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Warum ich in Zukunft öfter mal stolz auf mich sein will

Foto: Rockie Nolan
Gestern bin ich um sechs Uhr früh aufgestanden und eine Runde laufen gegangen. Als ich danach, frisch geduscht und eine Tasse Kaffee in der Hand, in der Küche stand, war ich stolz auf mich. Ich komme seit Wochen morgens nicht raus und habe in neun von zehn Fällen die Snooze-Taste meinem Ehrgeiz vorgezogen. Das Gefühl von Stolz ist in diesem Zusammenhang eventuell etwas überzogen, andererseits: Wann bin ich schon mal stolz auf mich?
Oder leicht entschärft gesagt: Wann habe ich mir eigentlich das letzte Mal gedanklich selbst auf die Schulter geklopft und mir selbst gesagt „Das hast du gerade gut gemacht, Lisa“? Es fällt mir unheimlich schwer, meine Leistungen zu wertschätzen. Zum einen, weil ich immer schon das nächste Ziel vor Augen habe und das Erreichte nur ein Stopp auf dem Weg zu sein scheint. Zum anderen, weil es immer jemanden gibt, der*die schon vermeintlich zehn Schritte weiter ist.
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Verglichen haben sich die Menschen schon immer und das ist gewissermaßen auch gut so; es treibt uns schließlich an. Wenn wir aber nur noch darauf schauen, was unser Gegenüber erreicht hat und wo er*sie uns voraus zu sein scheint, ist es wie bei einer Medizin, deren heilende Wirkung bei Überdosierung ins Gegenteil umschlägt: Wir sind plötzlich gelähmt. Ich muss nur drei Sekunden über den Bildschirm meines Smartphones wischen, um jemanden zu finden, der*die jünger, erfolgreicher, zufriedener und ausgeglichener ist und mehr Follower auf Instagram hat als ich. Das letzte Beispiel ist freilich eine Überspitzung und doch das perfekte Sinnbild für unsere Gesellschaft.
Denn vermeintlicher Erfolg und Zufriedenheit lässt sich immer weniger an physischen Parametern wie etwa Geld messen. Wir sind inzwischen so post-alles, dass wir nach blauen Daumen und roten Herzen jagen, die in Wirklichkeit eine Folge von Nullen und Einsen sind. Wie soll man da jemals zufrieden sein?
Ein weiteres Problem bei meiner Suche nach Zufriedenheit ist auch das Berufsfeld, das ich mir ausgesucht habe. Als Modejournalistin und PR-Beraterin rette ich keine Leben. Ich berichte nicht live aus Krisengebieten und enthülle auch eher selten Staatsgeheimnisse. Nein, ich schreibe und informiere über Röcke, neue Trends, Designer, Modehäuser und unterstütze dabei die zweitdreckigste Industrie unserer Erde. Ich liebe meinen Beruf und habe ihn mir bewusst ausgesucht. Neben den ganzen Jurist*innen, Ärzt*innen und Lehrer*innen in meinem Freundeskreis fühle ich mich jedoch regelmäßig wie ein kleiner Lurch, der sein spaßiges Hobby zum Beruf gemacht hat.
Den Einwand meiner alten PR-Chefin, dass wir die Wirtschaft am Laufen halten und somit unseren Teil zum Bruttoinlandsprodukt der BRD beitragen, hielt ich schon damals für einen schwachen Trost und eine ziemlich hanebüchene Legitimierung für unser Tun.
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Außerdem verstehen meine Eltern scheinbar noch immer nicht so recht, womit genau ich eigentlich meine Brötchen verdiene. Das Ergebnis ist ermüdendes und pausenloses Kämpfen um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Vielen meiner Freund*innen geht es ähnlich. Klassische Berufe werden mehr und mehr abgeschafft, da kommt die Generation vor uns teilweise nicht mehr mit. Solide ist das, was die meisten meiner Freund*innen in Berlin tun, sicherlich nicht. Ertragreich dafür umso mehr. Nur: Kann man darauf stolz sein? Ist ein Doktor in Medizin der Holy Grail und eine Teamlead-Position in einem Kassensystem-Start-up dagegen Tralafitti?
Mein beruflicher Werdegang war alles andere als stringent und trotzdem habe ich immer alles erreicht, was ich mir in den Kopf gesetzt habe. Dieses Jahr habe ich sogar meine eigene Firma gegründet und habe das hehre Ziel, diese Firma zum Erfolg zu führen. Es gibt Momente, in denen ich darauf unglaublich stolz bin. Und dann gibt es Momente, in denen ich im Internet über Person XY stolpere, die drei Jahre jünger ist als ich und drei Firmen leitet, während sie sich sozial engagiert. Oder ich muss Freunden und Familie zum x-ten Mal mein Vorhaben so ausufernd erklären, dass ich vor lauter Kleinklein das Große nicht mehr sehe, nämlich das, was ich erreicht habe.
Doch ich habe einen Plan für mehr Selbstzufriedenheit und weniger Vergleichen. Als Teenagerin habe ich das Buch „Anleitung zum Unschuldigsein“ des Zeit-Herausgebers Florian Illies gelesen. Illies setzt sich hier auf überzogene und selbstironische Weise mit dem angeborenen schlechten Gewissen des deutschen Kleinbürgers auseinander und gibt drastische Verhaltenstipps, diesem zu entwachsen („Heute lasse ich mir von einem Schuhputzer auf der Straße vor aller Augen minutenlang die Schuhe putzen.“). Ich übertrage diese Chuzpe jetzt auf mich und meinen Stolz. Heißt: Ich beglückwünsche mich ab heute schamlos für jeden kleinen Furz und schaue nicht nach rechts oder links.
Ich bin mit dem ersten Weckerklingeln aufgestanden – klasse, Lisa! Heute nur drei Stunden Lebenszeit auf Instagram vertrödelt – toll gemacht! Statt Kaffee habe ich heute schwarzen Tee getrunken – diese Willensstärke! Meine Umsatzsteuer für August ist schon fertig – wie fleißig ich bin! Heute XY getroffen und mich an ihren Namen erinnert – super gemacht! Neider*innen werden sagen, dass das selbstgefällig ist. Doch ich halte an meinem täglichen Egostreicheln fest. Es geht hier schließlich auch um mich.

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