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Bisschen peinlich, aber wirkungsvoll: So war es beim Tantra-Workshop

Foto: Meg O'Donnell
Ein ganz normaler Freitagabend: Während meine Freund*innen sich gerade auf ein paar Drinks in unserer Lieblingsbar treffen oder auf dem Sofa abhängen, um Dirty John zu bingen, sitze ich im Lotussitz auf einer Gymnastikmatte und warte darauf, dass der tantrische Orgasmus-Kurs losgeht.
Dort sitze ich, weil meine Freundin mich gefragt hatte, ob ich nicht Lust hätte, mit ihr zu einem Workshop in ihrem Yogastudio zu gehen, der mich auf eine „orgasmische Reise“ mitnehmen soll. Klar habe ich Lust. Und vor allem bin ich neugierig: Wird der Kurs wie eine Gruppenorgie aus der Dokumentation Wild Wild Country über die Anhänger*innen des Bhagwan? Werde ich neben einer alten Frau mit wehendem Achselhaar sitzen, die 18 Stunden lang einen Orgasmus haben konnte, indem sie ihren Partner einfach nur umarmt? Ich werde es gleich erfahren.
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Unsere beiden Lehrerinnen wollen uns mit auf einen Weg nehmen, der in drei Lektionen zum Orgasmus führen soll. Sie versprechen uns „eine Reise hin zu mehr Genuss, mehr Erfüllung, besserer Eigenwahrnehmung und Glück“. Na, das sind ja Aussichten. Ich würde mich zwar als sexuellen Menschen beschreiben, der im Schlafzimmer gerne mal neue Sachen ausprobiert. Eine spirituelle Herangehensweise wie Tantra ist mir bis zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht untergekommen.
Der Workshop beginnt damit, dass die Lehrerinnen Marilena und Kate uns durch eine Meditation führen, bevor es dann tantra-lastiger wird. Zunächst wollen sie mit dem Märchen aufräumen, dass es beim Tantra nur um Sex ginge. Vielmehr handele es sich um eine spirituelle Übung, die darauf abzielt, uns ein Set an Werkzeugen an die Hand zu geben, das, wenn wir einmal gelernt hätten, es einzusetzen, zur Befreiung führen soll. (Bitte hab an dieser Stelle etwas Nachsicht mit mir, es wird gleich wieder etwas handfester.) Jedes Set von Werkzeugen nutzt verschiedene Energien, um der anwendenden Person Zugang zu einem höheren Bewusstsein zu verschaffen. Bei Tantra geht es in erster Linie darum, in unserem Geist, unserer Seele und unserem Körper präsenter zu sein. So sollen wir Kraft in der Verletzlichkeit finden, unseren inneren Kritiker zum Schweigen bringen und all die verschiedenen Bestandteile akzeptieren lernen, die uns zu dem machen, was wir sind.
Tantra soll die Grenzen zwischen Sex und „dem Schönen und Erhabenen“, wie meine Lehrerinnen es formulieren, einreißen. Diese beiden Welten werden laut ihnen in der westlichen Welt oft als sich gegenseitig ausschließend wahrgenommen. Marilena sagt, dass Erotik in unserer Gesellschaft als „eine verrückte Sache“ gelte, die „hinter verschlossenen Türen stattfindet, obwohl jede*r daran interessiert ist. Trotzdem will aber niemand wirklich offen darüber reden“. Sie fügt hinzu, dass dieser Fakt die Heuchelei einer geschätzt 97 Milliarden Dollar schweren Pornobranche noch obszöner mache.
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Dann geht es weiter mit der Unterscheidung zwischen „Sex haben“ und „Liebe machen“. Viele von uns werden das leider schon einmal erlebt haben: seelenlosen Sex, bei dem du dir die Risse in der Zimmerdecke ansiehst und dich fragst, ob der Raum mit ein paar Pflanzen hübscher aussehen würde. Am andere Ende der Skala ist „Liebe machen“ für viele zum Synonym für „sich sehr lange gegenseitig sehr zärtlich anfassen und verliebt in die Augen schauen, während im Hintergrund You’re Beautiful von James Blunt in Dauerschleife läuft“. Tantra möchte diese Lücke schließen und uns zu einem Sexleben verhelfen, dass eine tiefe Verbindung zu unsere*r Partner*in zulässt, aber gleichzeitig auch leidenschaftlich ist.
Ich finde zwar, dass das eine sehr vielversprechende Idee ist, scheitere aber in der Realität schon an den Basics. Eine Vagina wird beim Tantra „Yoni“ genannt und für heilig und anbetungswürdig erklärt. Uns wird sogar gesagt, wenn wir wollten, könnten wir einen Schrein für unsere Yoni bauen. Ich persönlich denke nicht, dass ich darauf Lust habe. Als unsere Lehrerinnen in die Gruppe fragen, wann das letzte Mal gewesen sei, dass wir uns selbst im Spiegel bewundert hätten, herrscht Schweigen. Deswegen geht es weiter mit dem nächsten Programmpunkt: Wir schauen uns alle zusammen eine künstlerische Darstellung von Yonis auf einer riesigen Leinwand an, um wieder Zugang zu unserer eigenen zu finden.

Eine Vagina wird beim Tantra „Yoni“ genannt und für heilig und anbetungswürdig erklärt. Uns wird sogar gesagt, wenn wir wollten, könnten wir einen Schrein für unsere Yoni bauen. Ich persönlich denke nicht, dass ich darauf Lust habe.

Uns werden aufeinanderfolgende Aquarellbilder von promiskuitiv prallen Tulpen und suggestiv üppigen Früchten gezeigt, und ich kann anerkennen, dass das schöne Bilder sind. Dann kommt plötzlich – bumm! – ein riesiges Bild einer nassen Yoni auf die Leinwand, begleitet von zwei saftigen Granatäpfeln. Wir werden gefragt, wie wir uns dabei fühlen. Die Antworten reichen von peinlich berührt und unangenehm bis hin zu kraftvoll, feminin und schön. Und meine Antwort? Ich würde sagen, widersprüchlich. (Es ist keine Tulpe.) Marilena fasst es perfekt zusammen: „Es ist beängstigend, wenn die Lichter in einem Bereich unseres Lebens eingeschaltet werden, in dem sie normalerweise ausgeschaltet sind.“
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Unsere Lehrerinnen sagen, dass diese Unbeholfenheit auf die Sexualerziehung zurückzuführen ist. Ob wir also bereit wären, wieder zur Schule zu gehen? Wir alle kennen den G-Punkt und den klitoralen Orgasmus, aber mir war nicht bewusst, dass wir einen A-, P- und U-Punkt haben, bei deren Stimulation jeweils ein anderes Gefühl entsteht. Als ich meine Freund*innen frage, ob sie wüssten, wo der Unterschied liegt, bekomme ich ein einhelliges Nein zu hören, das mich nicht verwundert. Meine eigene sexuelle Aufklärung umfasste im Grunde eine einfache Message: Wenn du Sex hast, wirst du schwanger werden und dann ist dein Leben vorbei. Dass Sex auch angenehm ist, wurde vollkommen ausgeklammert. Als die Kursleiterinnen dann anfangen, davon zu reden, wie der Gebärmutterhals penetriert werden kann, bin ich alarmiert. Um die Aufregung im Raum herunterzufahren, sagen sie dann aber, dass der Penis nicht in den Gebärmutterhals eindringen kann, dieser jedoch durch Berührungen oder das Klopfen eines gut ausgestatteten Partners stimuliert werden kann – obwohl dies anfangs meist schmerzhaft ist.
Nachdem sie uns unsere (vielen) Wissenslücken aufgezeigt haben, beenden die beiden die erste Hälfte des Workshops mit einer Übung, bei der wir uns auf den Rücken legen und unsere Beckenbodenmuskulatur für etwa sieben Minuten zusammenziehen. Danach werden wir gefragt, wie wir uns fühlen. Eine Frau berichtet völlig atemlos, wenn die Meditation noch länger gedauert hätte, wäre sie zum Orgasmus bekommen.
Jetzt scheint eine gute Zeit für eine Pause zu sein.
In der zweiten Hälfte wird es noch experimenteller. Unsere Lehrerinnen erklären uns, wie wichtig die „Verwandlung“ beim Tantra sei und wiederholen mehrfach, dass es von großer Bedeutung ist, uns selbst und unsere Partner*innen als Götter und Göttinnen im Schlafzimmer zu betrachten und unsere sexuelle Energie zu nutzen, um zu höheren Seinszuständen zu gelangen. Als Übung sollen wir einige Minuten barfuß durch den Raum gehen und uns dann, nachdem wir angehalten haben, der Frau zuwenden, die am nächsten zu uns steht. Ihr schauen wir dann fünf Minuten in die Augen, während wir sie als Göttin betrachten, ihre Schönheit anerkennen und sie mit Gutherzigkeit bedenken. Diese unglaublich unangenehme Situation müssen wir nicht nur einmal, sondern ganze vier Mal wiederholen. Zunächst konnte ich die plötzliche Intimität kaum aushalten und war immer erleichtert, wenn meine Partnerin und ich den Blickkontakt abbrachen und uns umarmten. Wir Frauen haben leider immer noch die Tendenz, einander zu kritisieren und miteinander zu vergleichen, was zu einem Gefühl des Getrenntseins führt. Sobald wir diese Beurteilungen sein lassen, fühlen wir uns miteinander verbundener. Und je öfter wir das miteinander üben, desto einfacher wird es.
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Indem ich die Schranken in meinem Kopf abbaute, begann ich, Mitgefühl mit den anderen Teilnehmerinnen zu empfinden und mich somit auch selbst zu akzeptieren.

Als nächstes legen wir uns auf eine Matte und legen eine Hand auf unser Herz und eine Hand über unsere Yoni, um die Verbindung zwischen den beiden zu spüren. Dann werden wir angewiesen, unseren Körper langsam und zärtlich mit den Fingerspitzen zu streicheln. Der Kurs endet damit, dass wir einen großen Kreis auf dem Boden bilden und uns gegenseitig umarmen. Obwohl ich meine Komfortzone komplett verlassen habe und in unangenehme Situationen gebracht wurde, fühle ich mich danach gleichzeitig ruhig und voll frischer Energie, ein bisschen so, als hätte ich meine Schutzmauer fallen gelassen.
Während ich immer noch mit den Begrifflichkeiten im Tantra von Göttern, Göttinnen und heiligen Yonis kämpfe, haben mir viele Elemente der Lehre sehr gut gefallen. Tantra ermutigt Frauen dazu, ihren Körper vollkommen anzunehmen und sich in ihm machtvoll zu fühlen. Gar keine leichte Aufgabe, wenn man bedenkt, dass wir es eigentlich gewohnt sind, sie täglich zu überwachen und zu kontrollieren. Indem ich aber die Schranken in meinem Kopf abbaute, begann ich, Mitgefühl mit den anderen Teilnehmerinnen des Workshops zu empfinden, was sich in einer größeren Akzeptanz meiner selbst manifestierte. Ich finde es toll, mich mehr mit meinem Körper zu beschäftigen und für all die verschiedenen Nuancen von Sinnlichkeit empfänglich zu sein, ohne von der Intensität des Moments davongetragen zu werden. Die wichtigste Erkenntnis für mich ist aber, dass ich jetzt weiß, dass ich einen A-, P- und U-Punkt habe.
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