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Was der Journalismus braucht, um Vorurteile & Stereotype abzubauen

Foto: BMZ Photothek
Mehr Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion in unserer Gesellschaft – diese Themen haben in Anbetracht aktueller Debatten in Magazinen, Zeitungen und anderen Publikationen derzeit Hochkonjunktur. Doch wie sieht es eigentlich in den Redaktionen und in der Berichterstattung selbst aus? Wie divers und inklusiv sind die Medien hierzulande? Werden wir dem gesellschaftlichen Anspruch, den wir an andere stellen, auch selbst gerecht? Beim ersten Female Future Force Day haben wir mit drei Frauen – sie sind Aktivistinnen, Autorinnen und Journalistinnen – unter anderem darüber gesprochen, welche Erfahrungen sie persönlich in ihrer (Zusammen)Arbeit in und mit den Medien gemacht haben, wo es noch Probleme gibt und wie wir diese zukünftig lösen können.
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Wir stellen euch Düzen Tekkal vor, die in Hannover geboren wurde, heute in Berlin lebt und arbeitet. 2015 gründete sie die Menschen(rechts)organisation Hawar.help. Über ihre Arbeit als Kriegsberichterstatterin und Social-Entrepreneurin sowie den #GermanDream hat sie mit uns im Interview gesprochen.
Düzen, du warst Journalistin, bis es einen „life changing momentgab. Welcher war das?
Das war der Völkermord an meiner Religionsgemeinschaft, den Jesiden. Ich habe den Genozid* damals quasi unfreiwillig als Chronistin mit dokumentiert, und das hat mein ganzes Leben verändert. Von dem Tag an war für mich klar, dass ich viel mehr tun muss, um diesen Völkermord mit aufzuklären.
*Anmerkung der Redaktion: Die Jesiden wurden in ihrer Geschichte immer wieder verfolgt. 2014 überfiel die Terrormiliz Islamischer Staat das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden in Sindschar im Irak und verübte dort einen Völkermord an der Bevölkerung. Über 5.000 Menschen wurden ermordet, mehr als 7.000 Frauen und Kinder entführt, insgesamt über 400.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.
Wie politisch darfst du denn in deiner Arbeit als Journalistin und Reporterin sein?
Ich bin Politologin und habe mich nach meinem Studium für den journalistischen Weg entschieden. Trotzdem war ich von Anfang an schon immer politisch, auch in meinem Filmen. Das wichtigste im Journalismus ist die Geschichte. Geschichten von und über Menschen. Darum geht’s mir am Ende des Tages. Natürlich werde ich deshalb oft gefragt, wie neutral ich bin.
Und wie neutral bist du?
Ich bin überhaupt nicht neutral. Aber das gebe ich auch nicht vor. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich bei dem Völkermord an meiner Religionsgemeinschaft natürlich in gewisser Weise befangen bin. Damit gehe ich aber so ehrlich wie möglich um. In meinem Dokumentarfilm Hawar – meine Reise in den Genozid habe ich den Drehprozess immer wieder offen gelegt. Ich sage an einer bestimmten Stelle ganz klar, dass ich jetzt nicht mehr neutral berichten kann, da es hier um meine Leute geht. Aber was bedeutet Neutralität im Journalismus überhaupt? Selbst wenn wir über Käse oder Wein schreiben, haben wir doch eine Haltung dazu. Die Diskussion darum finde ich, gerade in Deutschland, schwierig. In den USA funktioniert das beispielsweise anders.
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Foto: BMZ Photothek
Für deine Arbeit reist du in Krisengebiete und machst eigene Erfahrungen. Hast du manchmal das Gefühl, dass du dich aufgrund deines Migrationshintergrunds noch mehr beweisen musst als deutsche Journalist*innen?
Wenn ich Filme mache oder als Co-Autorin arbeite, bin ich oftmals dazu gezwungen, noch besser zu sein als alle anderen. Meine Storys müssen doppelten Boden haben, weil mir ansonsten unterstellt wird, dass ich befangen bin. In einer meiner letzten Geschichten ging es um eine junge Jesidin, die freiwillig in den Irak abgehauen ist, weil sie sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlt. In so einem Fall kann ich dann natürlich auf meine Erfahrungswerte, meine Netzwerke und Kontakte zurückgreifen, damit eine runde Geschichte entsteht. Wir als deutsche Jesidinnen haben auch einen Bezug zu den Frauen dort. Wir wissen um ihre Schicksale, wir kennen die Elternhäuser und die kulturellen Befindlichkeiten. Ich würde mir wünschen, dass es häufiger so wäre.
Findest du, dass die deutschen Redaktionen generell divers und inklusiv genug aufgestellt sind, um beispielsweise eine Berichterstattung, die ganz nah dran ist, zu ermöglichen?
Diversität in Redaktionen ist ein ganz wichtiges Thema. Denn Vorurteile machen auch vor Redaktionsräumen nicht Halt. Ich als deutsche Jesidin, deren Eltern einst aus der Türkei geflohen sind, kann natürlich gerade in meinem Beruf auch in den Redaktionen dazu beitragen, dass wir Vorurteile abbauen und in der ganzen Sache weiterkommen. Ich sage immer: Wo es keine Begegnung mit Migrant*innen, mit Menschen gibt, findet auch kein Austausch statt.
Was müssen wir also zukünftig ändern, damit mehr Vielfalt im Journalismus gelebt und abgebildet werden kann?
Ich erinnere mich, dass wir einmal als Redaktion von den Neuen Deutschen Medienmachern zu einer Veranstaltung eingeladen wurden, in der es um Vielfalt in den Medien ging. Natürlich sollte ich dahin geschickt werden. Es wäre aber meiner Meinung nach wünschenswert, dass nicht nur wir, also Journalist*innen mit Migrationshintergrund, dahin gehen, sondern eben auch die Chefredaktionen selbst bei solchen Diskussionen anwesend sind, damit Sensibilisierung für mehr Diversität in den Redaktionen und in der Berichterstattung auf allen Ebenen stattfinden kann.
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Wo es keine Begegnung mit Migrant*innen, mit Menschen gibt, findet auch kein Austausch statt

Düzen Tekkal
Hast du dich im Laufe deiner journalistischen Karriere jemals diskriminiert gefühlt?
Ich habe nach meinem Studium der Politik und Germanistik ein Praktikum bei einem Privatsender gemacht und wurde dann tatsächlich fest angestellt. Das war sehr ungewöhnlich, da ja normalerweise ein Volontariat vorausgesetzt wird. Aber bei mir hat man eine Ausnahme gemacht, gerade weil ich einen Migrationshintergrund habe. Ich könnte mich darüber beschweren, weil ich nur über die Quote da reingerutscht bin. Aber ich bin ehrlich gesagt sehr dankbar dafür, denn abliefern musste ich ja trotzdem. Und mit den Vorurteilen kämpfen musste ich auch selbst.
Lass uns über deinen Verein sprechen. Wie hast hast du HAWAR.help gegründet?
Mit meinen Schwestern. Damals habe ich zu ihnen gesagt, dass wir jetzt diesen Verein gründen müssen. Ich bin sehr dankbar, dass sie diesen Weg mit mir gegangen sind. Aus etwas ganz Kleinem, das aus ganz viel Eigenantrieb entstand, ist inzwischen etwas sehr Großes geworden. Mittlerweile wird das Projekt, für das ich über dreieinhalb Jahre gekämpft habe, vom Bundesentwicklungsministerium finanziert.
Woran arbeitet ihr aktuell und wie sieht eure Hilfe konkret aus?
Übernächste Woche startet unser Projekt „Back to life“, das sich speziell an Frauen aus IS-Gefangenschaft richtet. Insgesamt werden wir uns in den nächsten zwei Jahren um rund 800 Frauen kümmern und sie mit Empowerment-, mit Alphabetisierungs- aber auch mit Nähkursen im Irak ausbilden. Wir arbeiten mit einem interreligiösen Team vor Ort. Dazu gehören muslimische, jüdische als auch christliche Sozialarbeiter*innen – und natürlich Jesidinnen.
Was muss ich mir die Situation vor Ort vorstellen?
Es gibt dort viele Härtefälle. Leider müssen wir auch immer wieder Kindern helfen. Das geht bei acht, neun Jahren los. Keine Altersgruppe ist von den schrecklichen Taten des IS verschont geblieben. In der Summe sind die Menschen dort sehr überfordert, weshalb harte Nerven gefragt sind. Aber uns war von Anfang an klar, dass wir es genau dort machen wollen. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme und einen Platz geben. Deswegen ist unser hawar-Office auch direkt in dem Flüchtlingscamp.
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Du sagst, ihr habt lange dafür gekämpft. Wie schwer ist es, ein solches Projekt wie HAWAR.help im Irak zu etablieren?
Allein die Registrierung eines Vereins in einem politisch umkämpften Gebiet wie dem Irak ist schwierig. Wir brauchten die Unterstützung der kurdischen sowie irakischen Zentralregierung. Als religiöse Minderheit und dann auch noch als Frauen, die in diesen Regionen ohnehin gegen orientalisch-patriarchalische Strukturen zu kämpfen haben, ist das nicht ganz einfach. Wir erzählen diese Geschichte ganz ehrlich, weil wir damit Mut machen wollen, an sich zu glauben und seinen Weg zu gehen, egal wie schwierig er ist. Und das wollen wir eben auch für die Frauen dort erreichen.

Meine Einsätze in Kriegsgebieten haben mir immer wieder gezeigt, zu was wir Menschen in der Lage sind, wenn wir wollen

Düzen Tekkal
Wie bereitest du dich vor, wenn du selbst in den Irak fährst?
Nächste Woche ist es wieder soweit. Kurz vor so einer Reise gerate ich immer in eine Art Meditationszustand. Ich merke schon seit Tagen, dass mich das alles enorm beschäftigt. Das hat sicherlich damit zu tun, dass ich immer wieder in Gebiete gehe, für die Reisewarnungen ausgesprochen werden, die gefährlich sind, an denen man kein Urlaub machen kann. Aber das gehört zu meinem Leben dazu. Und als Teil meines Lebens habe ich eben auch die Ängste, die damit einhergehen, akzeptiert. Es ist jedes Mal eine Mischung aus Angst und Freude, aber auch Disziplinierung und Achtsamkeit.
Was nimmst du persönlich aus deinen Reisen in Kriegsgebiete mit?
Es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie wir Menschen uns auf besondere Aufgaben vorbereiten und fokussieren können. Meine Einsätze in Kriegsgebieten haben mir immer wieder gezeigt, zu was wir Menschen in der Lage sind, wenn wir wollen. Wenn ich im Irak bin, funktioniere ich einwandfrei wie ein Roboter oder eine Maschine, aber in der Nachbetrachtung und der Aufbereitung, kommen dann auch bei mir jede Menge Emotionen hoch. Ich habe mich lange dagegen gewährt, aber mittlerweile sage ich auch, dass man für die Verarbeitung des Erlebten Hilfe braucht.
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Mit was für Geschichten habt ihr es da konkret zu tun? Magst du darüber sprechen?
Alles, was konkret wird, wird brutal. Uns wurden aus erster Hand Geschichten von IS-Kämpfern zugetragen, die selbst denen zu brutal waren. Es geht da beispielsweise um Vergewaltigungen und Pädophile, weil irgendwann nur noch kleine Mädchen und kleine Jungs misshandelt wurden. Die Männer, die das getan haben, wurden dann wiederum selbst von anderen IS-Kämpfern verkloppt. Oder es geht um junge Frauen, die sich angeboten haben, damit der kleinen Schwester nichts passiert. Das sind die Dimensionen, mit denen wir uns hier auseinandersetzen müssen. Der IS hat die Liebe der Kinder zueinander missbraucht. Das sind Geschichten, die man nicht vergisst. Aber sie lassen mich nicht ohnmächtig werden. Ganz im Gegenteil, ich ziehe auch Kraft daraus. Sie sind der Grund, warum wir so stark geworden sind.
Noch ein anderes, momentan sehr brisantes, Thema: Du hast schon 2015 den Hashtag #GermanDream ins Leben gerufen. Was steckt dahinter?
Der #GermanDream ist das Leistungsversprechen an uns Deutsche, dass wir alle die gleichen Rechte haben müssen – egal welche Wurzeln wir haben, dass Intergration eine Bereicherung für uns alle ist. Von dieser Vision träume ich. Der #GermanDream ist eine Antwort auf #MeTwo. Es geht darum, ein neues Narrativ für Deutschland zu finden, gemeinsam Antworten zu entwickeln. Der #GermanDream, das sind wir alle. Nicht nur die Deutschen, sondern alle Menschen, die in Deutschland leben.
Ihr könnt Düzen auch bei Instagram und Twitter finden.

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