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Ich habe oft & gerne Sex, bin aber trotzdem keine Nymphomanin

Foto: Eylul Aslan.
Ich sitze vor einem dieser standardisierten Third Wave Coffeeshops in der Sonne und denke über Ärsche nach, als mein Blick auf zwei Frauen fällt. Beide Anfang Dreißig, beide in exakt den gleichen blau-weiß gestreiften Shirts. Die eine hält ihren Kaffeebecher wie einen dicken Schwanz zwischen den manikürten Händen und reibt leicht daran, weil man das vermutlich so macht, wenn man weiblich ist, ein wenig friert und das mal in einer Romantikkomödie gesehen hat. Dabei sind es heute 25 Grad in Hamburg und sowieso, es ist nur Kaffee und kein Glied! Für mich demnach absolut unverständlich.
Die mit den lockigen Haaren beugt sich zu ihrer Freundin rüber und tönt verschwörerisch, aber mit gedämpfter Stimme, es laufe nicht gut im Bett mit ihrem Freund. Augenverdreher der Beiden. Weil sie nicht so will wie er meistens wolle, meint sie. Und sowieso. Jetzt guckt sie eher traurig. Sie habe Angst, er könnte unzufrieden sein und sie verlassen, erzählt sie kleinlaut der anderen. Oder fremdgehen. Machen doch viele Männer. Was sie tun soll, will sie von der Freundin wissen. Sie möge zwar Sex, aber es sei manchmal so anstrengend. Dabei liebe sie ihren Freund doch und würde eigentlich nur wollen, dass er glücklich ist und zufrieden mit ihr sein kann. Aber das Thema sei schwierig, sagt sie. Die andere nickt zustimmend. Sie kenne das, bestätigt sie ebenfalls in diesem verschwörerischen Tonfall, den nur zwei Frauen Anfang Dreißig vor einem Café nutzen können, ohne dass es komisch wirkt.
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Was soll das überhaupt für eine Verschwörung sein? Wieso reden die so, frage ich mich. Sex als Pflicht dem Partner gegenüber? Und wieder trifft mich aus heiterem Himmel eine Erkenntnis, die ich in meinem Leben schon das ein oder andere Mal hatte: Ich mag Sex. Und ich mag ihn selbstbestimmt. Eine Nymphomanin bin ich trotzdem nicht. Ich finde mich eigentlich recht normal.

Ich mag Sex. Und ich mag ihn selbstbestimmt. Eine Nymphomanin bin ich trotzdem nicht. Ich finde mich eigentlich recht normal.

Pia Kernig
Als Jugendliche habe ich ziemlich wahllos alles konsumiert was mir begegnet ist: Erotische Literatur meiner Eltern, Bravo Portraits von nackten Jugendlichen, unbekleidete Moderatorinnen, die nachts Wetterkarten auf den hinteren Fernsehsendern kommentiert haben, Nachbarn durch Fensterscheiben, Umkleidekabinen von unten, meine Schwestern beim Duschen, Hunde im Park beim Koitus und schwitzende Mitschüler beim Sport. Meine Devise war damals Quantität. Nicht nur im Konsum. Ich habe viel masturbiert. Eigentlich zu jeder Gelegenheit, die sich mir bot. Pervers bin ich trotzdem nicht. Ich bin einfach nur ein neugieriger Mensch und mich interessierte Sex schon immer.
Foto: Ashley Armitage.
Bis heute ist für mich nichts aufregender, als Menschen, die sich beim Sex verändern, dabei ihre Grenzen überschreiten, ihre Gefasstheit und Rigidität verlieren, um was auch immer zu tun. Entgleiste Gesichtszüge und leere Pupillen beim Orgasmus. Mit wem auch immer. Mit wie vielen Menschen auch immer. Mit welchem Geschlecht auch immer. Ergo: Alter, Geschlecht, Anzahl der Akteure sind für mich bis heute zweitrangig. Hauptsache ich erkenne, dass da gerade selbstbestimmter und befriedigenden Sex stattfindet. Ich habe auch keinen speziellen Fetisch, denn ich sehe Sex als Spiel an, dessen Regeln ich immer neu erfinde, um mir das bestmögliche Erlebnis in der jeweiligen Situation zu schaffen. Ganz egoistisch. Ein Schlag ins Gesicht von einem vertrauenswürdigen Partner zum richtigen Zeitpunkt, jemanden erniedrigen, anpinkeln, Fickmaschinen, Bondage oder einfach nur schnell an der Raststätte einen Quickie schieben, von mir aus. Count me in! Kostüme, Foltervorrichtungen oder Dildos? Ist doch egal, macht es einfach zu eurem Projekt!
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Sex ist für mich eine Bereicherung und ein ewiges Abenteuer. Der Club der selbstbestimmten Teilnehmer scheint allerdings derart exklusiv, dass die beiden Frauen im Café leider nicht teilhaben können, wie mir traurigerweise bewusst wird, weil ihnen das passende Equipment in Form eines Selbstverständnis fehlt. Man muss aufrichtig fühlen, dass Befriedigung und Lust jedem zusteht. Ausnahmslos jedem.

Sex ist für mich eine Bereicherung und ein ewiges Abenteuer.

Pia Kernig
Aber warum wissen so viele Frauen eigentlich nicht was sie mögen oder äußern es nicht? Gibt es einen Punkt in der Biographie, ab dem sie vielleicht nicht mehr aktiv mögen, sondern nur noch hinnehmen was von ihnen erwartet wird und versuchen dann das Beste draus zu machen? Schaden minimieren als Konzept für die eigenen Vorlieben? Erleben Frauen Zurückweisung von ihren Eltern, Mitschülern und Freunden, wenn sie egoistische Lust empfinden? Verkümmert die Neugier bei vielen Frauen also schon in der Kindheit? Sorgt die Gesellschaft dafür, dass wir in unserem Bedürfnis nach Befriedigung aufgrund der Erwartungen, die an unser Rollenbild geknüpft sind, frustriert werden und wann genau findet die Selbstaufgabe statt? Und ist das nicht auch blöd für den Partner? Aber was weiß ich schon. Ich gelte oftmals fälschlicherweise schon als Freak, wenn ich mit Freundinnen offen über mein Sexleben spreche.
Der Verschwörungstonfall der beiden Frauen im Café ist irgendwie also doch angebracht, denke ich. Sex ist für viele Frauen wie das ewig jüngere Kind zu sein, das sein Leben lang nur die abgetragenen Klamotten von seinem älteren Geschwisterteil auftragen muss und nie selber eine Hose aussuchen darf, die ihm gut gefällt.

Sex ist für viele Frauen wie das ewig jüngere Kind zu sein, das sein Leben lang nur die abgetragenen Klamotten von seinem älteren Geschwisterteil auftragen muss und nie selber eine Hose aussuchen darf, die ihm gefällt.

Pia Kernig
Foto: Natalia Mantini.
Wo sind denn die anderen Frauen mit der Pornhub Premium Mitgliedschaft in meinem Freundeskreis? Wo sind die ganzen Swingerinnen? Die Freundinnen mit Sextoy-Flatrate? Wieso bin ich die einzige, die offenbar täglich Sex hat und ständig Laken waschen muss? Manchmal mehrmals am Tag. Wieso kann angeblich niemand squirten? Klar, es ist bei mir immer der gleiche Partner und ich bin weder polyamor, noch Swinger, weil ich im Alltag ein Mensch bin, der bestimmte Sicherheiten und Routinen zu schätzen weiß, aber der Sex ändert sich dennoch mit unseren Bedürfnissen. Gerne arbeiten wir uns zusammen durch den Katalog der Perversionen und schauen was uns am meisten zusagt. Sogenannter Kuschelsex gibt mir zum Beispiel rein gar nichts. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ich kein Fan vom Küssen bin. Ich finde Küssen irgendwie zu intim. Ganz im Gegensatz zu Sex, den ich habe um mein Grundbedürfnis nach körperlicher Befriedigung zu füllen. Meinen Partner freut das natürlich auch. Zwei Menschen, die guten Sex haben, das ist eine ganz andere Erfahrung als Sex, der nur für eine Person befriedigend stattfindet.
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Meinen Partner freut das natürlich auch. Zwei Menschen, die guten Sex haben, das ist eine ganz andere Erfahrung als Sex, der nur für eine Person befriedigend stattfindet.

Pia Kernig
Wir haben einen langen Weg vor uns und sollten dringend mehr Sex-positive Botschaften streuen! Dabei geht es nicht darum sich gänzlich zu entblößen, sondern darum ein Selbstverständnis von Weiblichkeit zu schaffen, in dem Frauen aktiv Lust empfinden und steuern dürfen.
Gut, dass der Trieb irgendwo unter den ganzen Schichten Sozialisation noch in uns schlummert. Da muss nur erstmal ordentlich was abgetragen werden. Vielleicht können wir uns ja gegenseitig dabei helfen, schießt es mir durch den Kopf und ich beuge mich langsam zu den beiden Frauen rüber, bemerke in diesem Moment, dass auch ich ein gestreiftes Shirt trage und flüstere nun ebenfalls verschwörerisch: „Eigentlich müsstest du ihn verlassen, wenn du den Sex mit ihm nicht genießen kannst! Oder sag ihm doch einfach was du willst! Kann ja nur besser werden.”
Die beiden gucken sich fragend an. Ich stehe auf, denn eigentlich wollte ich dieses Etablissement schon längst verlassen haben, um mir daheim mit dem Magic Wand die Anspannung dieser Erkenntnis wieder zu nehmen.

Gut, dass der Trieb irgendwo unter den ganzen Schichten Sozialisation noch in uns schlummert. Da muss nur erstmal ordentlich was abgetragen werden.

Pia Kernig

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