Es ist ein ganz normaler Abend an einem Wochentag. Mild ist es, aber nicht zu warm, die Sonne scheint noch den Tag hell, aber man merkt, dass sie bald untergehen wird. Für mich die perfekten Voraussetzungen für einen Lauf. Mein Route führt mich von Neukölln am Kanal entlang Richtung Kreuzberg, ich streife Alt-Treptow und komme auch an den Ausläufen des in ganz Deutschland bekannten Görlitzer Park vorbei, den alle nur Görli nennen. Eine schöne Runde ist das, mit viel Grün und soliden sechs, sechseinhalb Kilometern länge. Regelmäßig und tatsächlich auch unabhängig von der Tageszeit oder dem Wochentag, gerate ich beim Laufen meiner Runde jedoch in Situationen, die eine Gefühlspalette in mir erwecken, die von Angst über Scham und Hilflosigkeit bis hin zu Wut, gar Rage reicht.
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Eine Gefühlspalette von Angst über Scham und Hilflosigkeit bis hin zu Wut, gar Rage.
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Denn Männer jedes Alters und jedes kulturellen Backgrounds (ja, liebe AfD!) sehen in mir anscheinend nicht einfach nur eine joggende Mitbürgerin, sondern wahlweise Frischfleisch, eine Zielscheibe, ein Objekt oder auch nur eine Frau, der man ein wenig Angst einjagen kann. Es liegt in der Natur des Sportes, dass man beim Joggen sehr exponiert ist. Man trägt sehr enge Kleidung, im Sommer zeigt man logischerweise viel Haut. Ich weiß nicht so recht, woran es liegt, aber irgendwie ist all dies eine Kombination, die bei Männern triggert. Wie ein Hund, dem man einen Stock wirft und der nicht anders kann, als diesem hinterher zu rennen. Wenn ich an einer Männergruppe vorbeilaufe, wird gepfiffen, geschnalzt, ein Spruch gedrückt – „Lauf, Baby!“ – und ich habe oftmals das Gefühl, dass es wie bei der Tourettekrankheit so sehr juckt, das Mann einfach kratzen muss – in Form von tierischen Geräuschen oder eben dummen Sprüchen. Das sind Szenarien, die ich weglächle und in meine Idiotenschublade im Herz stecke. Es gab jedoch schon weitaus invasivere Momente, die nicht nur meine persönliche Schutzgrenze überschritten haben, sondern mich noch den ganzen Tag über beschäftigt und vor allem verärgert haben. Jungs, die einem hinterherrennen und versuchen, einem auf den Hintern zu hauen oder einen zu umarmen. Männer, die extrem zotige Kommentare zu sehr expliziten Körperteilen machen. Junge Herren, die mit dem Fahrrad neben einem herfahren und auf einen einreden. Und Idioten, die einem Beschimpfungen hinterherrufen, die ich hier lieber nicht wiedergeben möchte. Das alles ist nicht okay! Egal, wie ich eng meine Kleidung ist, wie groß meine Brüste oder wie knackig mein Hintern, wie lang meine Beine und wie kurz die Hosen: Liebe Männer, es ist kein Freibrief für Belästigungen, es ist keine Einladung für Körperkontakt und schon gar nicht müsst ihr euch einbilden, dass wir uns allen Ernstes geschmeichelt fühlen oder uns für euch so anziehen. Wenn ich laufen gehe, mache ich Sport. Ich bin konzentriert, möchte was für meine Gesundheit tun, den Kopf freibekommen, mich auspowern. Ganz, wirklich ganz sicher möchte ich nicht den Mann meiner Träume treffen. Ihr pfeift es, weil es juckt und ihr nicht anders könnt. Ihr macht seltsame Geräusche, ohne, dass etwas dahinter steckt. Ihr quatscht uns von der Seite an und fasst uns an, weil ihr einfach keinen Respekt habt und denkt, dass man das eben so macht. Weil man ist ja ein Mann, und wir, wir sind eben Frauen. Aber wir sind in erster Linie Menschen. Menschen, die das Recht haben nicht auf ihren Körper oder ihr Geschlecht reduziert zu werden, ob nun beim Laufen oder Milch holen. Es ist natürlich nicht so, dass jede Joggingrunde zum Spießrutenlauf wird, aber in regelmäßig Abständen komme ich nach Hause, fühle mich unwohl und habe in manchen Fällen auch schon extrem kreative Tötungsfantasien gehabt, weil ich so unglaublich sauer und beschämt war. Ich weiß, dass ich diese Situationen nicht ändern kann. Ich nehme weiterhin mein Handy mit, mache die Musik ins Ohr, um die dummen Sprüche nicht zu hören und gehe nur bei Tageslicht laufen. Aber ich hoffe, dass dieses Affengehabe weniger wird und die Frauenbewegung vielleicht eher ein Umdenken in der Gesellschaft bewirkt. Mal sehen, wie lange ich noch hoffen darf.
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