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Stalking – zwischen Bedrohung und Belästigung

Illustration: Michaela Early.
Angefangen hatte es ganz harmlos. So wie eine solche Geschichte halt anfängt. Ein Mann, eine Frau, erste intime Momente, zuerst scheinbar unbeabsichtigte Berührungen, später mehr. Für Esther* war die Geschichte mit Martin* von Anfang an nichts Ernstes. Ein bisschen verschossen war sie schon, sicher; aber ihr war klar, passen tut das für etwas richtig Festes zwischen ihnen beiden nicht. Genau darüber hatten beide auch nach ein paar Wochen gesprochen, dass das eben so sei, man aber eine schöne Zeit gemeinsam habe. Eine, die beide genießen können. Und eine, die endet, wenn jemand anders kommt oder man merkt, das geht so nicht mehr.
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Irgendwann wurden Martins ständige SMS Esther lästig. „Er schrieb eigentlich stetig. Eben so, wie es Pärchen am Anfang miteinander tun“, erzählt Esther leise. Als sie ihn darauf ansprach, beteuerte der junge Mann, das sei gar nicht so gemeint, er höre damit natürlich auf, wenn es ihr unangenehm oder zu viel sei. „Das klappte am Anfang auch ganz gut, mit der Zeit hatte ich aber einfach das Gefühl, wir zwei wollten unterschiedliche Dinge“, sagt Esther. Sie beendet die Geschichte mit Martin. Seine Reaktion war wie zu erwarten. Anfangs versuchte er sie davon zu überzeugen, dass es doch gut so sei, wie es eben war. Aber Esther war sich sicher. Sie wollte das nicht mehr, auch weil sie den Eindruck hatte, es hielt sie davon ab, jemand anderen kennenzulernen.
„Irgendwann kam ich nach der Uni heim und vor meiner Wohnungstür stand ein Strauß roter Rosen. Ein großer; einer, den ein Verehrer schickt. „Es war keine Karte dran und kein Absender. Ich habe mich gefreut und ein bisschen aufgeregt überlegt, wer mir wohl Rosen schickt“, sagt Esther heute bedrückt. „Auf Martin bin ich gar nicht gekommen.“ Bis die SMS kam, in der er fragte, ob ihr die Blumen gefallen. Sie senkt den Blick als sie mir davon erzählt. So als schäme sie sich ein wenig, dass sie nicht selbst drauf gekommen war. Ein bisschen so, als sei sie mit Schuld an dem was dann kam. „Ich kann das Gefühl nicht beschreiben. Es war nicht so, dass ich dachte, er wolle etwas anderes als ich. Ich dachte eher, das ist so nicht richtig und hatte das erste Mal ein wirklich ungutes Gefühl“, sagt Esther im Flüsterton. „Das mit uns war über 8 Wochen her. Ich habe keinen Gedanken mehr an ihn verschwendet.“ Das sollte sich schneller ändern als der Studentin lieb war, denn das war nur der Anfang. Es kamen Blumen, Briefe, kleine Geschenke, SMS. Nachdem Esther ihren ehemaligen Liebhaber gebeten hatte, all das zu unterlassen, reagierte sie irgendwann nicht mehr auf seine Kontaktversuche. „Das hatte zur Folge, dass er Monologe geführt hat. Bei Whatsapp, bei Facebook, per SMS“, man merkt Esther ihr Unwohlsein an, als sie das erzählt. Sie blickt in die Ferne, versucht sich von der Erzählung zu distanzieren und berichtet – so nüchtern es ihr möglich ist – weiter. „Das wurde irgendwann unheimlich. In diesen Monologen war er teilweise zuckersüß und hat mir Komplimente gemacht, dann wieder gehässig, gemein und hat gedroht und mich beschimpft.“ Mit dem Begriff Stalking war die heute 28-jährige zuvor nie in Berührung gekommen. „Stalking ist ein hochsensibles Thema – dementsprechend schwierig ist es auch, von einem typischen Stalking-Ablauf oder von nur einer einzigen gültigen Stalking-Definition zu sprechen“, weiß Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des Weissen Rings.
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Matthias Haslauer
Bianca Biwer, Geschu00e4ftsfu00fchrerin des WEISSEN RING e.V.
Der gemeinnützige Verein unterstützt Kriminalitätsopfer und versucht Straftaten zu verhindern – auch im Bereich Stalking. Zum diesem Thema gibt es eine vom Weissen Ring geförderte Untersuchung der TU Darmstadt: Im Durchschnitt erstreckt sich Stalking über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren. Der Stalker verfolgt, belästigt und bedroht das Opfer mit einer auffälligen Beharrlichkeit und Intensität. Er zeigt sich zum Beispiel bewusst, ruft an oder schreibt SMS und E-Mail-Nachrichten. „Die Motivation des Stalkers kann vielschichtig sein. Oft stecken übersteigerte Macht-, Rache-, Liebes- oder auch sexuelle Bedürfnisse dahinter. Stalking ist kein Ereignis, sondern ein Prozess.“
Einen, den auch Esther hat erleben müssen. Insgesamt belästigte ihre ehemalige Liebschaft sie knapp anderthalb Jahre lang. Ein Zeitraum, der der jungen Frau heute wie eine halbe Ewigkeit vorkommt. Lange hat Esther ihre Sorgen mit sich allein ausgemacht, bis es an einem bestimmten Punkt nicht mehr ging. „Irgendwann habe ich mich einer Freundin anvertraut“, erzählt sie. „Er machte mir wirklich Angst. Plötzlich tauchte er überall da auf, wo ich mich aufhielt. An der Haltestelle meiner Uni, in meiner Lieblingsbar, beim Feiern im Club. Es war als hätte ich einen Schatten – er hat nie mit mir gesprochen, in einem Moment stand er da, im nächsten war er wieder weg.“ Esther hörte auf allein das Haus zu verlassen, fühlte sich getrieben. Wenn sie unterwegs war, blickte sie sich immer wieder um, vermutete Martin hinter jeder Straßenecke. „Er war wie ein Geist für mich geworden. Ich konnte mich gar nicht mehr daran erinnern, wann wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten; wann der reale Martin für mich in Erscheinung getreten ist“, sagt sie mit gesenktem Blick. „Aber die Briefe waren real, die Blumen, die Nachrichten. Ich wurde fast paranoid, woher wusste er, wo ich wann war? Und wie kam er immer wieder an meine neuen Handynummern?“ Irgendwann folgte die erste Drohung. „Er hatte mich mit einem Kollegen von meinem Aushilfsjob gesehen, irgendwo in der Stadt“, erzählt Esther bedrückt. „Er schrieb mir, mit welchem Mann ich Schlampe mich da rumtreiben würde und dass niemand mich haben solle, wenn er das nicht könne.“ Eine Reaktion, die nicht untypisch ist. „Die Übergänge zwischen unerwünschter Kontaktaufnahme, Belästigung und Bedrohung können fließend sein“, weiß Biwer vom Weissen Ring. „Für das Opfer, das in eine ganz massive Drucksituation gerät, hat Stalking derweil natürlich erhebliche psychische und physische Auswirkungen.“ So auch bei Esther. Sie wurde nahezu panisch, schlief nicht mehr, fühlte sich verfolgt und beobachtet. Da wusste sie längst, dass Martins Verhalten nicht mehr normal ist. Auch bei ihrer Freundin schrillten die Alarmglocken. Die hatte in ihrem Psychologiestudium mal einen Kurs über Stalking besucht und wusste um die Gefahr, die von einem Stalker ausgehen kann. „Irgendwann bin ich ausgerastet. Ich hab ihn angerufen und ins Telefon geschrien. Dass er ein krankes Arschloch ist und mich in Ruhe lassen soll, sonst würde ich ihn anzeigen.“ Eine Aktion, die Martin nur mehr in seinem Tun bestärkte. Das erkannte auch Esthers Freundin. „Sie sagte mir, dass das für ihn eine Reaktion war – ob negativ oder positiv sei egal. Aber sein Tun hatte Gehör gefunden, ich hatte mich bei ihm gemeldet.“ Also ging der Terror weiter. Und der Leidensdruck für Esther wurde von Tag zu Tag schlimmer. „Ich habe mich nicht mehr getraut, mich mit Freunden zu treffen“, erzählt sie. „Habe die Wohnungstür mehrfach abgeschlossen und immer wieder überprüft, ich hatte die Rollos ständig unten und hab mich dennoch nicht sicher gefühlt.
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Nach etlichen Monaten der Belästigungen hatte Esther genug. Sie wandte sich an eine Psychologin, die bereits Erfahrungen mit dem Thema hatte. Außerdem wechselte sie ihren Wohnort, löschte ihre virtuelle Spur im Netz, fing neu an. „Mein Studium war zu Ende und ich hatte mich bereits informiert, welche rechtlichen Schritte mir helfen könnten. Leider ist man als Stalkingopfer in Deutschland relativ auf sich allein gestellt.“ Ihr Umzug hätte eventuell ausgereicht, um rechtliche Schritte einzuleiten. „Aber ich war einfach müde, ich wollte nur weg und das all das aufhört“, sagt Esther. Man merkt ihr die Strapazen förmlich an.
Bisher hing die Strafbarkeit von der tatsächlich bewirkten Beeinträchtigung des Opfers ab. In der Regel wurde nur ein Umzug oder ein Wechsel des Arbeitsplatzes als Nachweis einer schwerwiegenden Beeinträchtigung anerkannt. Das heißt: Die Strafbarkeit hing also nicht von der tatsächlich verursachten Beeinträchtigung des Opfers ab, sondern allein davon, wie das Opfer ihr zu entfliehen versuchte. Ein Fakt den die Verantwortlichen beim Weissen Ring seit jeher kritisch gesehen haben. Von Seite des Vereins wurde sich immer wieder dafür eingesetzt, dass ein neuer Gesetzesentwurf beschlossen werden muss. „Der im Dezember 2016 vom Bundestag beschlossene Gesetzesentwurf, der auch bereits im Bundesrat beraten wurde, trägt dem Rechnung: Es soll zukünftig ausreichen, dass die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet ist, die Lebensumstände des Opfers gravierend zu beeinträchtigen“, weiß Bianca Biwer. „Nicht mehr notwendig ist, dass zur Ahndung der Tat ein tatsächlicher Erfolg des Stalkers nötig ist und das Opfer seine Lebensumstände ändert. Die Strafbarkeit des Täters soll also nicht mehr von der Reaktion des Opfers auf die Tat abhängen.“
Für Esther ist das in ihrer ganz persönlichen Situation erst einmal egal. „Ich freue mich, dass sich in dem Bereich etwas tut“, sagt sie noch immer ein wenig müde. „Aber ich wollte einen schnellen Weg und den habe ich selbst gewählt.“ Im Nachhinein hat die junge Frau herausgefunden, dass Martin noch versucht hat über Freunde ihren Aufenthaltsort herauszufinden. „Die hatte ich zum Glück gebrieft.“ Die ganze Geschichte ist mittlerweile fast zwei Jahre her. Vor kurzen hat Esther gehört, das Martin eine neue Freundin habe. „Ich kann nicht sagen, dass ich erleichtert war. Ich hatte eher ein mulmiges Gefühl – was passiert, wenn diese Frau die Beziehung beendet? Muss sie das gleiche Martyrium wie ich durchleben?“, Esther klingt besorgt. Sie führt heute ein halbwegs normales Leben, hat einen neuen Mann kennengelernt, der mittlerweile von ihrer Vergangenheit weiß. „Es gibt Situationen, da schrecke ich auf oder blicke mich um, zum Beispiel wenn ich meine Tür aufschließe und ein Geräusch höre. Aber ich hoffe auch das hört bald auf“, sagt Esther ein wenig selbstbewusster. „Ich habe lange genug gelitten, dabei ist Martin, der Kranke von uns beiden – nicht ich.“
*Die Namen wurden aus Sicherheitsgründen und auf Wunsch des Opfers von der Redaktion geändert

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