Neulich habe ich angefangen, im Internet mit einem neuen Typen zu chatten, bei dem ich dieses Kribbeln spürte. Diese ganze Energie, die den Beginn einer neuen, aufregenden Beziehung ankündigt. Ich war völlig unvorbereitet, als er plötzlich die Bombe platzen ließ: Er hatte Genitalherpes.
Als wir uns dann live trafen, wurden wir sehr schnell miteinander intim, hatten aber keinen Sex. Er sagte, ich könne mir so viel Zeit lassen, wie ich brauche. Er hatte sich als Jugendlicher mit Herpes angesteckt und war es gewohnt, mit den Gefühlsausbrüchen und gemischten Reaktionen seiner Partnerinnen umzugehen. Das erklärt, warum er so geduldig mit mir war. Die Tatsache, dass er bei diesem nicht gerade unwichtigen Thema ehrlich gewesen war, bevor wir uns überhaupt getroffen hatten, war der Beweis, dass man ihm vertrauen konnte. Vielleicht lief ich ihm deshalb weiter nach.
Es verging eine Woche, in der wir weiter auf Sex verzichteten, obwohl wir uns zu dem Zeitpunkt schon fast täglich trafen. Als Frau mit einer tiefsitzenden Angst vor HIV und jeder Menge Aufklärung zu diesem Thema im Kopf stellte ich fest, dass ich die Auswirkungen des Herpes-Simplex-Virus (HSV) noch nicht sehr gründlich studiert hatte. Also beschloss ich, mein Wissen über diese übertragbare Geschlechtskrankheit zu vertiefen. Wie sich herausstellte, gab es vieles, was ich nicht wusste.
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ER HATTE GENITALHERPES.
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Was ich wusste, war, dass ich oralen HSV-1 habe, der sich meist in Form von Bläschen am Mund zeigt, aber mein Partner war sich nicht sicher, ob er HSV-1 oder HSV-2 hatte. Fälschlicherweise wird oft angenommen, dass HSV-1 ausschließlich den Mund und HSV-2 ausschließlich die Genitalien befällt. Auch wenn es stimmt, dass Symptome an den Genitalien meist durch HSV-2 ausgelöst werden: Man kann sich sowohl „oben“ als auch „unten“ mit beiden Herpesformen infizieren. Was mich, vereinfacht gesagt, zu dem Schluss führt, dass eine Unterscheidung zwischen oraler und genitaler Infektion eigentlich sinnlos ist. Wenn man das Virus asymptomatisch mit jedem Körperteil auf jedes Körperteil eines anderen Menschen übertragen kann – ist dann nicht jede Herpesform oder jede Körperstelle einfach nur... Herpes?
Wichtig ist auch zu wissen, dass das HSV im zentralen Nervensystem lebt, wo es so lange „schlummert“, bis sich eine gute Gelegenheit bietet, um herauszukommen und sich zu vermehren – etwa, wenn das Immunsystem geschwächt ist. Die Ausbrüche sind nur Ausdruck eines inneren Virus – das Virus lebt nicht auf der Haut selbst. Nicht jede infizierte Person zeigt Symptome; was aber nicht bedeutet, dass man das Virus nicht trotzdem auf Andere übertragen kann. Tatsächlich trägt eine Mehrheit der Amerikaner mindestens eine Form des Herpes-Virus' in sich. Man kriegt es durchs Küssen, Vögeln und wenn man aus demselben Glas trinkt – also im Prinzip durch jeglichen Kontakt mit Schleimhäuten.
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JE ÖFTER ICH MIT MEINEM PARTNER ÜBER HERPES SPRACH, DESTO MEHR WURDE MIR KLAR: DAS SCHLIMMSTE AN DER GANZEN HERPES-PROBLEMATIK IST NICHT DIE GESCHLECHTSKRANKHEIT AN SICH, SONDERN DAS GESELLSCHAFTLICHE STIGMA.
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Nachdem ich meine Hausaufgaben zum Thema Herpes gemacht hatte, fühlte ich mich unglaublich verwundbar. Wenn jeder sechste Amerikaner Genitalherpes hat, dann musste ich angesichts der vielen Partner, die ich vor meiner neuen Liebe gehabt hatte, sicher irgendwann mit einem Infizierten in Kontakt gekommen sein. Ich fragte mich: Wäre es nicht lächerlich, körperliche Intimität mit jemanden, zu dem ich starke Gefühle habe, zu meiden, wo ich doch höchstwahrscheinlich selbst längst dem Virus ausgesetzt war und es in irgendeiner Form in mir trug?
Je öfter ich mit meinem Partner über Herpes sprach, desto mehr wurde mir klar: Das Schlimmste an der ganzen Herpes-Problematik ist nicht die Geschlechtskrankheit an sich, sondern das gesellschaftliche Stigma. Mein neues Wissen über Herpes ließ mich eine Entscheidung treffen: Ich würde mit diesem Typen Sex haben. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon echte Gefühle für ihn und wollte keinen Rückzieher machen.
Ich nahm Ergänzungsmittel ein, die das Immunsystem stärken (obwohl sich die Forscher uneins sind, ob sie vor Herpes schützen) und achtete darauf, dass er seine Herpes-Medikamente nahm, die das Übertragungsrisiko und auch die Häufigkeit der Ausbrüche verringern. Dann nahmen wir unser Sexleben ohne großes Kopfzerbrechen einfach in die Hand. Kondome waren dabei das A und O. Wir beschlossen, überwiegend monogam zu bleiben und einigten uns darauf, dass wir uns mit niemand anderem treffen würden, wenn wir beide in derselben Stadt sind.
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MEIN NEUES WISSEN ÜBER HERPES LIESS MICH EINE ENTSCHEIDUNG TREFFEN: ICH WÜRDE MIT DIESEM TYPEN SEX HABEN.
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Nachdem die Beziehung vorbei war (was nichts mit Geschlechtskrankheiten zu tun hatte), wollte ich mich auf HSV-2 testen lassen, aber mein Arzt sagte, die Ergebnisse würden nicht eindeutig sein, weil es so lange dauert, bis sich Antikörper bilden. Ich solle besser noch ein paar Monate warten. Ich fing an, mir Sorgen zu machen. Sollte ich meinen neuen Partnern nun verraten, dass ich eventuell Genitalherpes hatte, oder nicht? Nach einer langen Diskussion über ethische Aspekte von Herpes waren sich mein Arzt und ich einig, dass es unnötig sei, meinen künftigen Partnern davon zu erzählen – weil die meisten sexuell aktiven Erwachsenen sowieso ebenfalls Herpes haben. Es wäre so, als würde ich jedem erzählen, dass ich vielleicht Grippe habe, aber keine Symptome. Es handelte sich also um eine bloße Möglichkeit.
Stattdessen holte ich nun alle paar Tage den guten alten Handspiegel heraus und suchte meinen Genitalbereich nach Auffälligkeiten und Unebenheiten ab (Meistens war es einfach nur nett, mich aus einem so direkten Winkel mit mir selbst bekannt zu machen!). Bislang habe ich nichts Verdächtiges bemerkt.
Bevor ich mit jemandem Sex haben konnte, der Genitalherpes hat, musste ich das durchaus reale Risiko einer Ansteckung akzeptieren – und ich musste entscheiden, ob das für mich okay wäre. Wenn wir kein großes Aufheben um Lippenbläschen machen, warum dann der ganze Wirbel, wenn die gleichen Bläschen unterhalb der Gürtellinie auftauchen? Neulich hat mir jemand erzählt, dass er HPV (humane Papillomviren) habe, was aber „nicht so gruselig wie Herpes“ sei. Worauf ich antwortete: „Wenn du bisher mit mehr als fünf Personen Sex gehabt hast, kann es gut sein, dass du schon mal mit Herpes in Kontakt gekommen bist.“
Wenn wir hinter das mit Herpes verbundene Stigma blicken, sehen wir, wie normal das in Wirklichkeit ist. Dann können wir die Scham beseitigen, die Menschen empfinden, die Herpes haben. Wann immer euch Menschen begegnen, die Herpes stigmatisieren, dann schämt euch nicht, sondern klärt sie lieber auf.
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