Kennt ihr diese Tierdokus, in der zwei Gazellen anmutig durch ihre natürliche Umgebung tänzeln? Dann schwenkt die Kamera nach unten und fängt ein Erdmännchen ein, das leicht panisch, aber bemüht versucht, Schritt zu halten? Genau so fühle ich mich, wenn ich mit meinen Kolleginnen jogge.
Als wir uns vor zwei Jahren für einen Zehn-Kilometer-Lauf anmeldeten, ahnte ich noch nicht, dass ich jemals weiter laufen würde als bis zum nächsten Späti. Ich bin 1,60 Meter groß, normalgewichtig und habe kurze Beine. Meine Kolleginnen nicht. Sie sind Gazellen. „Ist doch super!“, meinte Kollegin Eins zum Laufplan. „Dann können wir immer nach Feierabend nach Hause joggen!“, stimmte Kollegin Zwei mit ein. „Oder morgens zum Office“.
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Ich nickte enthusiastisch. Meine Gefühle brauchten da bereits ein Sauerstoffzelt. „Joggen? Du? Come on!“, rief mir mein Unterbewusstsein mit der betont lässigen Attitude eines Lederjacke-tragenden Thomas Hayo zu. Überhaupt schloss ich mich der Laufgruppe nur an, weil ich gerade neu im Team war und mir insgeheim wünschte, dass aus Kolleginnen so Lieblingskolleginnen werden würden. Wie ein Erdmännchen, das sich nun mal wohler fühlt, wenn es in guter Gesellschaft ist. Dass das der Tag war, der meinen Alltag – und meine Oberschenkel – für immer verändern würde, konnte ich damals noch nicht ahnen.
Heute laufe ich regelmäßig. Meine Beine haben einen Zehn-Kilometer-Lauf überstanden. Ich, ja, wirklich ich, lief über die Ziellinie. Ausgerechnet ich. Eine Person, die vor jeden Bundesjugendspielen Heulkrämpfe bekam, nie werfen konnte, beim Völkerball panische Angst davor hatte, den Ball ins Gesicht geschmettert zu bekommen und immer erst als Letzte ins Team gewählt wurde. Ich, die nie genügend Ehrgeiz für Mannschaftssportarten entwickeln konnte, schon als Kind kein Rad schlagen und im Schwimmunterricht als Einzige in der Klasse nicht mal das Bronze-Abzeichen ertauchen.
Die zehn Kilometer mit meinen Kolleginnen waren keine Bestätigung, sondern eine Aufforderung zur Selbstliebe. Vor allem adressiert an meine Beine, die ich hasste, seit mir ein Onkel im Alter von neun Jahren verkündete, dass sie „nun ja, schon etwas mehr“ seien. Eigentlich ist es beinahe ironisch, dass ich im Zeitalter der Skinny Jeans Teenager wurde. Jeder Blick in den Spiegel war ein kleiner Kampf. Irgendwann wurde ich älter und beschloss, dem Problem elegant aus dem Weg zu gehen, indem ich einfach nie wieder Hosen trug.
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Mit Mitte Zwanzig stieg ich zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder in eine: meine Sportleggings und zwar genau an dem Tag, als ich das erste Mal mit meinen Kolleginnen laufen ging. Der Erdmännchen-Tag.
Das bedeutet nicht, dass ich durch eine Art sportlich motivierte Zauberkugel schritt und am Ende mit einer fetten Portion Selbstwertgefühl wieder herauskam. Ich kämpfte auch noch nach einem Jahr als Joggerin mit mir selbst, meiner Selbstwahrnehmung und den vermeintlichen Blicken der anderen.
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Das bedeutet nicht, dass ich durch eine Art sportlich motivierte Zauberkugel schritt und am Ende mit einer fetten Portion Selbstwertgefühl wieder herauskam.
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Anfangs hatte ich sogar Panik, alleine zu joggen. Nicht, weil ich keine Kondition hatte, sondern weil ich mir einfach nur bescheuert vorkam. Schwitzend. So irgendwie gar nicht farblich abgestimmt und auf jeden Fall ganz anders als die #SundayRunday-Frauen in meiner Instagram-Timeline. Außerdem trug ich ja eine Hose. Meinen ersten Lauf ohne meine Kolleginnen überstand ich nur, weil mir mein Freund erklärte, dass ich mir die Welt kurz wie ein Computerspiel vorstellen soll: „Jeder, der nicht joggt, ist ein Non-Player. Du blickst einfach durch sie hindurch und sie tun dasselbe.“
Natürlich wäre ein „Lia, in Berlin guckt dich nicht mal jemand schräg an, wenn du mit einem Pony U-Bahn fährst“ ehrlicher gewesen, aber wofür hat man schließlich Herzensmenschen.
Ich gewöhnte mich an den Anblick meiner Beine. Nicht im Alltag, aber an meine Beine in einer Sportleggings. Außerdem lernte ich, dass Sport in meinem Leben ohne den Zwang, die Letzte in der Gruppe zu sein, eine Bereicherung ist. Ich begeisterte mich fürs Laufen, für Hot Yoga, später sogar für Crossfit.
Heute mache ich viermal pro Woche Sport und bin trotzdem weit entfernt davon, auszusehen, wie die Frauen unter dem Hashtag #fitspo. Ja, mein Körper ist stärker und definierter als noch vor zwei Jahren. Trotzdem würde ich auch in Bras mit Schnüren am Rücken und der farblich dazu passenden Sporthose in Pastellfarben immer noch nicht so aussehen wie die Yogagirls bei Instagram. Lange Zeit empfand ich das – zumindest still und heimlich – als Betrug. Warum zur Hölle stehe ich um sechs Uhr morgens auf und werde dafür nicht mit wenigstens einem Anflug von Gazellenbeinen belohnt?
Das ist natürlich bescheuert und glaubt mir, das weiß ich selbst am besten. Dagegen hilft, sich selbst hin und wieder mal mit Schmackes die flache Hand gegen die Stirn zu knallen. Gerade das Instagramfoto zu posten, obwohl man kein Thigh Gap hat und eben auch Schultern und ja, einfach Oberschenkel. Denn es sind meine Beine, die mich damals zehn Kilometer weit getragen haben und gerade erst durch einen ganzen Halbmarathon.
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