Einige von uns können cholerisch werden, wenn sie etwas getrunken haben. Das ist nichts Neues. Da unsere Gehirne beim Trinken mehr von der „glücklichen” Chemikalie Dopamin freisetzen, kann Alkohol unsere Hemmungen abbauen und uns sorgenfrei machen. Für manche Leute manifestierte sich dies darin, dass sie sich entspannter fühlen. Für andere kann es dazu führen, dass sie sich weniger Gedanken über die Folgen ihres Handelns machen.
Bei meinem jüngsten Urlaub in Berlin geriet ich in einen heftigen Streit mit einer engen Freundin während einer feucht-fröhlichen Partynacht. Ich war schuld. Ich war wegen etwas Harmlosem durchgedreht – nur etwas, was sie gesagt hatte, was ich in den falschen Hals gekriegt habe. Am nächsten Morgen entschuldigte ich mich mehrmals; ich hatte so ein schlechtes Gewissen davon, wie ich meine Freundin behandelt und den ganzen Spaß verdorben hatte.
Dies war, ehrlich gesagt, kein Einzelfall. Es gab noch weitere Abende, an denen ich mit Freunden wegen eines dummen Missverständnisses gestritten habe oder wütend wegen einem Fremden geworden bin, nachdem er mich unbeabsichtigt auf der Tanzfläche angestoßen hatte.
Es wurde weitgehend nachgewiesen, dass Alkohol Erwachsene gewalttätiger machen kann. Statistiken zufolge stand der Täter bei fast der Hälfte aller Gewaltverbrechen in Großbritannien unter Alkoholeinfluss. Das Innenministerium hat gezeigt, wie das Nachtleben – d.h. Kneipen, Nachtclubs, sowie der Alkohol, den sie verkaufen – die Kriminalitätsrate erhöht; vor allem in den Stadtzentren. Dieses Problem wird durch die Tendenz in Großbritannien für das sogenannte Komasaufen nur vergrößert. Es betrifft vor allem „junge Männer, die einander nicht besonders gut kennen.”
Alkohol ruft aber Aggressivität nicht nur bei Männern hervor. In einer 2012 durchgeführten Studie der Universität von North Carolina meinte Dr. Nora Noel, Professorin für Psychologie an der Universität, dass Frauen ihre Wut seltener ausdrücken. Und diese Unterdrückung ihrer Gefühle könne zu einem Druckaufbau führen, der durch Alkohol aufbrechen könnte.
Das kommt mir bekannt vor; normalweise bin ich zwar ziemlich sanftmütig, aber meine Nahestehenden haben sogar angefangen, meine betrunkenen Zornausbrüche als „Prosecco-Wut” zu bezeichnen. Deswegen zögere ich, mit ihnen rauszugehen und in demselben Maß wie sie zu trinken, damit ich mich nicht anders benehme als sonst. Ich frage mich, woher dieses Verhalten kommt und ob meine Wut beim Trinken ein Zeichen für etwas Düsteres in meiner Persönlichkeit ist.
Dr. Joshua Gowin vom nationalen Institut für Alkoholismus und Alkoholmissbrauch erklärt, dass „Alkohol wie jede Droge kein Verhalten einführt, das nicht bereits vorhanden ist.“ Er behauptet, dass Alkohol keine neuen Verhaltensweisen schaffen und nur die Verhaltensweisen, die bereits in einer Person vorhanden sind, verstärken könne. Das Problem liege darin, dass Alkohol die im präfrontalen Cortex des Gehirns durchgeführte Aktivität verlangsame, die in Verbindung mit Selbstkontrolle und Selbstreflexion gebracht worden sei. Daher: „Wenn man sich normalerweise unter Kontrolle bringen oder erkennen würde, dass seine Aktionen oder Reaktionen nicht angemessen sind, schafft man dies nicht, wenn man betrunken ist“.
Weitere Wissenschaftler sind der Meinung, dass Wutausbrüche unter Alkoholeinfluss eher ein genetisches Problem seien. Laut der Zeitschrift Men’s Weekly fand eine Studie 2015 in Finnland heraus, dass Menschen mit einer mutierten Form des HTR2B-Gens eine Tendenz besitzen, unter Alkoholeinfluss gewalttätiger, rücksichtsloser und impulsiver zu werden. In einer kleinen Testgruppe von 14 Finnen, die ein bestimmtes mutiertes Gen tragen, war die Wahrscheinlichkeit, einen Streit zu suchen oder einen Wutausbruch zu erleben, bei denjenigen größer, die Alkohol konsumierten.
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MUSS ICH MICH DER SCHRECKLICHEN VORSTELLUNG STELLEN, DASS ICH TATSÄCHLICH EIN AGGRESSIVER ZORNIGER MENSCH BIN, DESSEN WAHRE IDENTITÄT NACH EINEM TURBOJÄGER ZU VIEL ANS LICHT KOMMT?
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Bedeutet dies, dass ich unter einem defekten Gen leide? Oder darf ich behaupten, dass der präfrontale Cortex in meinem Gehirn durch meinen Suff an Freitagabenden abgestumpft wird? Oder muss ich mich der schrecklichen Vorstellung stellen, dass ich tatsächlich ein aggressiver zorniger Mensch bin, dessen wahre Identität nach einem Turbojäger zu viel ans Licht kommt? Ich habe die integrierte lösungsorientierte Psychotherapeutin und Beraterin für Paare, Hilda Burke, hinsichtlich meiner Bedenken gefragt.
Zunächst sagte mir Hilda, dass – egal, welcher Persönlichkeitstyp wir sind – Wut ein natürliches Gefühl sei. Sie erklärt: „der Unterschied zwischen Menschen liegt in unserer Fähigkeit, unseren Gefühlen Sinn zu geben, und in der Art und Weise, auf die wir unsere Wutgefühle ausdrücken. Wenn man nüchtern ist, sind die meisten Menschen dazu fähig. Alkohol hat aber einen Enthemmungseffekt. Er stört die Fähigkeit, rational zu denken und anderen Menschen zuzuhören“. Wenn jemand uns störe und wir betrunken seien, sei die Wahrscheinlichkeit deshalb größer, unsere Wut darüber auszusprechen.
Als Lösung des Problems glaubt Hilda, dass es zwar für manche Leute eine positive Lebensstiländerung wäre, abstinent zu sein, aber man findet dadurch die eigentliche Ursache des Problems nicht. Aggressivität und Wut seien Symptome vom Trinken. Alkohol ist jedoch nicht die Ursache dieser Gefühle. Sie sagt: „Da Wut eine sekundäre Emotion ist, versteckt sich dahinter oftmals etwas Anderes. Wut kann eine Emotion sein, die wir ausdrücken, wenn wir uns verletzt, unruhig oder sogar unsicher fühlen“. Hilda erzählte mir, dass ich mich an die Abende erinnern sollte, an denen meine Wut ausbrach. „Wie haben Sie sich damals emotional gefühlt? Wie haben Sie sich im Inneren gefühlt? Gab es schon einen bestehenden Konflikt zwischen Ihnen und der Person, mit der Sie gestritten haben?“
Sie sagte, dass diese Elemente zu untersuchen seien, weil Alkohol allein keine neuen Verhaltensweisen schaffe und Sie nicht in eine andere Person verwandeln könne. „Mit meinen Kunden versuche ich, den Hintergrund des Ausbruchs zu enträtseln. Mit diesem Hintergrund – statt der Wut selbst – muss man sich auseinandersetzen. Natürlich muss der betrunkene Ausbruch auch untersucht werden, weil er einer Beziehung heftig schaden kann. Wenn man sich aber nur auf den Alkohol konzentriert, wird nur das Symptom statt die Ursache behandelt“.
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TRINKEN ZUM ENTSPANNEN IST NIE EINE KLUGE WAHL. ÄHNLICHERWEISE WIRD BEIM EXZESSIVEN TRINKEN IHR GUTES VERHALTEN WAHRSCHEINLICH DARUNTER LEIDEN.
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Hilda ist dennoch der Meinung, dass man dem Problem durch das Bremsen seiner Trinkgewohnheiten helfen könne. Sie erklärt: „Trinken zum Entspannen ist nie eine kluge Wahl. Ähnlicherweise wird beim exzessiven Trinken Ihr gutes Verhalten wahrscheinlich darunter leiden. Wenn eine bestimmte Emotion unter der Oberfläche brodelt, wird eine ganze Menge Alkohol diese Emotion ans Licht bringen. Und zwar in einer destruktiven Art und Weise“.
Wenn unser Alkoholkonsum die bereits vorhandenen Gefühle auslöst, klingt es logisch, dass ein Ende des Konsums deine Stimmung eventuell nicht steigern wird. Nach meinem Streit in Berlin mit meiner Freundin war ich für ein Monat abstinent, nur um herauszufinden, wie viel Spaß mir Partys ohne Alkohol machen würden. Es war zwar nicht so schwer wie ich zunächst befürchtet hatte. Trotzdem machte es mir nicht so viel Spaß in einer Bar mit Freunden zu sein, wenn sie nach dem fünften Espresso-Martini herumgeschrien haben wie Hyänen und ich nur ruhig an einer Limonade nippen konnte.
Für mich stellt eine Abstinenz vom Alkohol keine Lösung auf lange Sicht dar. Darüber hinaus haben meine Gespräche mit den Experten mich zu dem Schluss geführt, dass es einen emotionalen Zusammenhang mit meinen Ausbrüchen geben muss, den ich übersehe. Als 28-jährige Frau gibt es immer eine Fülle von Unsicherheiten, Sorgen und Selbstzweifeln in meinem Kopf. Vielleicht sollte ich untersuchen, was bei mir an jenen Abenden psychologisch passierte, bei denen ich so wütend wurde. Denn Alkohol macht mir zwar Spaß, aber wenn er mit Wut, Zorn und Entschuldigungen zusammengemischt wird, ist das ein Cocktail, der mir überhaupt nicht schmeckt.
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