hin- und herschreiben, wirklich mögen, sagt Scott Valdez. Er muss ja schließlich wissen, wovon er spricht, denn er ist der Gründer der Partnervermittlung Vida Select. Diese hilft Usern dabei, Partner:innen zu finden und verfasst Nachrichten für sie, um eine Beziehung ins Rollen zu bringen. „Der einzige Grund, warum dir jemand auf die Schliche kommen würde, ist, wenn du dich dazu entscheidest, das Geheimnis zu lüften. Von unseren Kund:innen, die sich dazu entschieden haben, mit offenen Karten zu spielen, wissen wir, dass es den meisten egal ist, was gewesen war, bevor sie die andere Person [persönlich] getroffen haben“, sagt er.
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Gelegentliche Hilfe ist willkommen, kann aber auch Nachteile mit sich bringen, wenn du zu viel Input in deine Nachrichten einbaust, sagt Damona Hoffman, Dating-Coach und Moderatorin des Podcasts Dates & Mates. Manche Leute verlassen sich vielleicht auf die Hilfe eines Ghostwriters, weil sie unsicher sind, ob sie sympathisch rüberkommen, oder weil es ihnen ein Gefühl von Sicherheit gibt, falls sie abgelehnt werden. So liegt es nämlich nicht vollständig an ihnen, wenn jemand nicht auf eine Nachricht antwortet. Wenn aber eine andere Person alle deine Nachrichten für dich schreibt, egal, ob es sich dabei um Freund:innen oder Profis handelt, kann es sein, dass du falsch eingeschätzt wirst, sagt Hoffman. Das könnte zu Schwierigkeiten führen, wenn ihr euch dann später persönlich trefft. Prinzipiell kann das immer dann passieren, wenn zwei Menschen sich für eine zu lange Zeit Nachrichten schicken, bevor sie sich endlich treffen – was während der Pandemie unvermeidbar ist. „Manchmal wirken Leute in echt nicht so clever oder witzig, wie sie es waren, als sie genügend Zeit hatten, eine Nachricht sorgfältig zu verfassen – egal, ob ihnen jemand half oder nicht“, sagt Hoffman. „Letztendlich sind Nachrichten kein wirklicher Maßstab für Kompatibilität.“
Ghostwriter schlagen oft auch gewagtere Nachrichten vor (oder versenden sie in deinem Namen), als sie für sich selbst losschicken würden. Genieß ihre Tipps deshalb also mit etwas Vorsicht, fügt Hoffman hinzu, und verschick niemals etwas, das du nicht auch vor einem Gericht vorlesen würdest – oder auf einem beliebten Twitter-Account posten würdest.
Alles in allem ist es keine wirkliche Überraschung, dass viele von uns gerade jetzt zu viel über unsere Nachrichten nachdenken. Während einer Pandemie haben wir mehr Zeit, uns den Kopf über alles Mögliche zu zerbrechen. Da so viele Menschen das Gefühl haben, dass sie „ein Dating-Jahr verloren haben“, haben sie jetzt möglicherweise das Gefühl, besonders überzeugende Dating-App-Messages verfassen zu müssen. Obwohl es einige Nachteile gibt, wenn du die Hilfe von Ghostwritern in Anspruch nimmst (dein Partner oder deine Partnerin lernt vielleicht nicht dein wahres Ich kennen, deine Freund:innen ermutigen dich, häufiger Emojis zu verwenden, als dir lieb ist, und Erinnerungen aus der Schulzeit kommen hoch), handelt es sich dabei um nichts allzu Verwerfliches. Dieses Phänomen ist immerhin so weit verbreitet, dass die meisten von uns fast schon damit rechnen, dass die Person, mit der wir hin- und herschreiben, beim Schreiben Hilfe von ihren Freund:innen erhält. Eine Sache, die wir alle gemeinsam haben, sagt Valdez, ist, dass „wir alle manchmal ein wenig Unterstützung gebrauchen könnten.“ Und ist das nicht die Wahrheit?
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