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Meine Ängste sind völlig irrational & das hat für mich etwas Aufregendes

Eigentlich möchte ich meine Ängste gar nicht so gern überwinden. Ich pflege sie sogar ganz gut.
Illustration: Mallory Heyer.
Ich mag meine Ängste – oder vielleicht sollte ich sie lieber die "kleinen Ängste" nennen. Denn die richtig großen Ängste – das sind bei mir wohl dieselben, wie bei vielen anderen auch. Ein geliebter Mensch stirbt, Krieg, Überfallen werden, Spinnen, Höhe… Solche Sachen. Die einen könnte man therapieren (Spinnen und Höhe), die anderen kann meist nur schwer beeinflussen.
Meine kleinen Ängste aber sind völlig irrational und das hat für mich etwas Aufregendes. Alles um mich herum ist schon real genug. Miete zahlen, Einkaufen, fürs Studium lernen, Freunde treffen, in Urlaub fahren… Dieser Funken Nicht-Verstehen und was da eigentlich in meinem Kopf passiert, warum ich eigentlich vor solchen komischen Dingen Angst habe – das ist mein persönlicher Nervenkitzel.
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Ausgesprochen unheimlich finde ich zum Beispiel Immanuel Kants Beschreibung über das "Ding an sich". Also darüber, dass wir etwas zwar mit unserem Körper und unseren Sinnen wahrnehmen können, es aber nie selbst "an sich" erfassen können. In was für einer Welt lebe ich dann? Das ist, als würde man mir den Boden unter den Füßen wegreißen. Oder Franz Kafkas "Das Schloss". Total gruselig. Weil die Realität erkennbar ist, aber so verfremdet. Und zwischen den Zeilen immer etwas Unfassbares lauert. Oder "Afterdark" von Haruki Murakami. Da ist die Stimmung so entrückt.

Ein paar meiner ganz realen Ängste:

Strommasten
Diese Stahlverstrebungen und die Mengen an Energie, die da transportiert werden, aber nicht sichtbar sind – ich glaube diese Kombination macht meine Angst davor aus. Und manchmal brummt das auch noch so. Schon das Bilder-von-Strommasten-Heraussuchen für diesen Beitrag machte mir Gänsehaut. Einmal haben ein paar Freunde versucht, mich zu „therapieren“: Sind mit mir in den Wald (noch schlimmer, da ist der Gegensatz von Natur und Technik so groß gewesen) und ich sollte ganz nah ran an so einen Strommast und ihn anfassen. Ist nichts passiert, klar. Aber meinen gehörigen Grusel davor habe ich nicht überwunden. Ich meide Stommasten im Alltag einfach, das ist nicht wirklich schwierig und beeinträchtigt mich nicht. Übrigens: Auch der Eiffel-Turm ist mir nicht so ganz geheuer mit den Verstrebungen. Aber da ist wenigstens kein Strom drauf.
Das schwarz-geflieste "T" in Schwimmbädern
Für mich hat das etwas Unheilvolles, wie diese schwarzen Fliesen da so geordnet auf dem Grund liegen. Ich kann es nicht gut erklären. Und ja: Ich kann meine Angst davor überwinden. Ich bin ein ziemlicher Dickkopf und mag mich nicht gern von mir selbst aufhalten lassen. Wenn ich im Schwimmbad bin und ein paar Bahnen schwimmen möchte, dann mache ich das auch. Aber ich schaue nicht besonders viel nach unten. Ein leichtes Gruseln ist halt trotzdem immer da. Ich weiß ja auch, was das ist, dieses schwarze Ding. Aber ich weiß ja auch, was eine Spinne ist…
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Große, sich bewegende Wassermassen angucken
Da träume ich sogar schlecht von. Wie die U-Bahn, in der ich sitze, plötzlich in reißende Strömungen reinfährt. Oder sich bei einer Autofahrt ein riesiger Fluss auftut und ich dort ungebremst reinfahre. Das ist wahrscheinlich auch so etwas wie eine Urangst, aber allein beim Angucken von solchen Mengen an Wasser läuft mir schon ein ordentlicher Schauer über den Rücken. In dem Fall möchte ich meine Angst davor auch gar nicht überwinden.
Ich finde, kleine Ängste sind etwas Gutes – solange man sich nicht von ihnen behindern lässt. Wenn das Maß stimmt, ist es nicht nötig, sie zu überwinden. Ein Gefühl von Unsicherheit, Fremdheit und Entrückung gibt mir einen neuen, anderen Blick auf die Dinge, das gefällt mir. Es einfach mal auszuhalten, dass nicht jeder Grusel sich erklären lässt, ist toll. Die wirklich großen, essentiellen und existenziellen Ängste aber sind schrecklich, besonders, wenn sie gerechtfertigt sind. Und sie haben ja meist auch ihren Sinn, warum sollte man sie also überwinden?

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