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Ich wurde in der Schule gemobbt & „13 Reasons Why" erinnert mich daran

Foto: Netflix/13 Reasons Why
Schule kann zur Hölle werden, Mitschüler zu Peinigern, Lehrer zu Mittätern und Selbstmord zum Gedanken der Erlösung. Genau deswegen ist „Tote Mädchen lügen nicht" gerade die meist diskutierte Serie von Netflix. Denn in „13 Reasons Why", wie die Verfilmung des Bestsellers von US-Autor Jay Asher im Original heißt, wird all das explizit gezeigt, mögliche Gründe aufgezählt, warum sich junge Menschen das Leben nehmen.
Anhand der Geschichte von Schülerin Hannah, die sich umgebracht hat und 13 Kassetten voller Leidensgeschichten hinterlässt, wird man in eine extrem bedrückende Thematik reingezogen und gezwungen, sich mit der Schuldfrage auseinanderzusetzen.
Nachdem die Kritik und die Besorgnis um Nachahmung nicht leise wurde, reagierte Netflix mit Warnhinweise vor den verstörenden Szenen der Vergewaltigung oder Tötung. Wichtiges Bonusmaterial wurde veröffentlicht, in dem erklärt wird, warum die Macher nicht auf Brutalität und blutige Detailtreue verzichten konnten – außerdem wurde die Seite 13reasonswhy.info ins Leben gerufen und immer wieder eingeblendet: Dort findet man in jedem Land Adressen, an wen man sich wenden kann, wenn man mit dem Gedanken spielt, allem ein Ende zu setzen. Und trotzdem warnen Psychologen und Suizidpräventionen vor der teils grausamen Teenie-Serie. In Neuseeland wurde sogar eine Altersbeschränkung verhängt, durch die Minderjährige sie nur noch im Beisein eines Erwachsenen gucken dürfen.
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Gut, denn zum einen geht das Thema Teenager und deren Eltern gleichermaßen etwas an und zum anderen tut es weh, die Serie zu gucken. Auch in Deutschland bringen sich nicht wenige heranwachsende Menschen um, weil sie keinen Ausweg mehr erkennen.

Etwa alle 53 Minuten nimmt sich in Deutschland ein Mensch das Leben. Etwa alle 4 Minuten versucht es jemand.

Laut des Statistischen Bundesamtes haben sich 2015 hierzulande 531 Menschen vor dem 25. Geburtstag das Leben genommen. Eine Zahl, die *Sabine, heute 30, nicht schockt. Auch sie hat schon einmal darüber nachgedacht, den immer wiederkehrenden Attacken der Mitschüler für immer zu entgehen. Was, wenn ich einfach nicht mehr auftauche? Fühlen sie sich dann endlich schuldig, merken sie dann, dass sie mich kaputt gemacht haben? Diese Fragen stellte sie sich immer wieder. Das Einzige, das sie davon abgehalten hat, im Schullandheim nicht aus dem Fenster zu springen, war der Gedanke an die Eltern. „Ich habe mir immer vorgestellt, dass mein Tod in den Nachrichten verkündet wird und wie Mama und Papa vor dem Fernseher vor Schmerz zusammenbrechen. Ich wollte ihr Leben nicht zerstören, nur weil ich von meinem müde war", sagt Sabine.
Sie erzählt Szenen, wie Schlägertrupps vor der Schule auf sie warteten. Mit ihren Fäusten wollten sie erreichen, dass Sabine bloß niemandem von ihrem persönlichen Horror erzählt. Sie war 14 als in der Schule das Gerücht herumging, dass sie Sex mit ihrem Hund hätte. Anfangs lachte sie noch darüber, doch ähnlich wie bei Hannahs Geschichte, wurde es immer schlimmer. Die Gerüchte wurden mal absurder, mal realistischer. „Ich wurde sexualisiert, obwohl ich zu dem Zeitpunkt erst einmal einen Jungen geküsst hatte, ich war noch im Händchen-Halten-Stadium."
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Irgendwann glaubten alle die Gerüchte, oder aber die Klassenkameraden und Klassenkameradinnen liefen mit, damit sie nicht selbst zur Zielscheibe wurden. Es folgten Schikanen und Handgreiflichkeiten, die Sabines Seele immer mehr verletzten. „Ich habe nicht mehr viel gesprochen und nicht mehr viel gegessen, meine Eltern wussten lange nicht, was los war. Es war mir zu peinlich, darüber zu reden." Außerdem kamen die Psychospiele an, immer wieder zweifelte sie, ob sie Schuld an dem ganzen Schlamassel hätte oder ob sie es nicht anders verdient hätte ausgegrenzt und geschlagen zu werden.
Sabines Schulnoten wurden schlechter und die Angriffe wurden so heftig, dass die Eltern so langsam ahnten, warum sich die Tochter in einen blassen, zu dünnen und immer traurigen Teenager verwandelt hatte. Sie reagierten, stellten Eltern, Lehrer und die Kinder zu Rede, versuchten alles, bis ihnen ein Schulwechsel als einziger Ausweg erschien. Und so war es auch. 20 Kilometer mit dem Schulbus in die andere Richtung und Sabines Welt war eine andere.

Durch Facebook oder Instagram haften die Stempel an. Jeder kann heute mit dem Handy auch Bilder bearbeiten und etwas anders aussehen lassen.

Foto: Netflix/13 Reasons Why
„Anfangs war ich sehr vorsichtig, ich wollt einfach niemandem mehr vertrauen. Ich wollte nicht wieder Messer von einer vermeintlichen Freundin in den Rücken gestoßen bekommen", erzählt Sabine. „Irgendwann fasste ich aber Mut, verabredete mich mal nach der Schule. Sowohl die Lehrer, die wussten, was mir alles zuvor widerfahren ist, als auch die unwissenden Schüler waren unglaublich hilfsbereit und nett. An dieser Schule habe ich nicht ein einziges Mal mitbekommen, dass jemand systematisch ausgegrenzt wird. Es war ein ganz anderer Zusammenhalt."
Sabine spricht heute von einer glücklichen Schulzeit – ab der Achten zumindest. Sie dachte, sie habe das alles verarbeitet – und dann hat sie „Tote Mädchen lügen nicht" gesehen. Plötzlich tauchten wieder viele Bilder auf, die sie verdrängt hatte. Gemeine Sprüche, fiese Zettelchen im Unterricht, Demütigungen vor dem Schwarm, die erste Ohrfeige, die Scham, die Selbstgeißelung... „Ich konnte Hannah so gut verstehen, das Gefühl, komisch und allein zu sein. Aber der große Unterschied ist, dass Mobbing durch soziale Netzwerke anders geworden ist. Ich glaube auch noch schlimmer." Wenn einmal ein kompromittierendes Fotos im Umlauf ist, besser gesagt im Netz ist, dann wird man das nicht los. Sabine stellt sich vor, dass auch ein Schulwechsel die Biografie heute nicht unbedingt umschreibt. „Durch Facebook oder Instagram haften Stempel an. Jeder kann heute mit dem Handy auch Bilder bearbeiten und etwas anders aussehen lassen und dazu kommt, dass die Reichweite eine andere ist. Dank Schneballeffekt kann sich das Mobbing dann auch auf andere Schulen oder Städte übertragen", vermutet Sabine.
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Mobbing war schon immer da und auch schon immer schlimm – nur haben sich die Mittel verändert. Das einzig Gute an einer größeren Reichweite ist, dass es auch mehr Menschen erreicht, die eingreifen können.
Refinery29 weist klar darauf hin, dass Suizid kein Ausweg ist. Solltest du dich allein fühlen, nicht weiter wissen oder sich deine Gedanken um Sebstverletzung oder sogar Selbsttötung kreisen, teile dich mit. Sprich mit deiner Familie oder deinen Freunden, einem Arzt oder Psychologen oder mit einer anderen Vertrauensperson darüber. Wenn du anonym bleiben willst, dann gibt es mehrere Angebote der TelefonSeelsorge, die nicht nur kostenfrei, sondern auch absolut vertraulich sind (und zum Beispiel auch nicht auf der Telefonrechnung auftauchen). Unter den Nummern 0 800 / 111 0 111 und 0 800 / 111 0 222 wird dir geholfen. Alternativ kann man sich auf der Webseite der TelefonSeelsorge auch einen Chattermin vereinbaren oder die Mailberatung in Anspruch nehmen. Auf der Webseite der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention gibt es zudem eine Übersicht über weitere Beratungsstellen.
*Name wurde von der Redaktion geändert

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