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Hört auf meine Tattoos anzufassen!

Foto: Beth Sacca
Zugegeben, die Situation war eh etwas angespannt. Ich stand gemeinsam mit schätzungsweise 500 Menschen im Mittelgang eines Flugzeuges, dessen Größe eher an die eines Flugsimulators erinnerte. Gemeinsam sollten wir alle gleich in dieser winzigen Sardinenbüchse über die Alpen fliegen. Wie immer hatten 80 Prozent der Fluggäste zu viel Handgepäck dabei, welches nun mühsam in die dafür vorgesehenen Ablage gestopft wurde. Ich wartete sehr ungeduldig darauf, dass eine Frau Mitte Fünfzig ihren froschgrünen Hartschalenkoffer endlich verstaute, als mir plötzlich aus dem Nichts eine Hand entgegen schnellte, an meinem Arm herumnästelte und sogar mein T-Shirt Ärmel etwas nach oben schob. Verwirrt blickte ich mich um, entdeckte einen mit sich sehr zufrieden wirkenden älteren Herren auf einem der Sitzplätze und starrte ihn mit offenem Mund an. Ich war in dem Moment leider so perplex, dass ich gar nichts sagen konnte. Mein Blick sprach offensichtlich Bände, denn der Herr sagte mit fröhlicher Stimme: „Ich wollte nur mal gucken. Hübsch.“
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Später, als ich schon längst an meinem Platz saß und wir über schneebedeckte Berge flogen, fand ich endlich die richtigen Worte für den Mann. Leider war es da bereits zu spät. Ich wusste gar nicht mehr, wie der Typ aussah, und außerdem wäre es auch reichlich albern, eine Stunde später zu seinem Platz zurückzugehen und ihm Folgendes zu sagen:

Ich bin kein Zootier und das hier ist kein Streichelzoo.

„Man fasst andere Menschen niemals an, wenn man vorher nicht um Erlaubnis gefragt hat, auch nicht wenn sie Kunst auf der Haut tragen. Ich habe meine Tattoos nicht zu deiner Belustigung“ – als Ausdruck meiner Wut hätte ich ihn natürlich geduzt, ist klar – „und nur weil da ein Bild ist, heißt das noch lange nicht, dass man es auch anfassen darf. Mich interessiert auch nicht, ob du meine Tattoos schön/unpassend/zu viel/gruselig findest. Wir können uns nicht aussuchen, in welchem Körper wir geboren werden, ihn mit Kunst zu verschönern, gibt zumindest mir etwas Selbstbestimmung zurück. Ich gestalte meinen Körper damit aktiv so, wie ich ihn haben möchte. Ich tue das nicht, um dir oder anderen – besonders Männern – zu gefallen oder eine Abwechslung im sonst so tristen Alltag zu bieten. Wie absurd ist es überhaupt, eine völlig fremde Person einfach so ohne Vorwarnung anzufassen? Das Internet ist voller Tattoos, man muss also nicht wildfremde Menschen belästigen, wenn man sich für das Thema interessiert. Und überhaupt, wieso muss man Tattoos überhaupt anfassen? Die sind 2D! Überraschung, die fühlen sich an wie Haut.“
All das hätte ich ihm gerne gesagt. Stattdessen schaute ich missmutig aus dem kleinen runden Fenster und schlürfte sehr energisch an meinem überteuerten Wein. Diese Situation ist kein Einzelfall, denn ich werde leider ständig von Fremden angefasst und nach meinen Tattoos ausgefragt, auch wenn ich absolut gar keinen Bock darauf habe, gerade die Bahn kriegen muss oder schwere Einkaufstüten schleppe. Wenn ich keine Lust habe, zum 1000. Mal zu erklären, wieso da eine Pizza auf meinem Arm ist, reagieren die Leute oft wütend. Als wäre ich ihnen eine Erklärung schuldig. Bin ich aber nicht, denn auch bei Tattoos gilt: mein Körper, meine Regeln. Ich bin niemandem zur Auskunft verpflichtet und sowieso darf ich das Gespräch auch jederzeit abbrechen oder eine intensive Inspektion meiner bunten Haut verweigern. Ja, aber wer sich tätowieren lässt, der/die muss doch mit solchen Situationen rechnen, mag manch eine*r denken. Ganz ehrlich, mit so massiven Grenzüberschreitungen habe ich nicht gerechnet. Ich war ernsthaft schockiert, als es das erste Mal passierte und verstehe bis heute nicht, wie man sich so verhalten kann. Dabei gibt es durchaus Mittel und Wege, sich einer tätowierten Person respektvoll zu nähern und ihre Kunst zu bestaunen, ohne sich dabei wie ein Volldepp aufzuführen. Hier ein wirklich sehr einfacher Guide, den sich jede Person wirklich dringend einprägen sollte:
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1. Du hast also eine tätowierte Person entdeckt und findest sie interessant. Hör bitte auf zu starren, das ist sehr unangenehm. Stattdessen kannst du in einem angemessenen Abstand gerne gucken, aber nicht starren, nicht mit dem Finger auf sie zeigen oder auf sie zurennen und einfach mal anfassen. Kleiner Tipp, die Intimdistanz eines jeden Menschen variiert zwar, beträgt aber meistens so um die 50 cm.
2. Wenn dir Punkt eins nicht ausreicht, weil du wirklich sehr, sehr neugierig bist, Dinge nur durch Anfassen begreifst oder gerade darüber nachdenkst, dir ein ähnliches Tattoo stechen zu lassen, dann kannst du gerne auf die Person zugehen. Spreche sie direkt an, stelle dich vor und frage sie nach den Tattoos. Rühre die Person nicht an und ziehe nicht an ihren Klamotten. Die Person wird dir die Tattoos zeigen, die sie dir zeigen will, alle anderen eben nicht. Akzeptiere es, die Welt wird sich trotzdem weiterdrehen.
3. Wenn du zu schüchtern für Punkt zwei bist, dann hast du Pech gehabt. Starre trotzdem nicht.
4. Akzeptiere bitte, wenn die Person nicht über ihre Tattoos sprechen möchte. Viele sind allerdings sehr stolz auf ihre Körperkunst und reden deshalb gerne darüber. Die meisten Menschen sind auch wirklich super nett, wenn man das Gespräch beispielsweise mit einem geschmackvollen Kompliment über ihre hübschen Tattoos beginnt.
Wenn du diese Tipps einhältst, ist es relativ unwahrscheinlich, dass du deinen tätowierten Mitmenschen ungewollt auf den Sack gehst. Vielen Dank für deine Aufmerksamkeit.
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