Als meine beste Freundin sich vor 13 Jahren entschied, ein Jahr ins Ausland zu gehen, brach für mich eine Welt zusammen. Ich in Köln, sie in Kentucky. Kleine Großstadt gegen Trailerpark. Wie bloß die Freundschaft halten, wenn man nicht mehr jeden Tag miteinander sprechen, sich in der Schule sehen kann, war damals die große Frage. Briefe schreiben? Und tatsächlich gestaltete sich der Kontakt schwierig. Am Tag, als ich sie zum Flughafen brachte, war ich untröstlich. Irgendwann schrieb sie eine eMail, sie war gut angekommen und ich erst mal zufrieden. Das Leben ging weiter. In den kommenden zehn Monaten, die sie nicht mehr da war, telefonierten wir ganze drei Mal – zu horrenden Festnetz-Übersee-Preisen. Einmal rief sie aus einem Hotelzimmer an, in dem sie während eines Ausflugs gemeinsam mit einigen anderen Austausschülern gestrandet war, einmal rief ich sie nach einer langen Partynacht, in der es spät genug war, um von der Zeitverschiebung und meiner leichten Alkoholisierung zu profitieren, in Kentucky an. Ihren Gast-Opa, der im besten Hilbilly-Englisch den Anruf entgegennahm, verstand ich nicht. Er mich auch nicht, so viel sei verraten. Trotzdem rief sie irgendwann zurück.
Insgesamt schrieben wir uns wahrscheinlich nicht mehr als zehn eMails; einloggen, Mailprovider aufrufen, ausloggen. Mail schreiben, einloggen, abschicken. Notieren, wie viel Zeit man online verbracht hatte – und das alles von einem sperrigen Desktop-Computer aus, den man dafür erst einmal ratternd hochfahren musste. So war das damals noch, denn Online-Zeit war Geld und Smartphones mit der Möglichkeit, jeden Tag ein Bild und ungezählte SMS zu schicken, gab es nicht: Kontakt war teuer und musste zeitlich gut aufeinander abgestimmt werden. Trotzdem oder auch gerade weil wir damals nicht viel Austausch hatten und nicht immer über jeden Schritt des Anderen auf dem Laufenden bleiben konnten, nahm die Freundschaft daran keinen Anstoß. Als sie nach dem knappen Jahr zurückkam, holte ich sie gemeinsam mit ihrer Familie vom Flughafen ab, als sei nichts gewesen. Ich, in den vergangenen Monaten zum schwarz-tragenden Mini-Gruftie mutiert, sie mit kurzem, blonden Lockenkopf und Surfer-Look. Wir erkannten uns kaum wieder, hatte doch keine von uns die Chance gehabt, die jeweils andere über Facebook oder Instagram auf die Veränderung vorzubereiten.
Heute, fast 14 Jahre später, haben wir nicht nur alle modischen Verwirrungen mit den Jahren hinter uns gelassen, wir sind auch noch immer beste Freundinnen. Wir leben seit meinem Umzug nach Berlin vor sechs Jahren nicht mehr in derselben Stadt und kennen die Leute, mit denen wir unsere Freizeit verbringen, nur aus Erzählungen. Manchmal schreiben wir uns tagelang nur per SMS und Whatsapp und schaffen es nicht, auch nur ein kurzes Telefonat zu führen. Manchmal telefonieren oder skypen wir mehrmals pro Woche. Manchmal haben wir uns nichts zu erzählen, manchmal reden wir stundenlang.
Hin und wieder denke ich darüber nach, wie es wohl gewesen wäre, wenn wir damals schon Internet-Flatrates, Smartphones und Skype gehabt hätten. Wie es gewesen wäre, wenn man sich jeden Tag hätte austauschen können, sich per kleinen Nachrichten immer ganz nah gewesen wäre. Und dann bin ich stolz darauf, dass unsere Freundschaft genau das nicht gebraucht hat. Dass man einfach wusste, dass alles wieder so sein würde wie vorher, wenn der andere erst mal wieder da ist - oder dass man das zumindest gehofft hat.
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