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Pitcairn: Die dunkle Vergangenheit der Bounty-Insel

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Foto: Rhiannon Adam.
2015 reiste ich für drei Monate auf die Südseeinsel Pitcairn. Sie ist 3,5 km lang, 1,8 km breit und liegt auf halber Strecke zwischen Neuseeland und Chile. Die Insel ist das letzte britische Überseegebiet im Pazifik und beherbergt 42 Erwachsene und ein Kind. Auf die Insel (und von ihr weg) führt nur ein Weg: auf einem Versorgungsschiff, das alle drei Monate vorbeikommt.
Das Besondere an dieser Insel ist, dass die meisten Einwohner*innen von den Meuterern der Bounty abstammen. Ein paar von ihnen setzten sich dort nach der Meuterei 1787 zusammen mit polynesischen Frauen, die sie zuvor als Geisel genommen hatten, ab. Sie hofften darauf, dass niemand sie auf der einsamen Insel finden würde.
Die weltberühmte Geschichte der Meuterei auf der Bounty wurde in so vielen Büchern und Filmen thematisiert, dass es jahrzehntelang leicht fiel, Pitcairn als Inselparadies der Rebellen zu romantisieren. Diese Fassade fing allerdings ordentlich an zu bröckeln, als 2004 ein Vergewaltigungsprozess begann: Acht männliche Inselbewohner wurden angeklagt, Minderjährige vergewaltigt und sexuell missbraucht zu haben. Sechs dieser Männer leben bis heute auf Pitcairn, einer von ihnen ist der derzeitige Bürgermeister.
Ich reiste nach Pitcairn, um mir vor Ort ein eigenes Bild zu machen. Viele meiner Freund*innen und Familienmitglieder hatten Angst um mich, aber naiv wie ich war, nahm ich an, die Inselbewohner*innen würden sich von ihrer besten Seite zeigen, wenn sie durch mich die Chance bekommen würden, der Welt ihre Geschichte zu erzählen.
Auf der Insel angekommen, musste ich jedoch feststellen, dass ich weit gefehlt hatte. Jeder Tag dort glich einem psychischem Überlebenskampf. Ständig wurde mir gesagt, ich sei „die einzige Frau im gebärfähigen Alter“ auf Pitcairn. Ich lernte, diesen unpassenden Kommentar wegzulachen. Das half allerdings nur bedingt: Ein Mann, der besonders hartnäckig gewesen war, stand eines Abends nackt in meinem Schlafzimmer. Der Strom auf der Insel wird um 22 Uhr abgeschaltet und so hatte er nach Einbruch der Dunkelheit dort auf mich gewartet. In einer weiteren Nacht wachte ich davon auf, dass er versuchte, in meine Wohnung einzubrechen und an meinem Fenster rumfummelte. Und dann versuchte er noch, mich zu Sex auf einer großen Maschine zu überreden: Zur Auswahl standen mir ein Traktor, ein Bulldozer und ein Gesteinsbrecher. Mir blieb keine andere Wahl, als ihn bei der Inselpolizei anzuzeigen, obwohl mir sehr bewusst war, dass ich damit nicht nur meine eigene Zukunft, sondern auch die der Insel aufs Spiel setzte.
Ein Blick auf die Karte von Pitcairn machte alles noch viel angsteinflößender: Die Orte sind teilweise danach benannt, dass dort Inselbewohner*innen von den hohen Klippen in die Tiefe stürzten: „Where Minnie Off“, „Nellie Fall“ oder „Oh Dear“, zum Beispiel. Es wäre extrem einfach gewesen, mich ohne eine Spur verschwinden zu lassen. Mir wurde bewusst, wie viel Überwindung es die Frauen und Mädchen der Insel gekostet haben muss, ihre Vergewaltiger anzuzeigen.
Dieses Projekt war das härteste, das ich in meiner Karriere jemals gemacht habe und ich musste es, während ich vor Ort war, immer wieder an die besonderen Gegebenheiten anpassen. Fast alle Menschen, die sich zu einer Zusammenarbeit bereit erklärten, wurden von mir an ruhigen Orten alleine fotografiert. So schützten wir uns vor den neugierigen Blicken der anderen. Die Einsamkeit, die viele Inselbewohner*innen verspüren, wird auf den Bildern oft besonders deutlich. Der abgelaufene Polaroidfilm, den ich manchmal benutzt habe, verklärt Pitcairn immer noch zu dieser utopischen Insel der aufbegehrenden Seemänner aus vergangenen Zeiten, macht jedoch auch klar, dass das Paradies in dieser Form nicht existiert. Ich denke, ich konnte mit meinem Projekt die Melancholie und die Enge dieser kleinen Insel im Nirgendwo, die ich in jeder Begegnung mit ihren Bewohner*innen verspürt habe, einfangen. Und ich fürchte, dieses Gefühl, das drei Monate lang mein ständiger Begleiter auf Pitcairn war, wird mich nie wieder wirklich loslassen.
Das Projekt Big Fence / Pitcairn Island von der Fotografin Rhiannon Adam hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Wir zeigen einige ihrer Bilder, zu denen sie uns die Geschichte erzählt hat.
Triggerwarnung: Der folgende Text beinhaltet explizite Umschreibungen von Vergewaltigungen und anderen Gewalttaten.
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