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Verliebt wie am ersten Tag: Liebesgeschichten aus 50 Jahren Ehe

In den letzten Jahren hat sich in Bezug auf Beziehungen und Familienplanung einiges geändert. Wir finden nicht mehr die oder den Eine*n, sondern öffnen unsere Herzen für drei, vier oder sieben Personen. Wir sagen „Ich liebe dich“, bevor wir es wirklich fühlen. Wir planen mithilfe von Verhütungsmitteln, künstlicher Befruchtung und dem Einfrieren von Eizellen, wann wir Kinder bekommen wollen. Wir tindern, bis wir 50 sind.
Wenn ich an all die Beziehungen denke, die um die Einjahresgrenze rum im Sande verlaufen sind, frage ich mich, ob ich überhaupt dazu in der Lage bin, fünf Jahre mit ein und derselben Person zu verbringen – geschweige denn 50 Jahre! Ich frage mich, ob wir uns verändert haben oder die Art und Weise, wie unsere Herzen und Köpfe funktionieren. Um das herauszufinden, habe ich mit drei Paaren gesprochen, die schon seit über einem halben Jahrhundert zusammen sind.
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Jill und Michael

Foto: Holly Falconer
Jill und Michael
Als sich Jill und Michael vor 60 Jahren das erste Mal trafen, war es keine Liebe auf den ersten Blick. Jill war 18, Michael 21. Sie waren auf einer Tanzveranstaltung, die vom jüdischen Jugendclub im Ort organisiert wurde. Michael war ganz angetan von Jills rotbraunem Haar, also bat er sie um einen Tanz. „Zu der Zeit hatte ich drei andere rothaarige Freundinnen“, witzelt er. In dem Moment, in dem Jill anfing, Interesse an ihm zu zeigen, beendete er diese Geschichten allerdings sofort. Als ich die beiden frage, ob sie sich beim ersten Treffen geküsst hätten, lachen sie: „Wo denkst du hin“, sagt Jill ganz verschämt. „Es war ein sehr zwangloses Treffen. Nichts Dramatisches“, ergänzt Michael und wirft Jill einen liebevollen Blick zu. Und was fand Jill an Michael toll, als sie sich zum ersten Mal sahen? „Ich glaube, ich war für Jill attraktiv, weil ihr Vater meinen Job befürwortet hat“, antwortet Michael und klingt auf einmal etwas ernster. „Ich machte damals eine Ausbildung zum Zahnarzt und er dachte, das wäre eine rentable Sache – etwas mit Zukunft“.
Foto: Holly Falconer
Jill und Michael.
Im Alter von 80 und 83 leben die beiden in völliger Harmonie in einer Wohnung voll mit Fotos aus 57 Jahren Ehe und mit Blick auf den Regent's Park in London. Die Hochzeit fand in einer Synagoge nähe Edgware Road statt. Ihre Eltern waren sehr froh, dass Jill und Michael denselben Glauben teilen und auch die beiden glauben im Nachhinein, dass dieser Fakt vieles leichter gemacht hat: „Wir verstehen uns dadurch besser“. Die Zeremonie beinhaltete jüdische Traditionen wie das Zerbrechen eines Glases und ein Ritual, bei dem die Braut den Bräutigam sieben Mal umkreist. „Das soll symbolisieren, dass die Frau ihn ehren und sich das ganze Leben um ihn kümmern wird“, erklärt Jill. „Ich warte immer noch darauf, dass das passiert“, sagt Michael sarkastisch und Jill scherzt, er solle vorsichtig sein, sonst reicht sie die Scheidung ein.
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Damals war es nicht unüblich, jung zu heiraten. „Eltern wollten zu der Zeit, dass die Kinder Anfang 20 heiraten. Heute ist es den meisten wohl ziemlich egal, was sich ihre Eltern sich wünschen“, so Michael. Sowohl er als auch Jill glauben, dass viele erst spät heiraten – wenn überhaupt –, weil sie erst Karriere machen, Geld verdienen und unabhängig sein möchten. Trotzdem sind die beiden froh, so zeitig geheiratet und Kinder bekommen zu haben. „Ich denke, Kinder mögen junge Eltern. Außerdem wird es, je älter du wirst, auch schwerer Kinder großzuziehen“, so Jill.
Abgesehen davon ist dem Ehepaar aufgefallen, dass viele Paare heutzutage nicht besonders lange zusammen bleiben. Auf meine Frage, was der Grund dafür sein könnte, antwortet Jill: „Ich glaube, wir waren unschuldiger damals. Ich glaube, das Fernsehen hat viel damit zu tun. Und das Internet. Es gibt so viele sexuelle und gewalttätige Inhalte. Auf solche schrecklichen Sachen wären wir nie gekommen“. Michael sieht es ähnlich und ergänzt: „Ich habe schon immer gesagt: Schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten, denn schlechte Nachrichten verkaufen sich. Die Leute wollen nicht von den netten Dingen hören, die auf der Welt passieren. Es ist wie in diesem Song von Barbra Streisand: War damals alles einfacher? Ich denke, es war viel einfacher in unserer Gesellschaft. Es gab nicht so viele Ablenkungen“.

Ron und Ellen

Foto: Holly Falconer
Ron und Ellen
Foto: Holly Falconer
Ron und Ellen
Bei Jill und Michael klingt es, als wäre ihre 57-jährige Liebesgeschichte ein Spaziergang gewesen. Ein Kinderspiel. Aber vielleicht hatten sie auch einfach nur Glück. Als ich mit Ron und Ellen spreche, einem Pärchen aus Worcester, sieht die Sache nämlich schon ganz anders aus. Die beiden 85-Jährigen betonen, wie viel Arbeit es war, die Beziehung am Laufen zu halten. Genau wie Jill und Michael trafen sie sich bei einer Tanzveranstaltung in den 50ern. Allerdings stammten die beiden aus unterschiedlichen Verhältnissen. Ellen – kurz für Eleanora – ist eine Katholikin aus dem italienischen Verona. Ron stammt aus Worcester, einer Stadt in den West Midlands Englands, und gehört der Church of England an. Er erzählt, er hätte Ellen schon bei ihrem allerersten Treffen gesagt, dass er sie einmal heiraten würde – und nur neun Monate später war es tatsächlich schon so weit. Jetzt sind sie seit 63 Jahren zusammen, doch ihre Beziehung musste einige Tiefen überwinden, was nur durch Vergebung und Liebe möglich war.
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„Was für ein attraktiver, schöner Mann. Wirklich umwerfend“, antwortet Ellen aufgeregt, als ich sie frage, was ihr durch den Kopf ging, als sie Ron zum ersten Mal sah. Ellen hat immer noch einen starken italienischen Akzent, obwohl sie seit 60 Jahren in Großbritannien wohnt. Sie ist sehr gesprächig und herzlich am Telefon. „Meine Freundinnen waren alle neidisch, weil sie mit ihm tanzen wollten“. Ellen arbeitete damals als Au Pair in England, Ron als Konstrukteur. Für die beiden stellten ihre verschiedenen Nationalitäten persönlich kein Problem dar und Ron willigte sogar zu einer katholischen Hochzeit in einer katholischen Kirche ein. Doch leider konnten Ellens Eltern die Hochzeit ihrer eigenen Tochter nicht miterleben, weil Reisen damals schwieriger war als heute.
Foto: Holly Falconer
Ron und Ellens Hochzeit
Als Ellen dann schwanger wurde, ging sie für sechs Monate zurück zu ihrer Familie nach Italien – Ron blieb der Arbeit wegen in Worcester. „Das gefiel Ron gar nicht“, erzählt Ellen. „Er vermisste mich sehr, auch wenn wir so oft wie möglich telefonierten und uns gegenseitig Briefe schrieben“. Als sie zurück nach England und ihr Kind zur Welt kam, begann ihr gemeinsames Leben. Ron kaufte ein Stückchen Land und baute ein Bungalow für die Familie – etwas, das heute so wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre, so Ron. „Die Preise sind seitdem ungemein gestiegen. Wir hatten sehr viel Glück, nicht nur uns gefunden zu haben, sondern auch noch in einem schönen Haus in einer schönen Gegend wohnen zu können. Dafür sind wir unglaublich dankbar“.
Doch leider lief nicht immer alles glatt und so wurde die Beziehung der beiden Anfang der 70er – nach rund 15 Jahren Ehe – auf eine harte Probe gestellt. Als ich das Thema anspreche, fällt es den beiden verständlicherweise sehr schwer, darüber zu sprechen. „Nun ja, wir waren vier oder fünf Jahre getrennt“, erzählt Ron zögerlich. „Es war hauptsächlich meine Schuld, aber wir kamen irgendwann wieder zusammen und sind es immer noch.“ Ellen unterbricht ihn und sagt: „Ich möchte etwas sagen. Ich bin wirklich nicht nachtragend... aber er hatte etwas mit einer anderen Frau. Meiner besten Freundin. Sie brachte mir immer Geschenke, hatte eine tolle Beziehung zu meinen Kindern. Ich lud sie zum Lunch in mein Haus ein. Und sie hinterging mich“. Als ich die beiden frage, wie ihre Ehe die Affäre überlebt hat, antwortet Ron: „Ich ging zurück zu ihr und sagte, ich wolle wieder mit ihr zusammen sein“. „Er flehte mich an“, korrigiert ihn Ellen. „Ich wollte erst nicht, dass er zurückkommt. Aber weil ich ihn so sehr liebe, habe ich ihm vergeben. Und ich vergebe ihm heute noch“. Sie seufzt. „So ist das Leben, oder?“.
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Isabell und Ronnie

Isabell und Ronnie, das dritte Pärchen, mit dem ich gesprochen habe, lernten sich im Jahr 1959 kennen. Ronnie kam aus Dominica, einem Inselstaat der Karibik, nach Bradford in Nordengland, wo sein Bruder – und wie es der Zufall so wollte auch Isabell – lebte. Isabells Stiefvater war in einer Steelband mit Ronnies Cousin. Eines Abends nahm Ronnie an einer Probe in Isabells Haus teil und die beiden sahen sich zum ersten Mal. Ronnie war in der Armee und hatte gerade Urlaub. „Ich war jetzt nicht gerade auf Anhieb in ihn verliebt, aber er sagte zu mir: ‚Ich heirate dich irgendwann‘ und ich sagte: ‚Das hättest du wohl gern!‘“, erinnert sich Isabell. Die beiden fingen an, sich zu schreiben. Wann immer Ronnie in der Stadt war, gingen sie ins Kino oder in den Pub. Eines Abends hörten sie sich gemeinsam Platten an – dann wurde Isabell schwanger. Also beschlossen sie, zu heiraten. Isabell war 16, Ronnie 21. Was selbst für die damalige Zeit ganz schön jung war. Aber auch 57 Jahre später bereuen sie nichts. Im Gegenteil.
Foto: Holly Falconer
Isabell und Ronnie
Ronnie ist Schwarz, Isabell Weiß. Das war für ihre Familie kein Problem, für seine allerdings schon. „Seine Familie war gegen eine gemischte Ehe, aber Ronnie sagte: ‚Wir heiraten auf jeden Fall, also freundet euch mit dem Gedanken an‘“. Nach ein paar Jahren konnte Isabell die Familie dann schließlich doch für sich gewinnen. Als ich Ronnie frage, welchen Vorurteilen sie sich stellen mussten, erzählt er, sie wurden auf der Straße oft komisch angeschaut. Aber die größte Herausforderung war es, einen Kredit zu bekommen. „Wir hatten beschlossen, ein Haus kaufen zu wollen, aber die Bausparkassen wollten uns wegen meiner Hautfarbe kein Geld geben“, erinnert sich Ronnie. Aber auch diese schwierige Situation haben sie überstanden: „Nichts und niemand hätte uns auseinander bringen können. Wir lebten einfach weiter unser gemeinsames Leben“.
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Foto: Holly Falconer
Genau wie Jill und Michael glauben auch Isabell und Ronnie, dass junge Leute heutzutage mehr Entscheidungen treffen müssen, was Herzensangelegenheiten wiederum schwerer machen kann. „Es gibt eine Welt da draußen, die nur darauf wartet, entdeckt zu werden. Bei uns war das damals alles nicht so leicht“, so Isabell. „Wir konnten nicht einfach in andere Länder fliegen. Junge Menschen können sich heute all ihre Träume erfüllen“. Und dann gibt es da noch die Pille: „Frauen bekommen heute nicht so früh Kinder, weil sie es nicht müssen. Aber damals war es einfach Glückssache.“ Dazu kommt laut Ronnie, dass auf den meisten Pärchen heute ein großer finanzieller Druck lastet. Während man früher erst wieder eine große Anschaffung gemacht hat, wenn die letzte abgezahlt wurde, kaufen heute viele alles parallel. Sie ziehen in eine neue Wohnung, richten sie direkt komplett ein und gönnen sich dennoch im selben Jahr einen teuren Urlaub. Wenn dann die ganzen Rechnungen ins traute Heim flattern, kann das schnell zu (Beziehungs-)Problemen führen.
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Als ich alle drei Paare nach ihrem Geheimnis fragte, waren ihre Antworten überraschend kurz und bündig. Keiner von ihnen glaubt, es gebe einen Geheimcode, den man knacken muss, um eine langfristig eine harmonische Ehe zu führen. Obwohl Jill und Michael wie ein Bilderbuchpaar wirken, gegenseitig die Sätze beenden und oft zusammen lachen, glauben sie nicht, dass es darum geht, die richtige Person zu finden. „Glück spielt eine wichtige Rolle“, sagt Michael, aber es geht mehr darum, was nach dem Hollywoodmoment passiert. Es geht darum, die Magie am Leben zu halten – durch kreative Dates, kleine Aufmerksamkeiten und romantische Urlaube zum Beispiel. Es geht darum, keinem Streit aus dem Weg zu gehen, sondern sich gemeinsam Schwierigkeiten zu stellen. Das sieht Ellen genauso und rät dazu, in schweren Zeiten nicht gleich aufzugeben, sondern für die Beziehung zu kämpfen. Außerdem darfst du dein Leben nicht von FOMO bestimmen lassen, so Isabell. „Ich habe nicht das Gefühl, etwas verpasst zu haben, denn alles, was wir erlebt haben, erlebten wir zusammen. Einige Dinge haben wir halt einfach später gemacht, als die Kinder schon etwas größer waren, statt vor der Hochzeit“. Ronnie stimmt ihr zu: „Die jungen Leute scheinen zu vielen Dingen hinterherzulaufen, während wir einfach das akzeptierten, was wir hatten“.
Foto: Holly Falconer
Wenn du in deinen 20ern oder 30ern auf der Suche nach der großen Liebe bist, lass dir eins gesagt sein: Diese sechs Menschen, die acht Jahrzehnte sozialer Veränderungen miterlebt haben, sind sich sicher, dass unsere Chancen schlecht stehen. Es klingt traurig, aber Geld, Technik und die Fülle an Möglichkeiten, die uns komplett überfordert, machen es uns eben echt nicht leicht. Das heißt aber nicht, die Romantik ist tot. Wir sind einfach nur zynischer geworden. Will heißen: Vielleicht sollten wir aufhören, die perfekte Person zu suchen, denn vielleicht hält uns genau das davon ab, die oder den Richtigen zu finden.

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