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„Vorher/Nachher“-Accounts stellen Frauen bloß. Wieso sind wir trotzdem danach süchtig?

Foto: Serena Brown.
2007 wurden dem Model Tyra Banks von Promi-Magazinen in aller Welt hämische Schlagzeilen um die Ohren gehauen, weil sie von Paparazzi aus einem unschmeichelhaften Winkel im Badeanzug erwischt worden war. Im Jahr darauf machte sich die britische Daily Mail über die Schauspielerin Mischa Barton lustig, weil sie im Urlaub mit Cellulite fotografiert worden war. Beides ist nun über ein Jahrzehnt her, und viele der Artikel von damals lesen sich aus heutiger Perspektive unglaublich giftig – aber gebessert haben wir uns nicht wirklich. Stars werden selbst 2020 noch für ihr Aussehen verurteilt, nur eben auf „modernere“ Art: auf Instagram. Zum Beispiel durch die „Vorher/Nachher“-Accounts, deren Posts früher oder später in jeden Discover-Feed gespült werden. 
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Einige dieser Accounts sind inzwischen ganz eigene Insta-Promis – wie zum Beispiel Celeb Face (1,5 Millionen Follower), Celeb Before and After (263.000) und Exposing Celeb Surgery (145.000). Ihre Posts sind meistens pure Spekulation: Hat der oder die was „machen lassen“? Der Vergleich von „Vorher“- mit „Nachher“-Bildern wird zur Detektivarbeit, bei der prallere Lippen eindeutig auf Filler hindeuten, eine schmalere Nase definitiv aus chirurgischen Händen stammt und glattere Haut ganz klar ein Indiz für Botox sein muss. Und am besten wird das Ganze als GIF verpackt, das alle paar Sekunden zwischen „Vorher“ und „Nachher“ switcht und den Kontrast umso deutlicher darstellt. 
Natürlich ist das „Vorher/Nachher“-Prinzip nicht neu; genau sowas gab es auch schon vor Instagram und Co. in Magazinen und Zeitungen. Im Gegensatz zu früher sind diese Bilder aber allen User:innen mit nur wenigen Klicks und Swipes frei zugänglich, verbreiten sich dank cleverer Algorithmen wie ein virtuelles Lauffeuer und werden eben nicht von den Medien, sondern den User:innen selbst erstellt – und ploppen demnach überall auf. Und obwohl viele Nutzer:innen selbst sagen, dass sie sich mit diesen Bildern unwohl fühlen, scrollen sie doch immer und immer weiter.
„Mir sind diese Accounts vor circa einem Jahr zum ersten Mal aufgefallen, als sie immer öfter auf meiner Discover-Page auftauchten“, meint die 26-jährige Sarah. Sie scrollt sich etwa zweimal im Monat durch die Feeds dieser Accounts, sagt sie, weigert sich aber trotzdem, ihnen zu folgen – weil sie „eindeutig mies“ sind. „Solche Posts sind total unfeministisch“, findet sie. 

Kylie Jenner behauptete: ‚Ach, ich habe meine Lippen nur mit dem Liner umrandet.‘ Als ihre Kund:innen das dann selbst ausprobierten, stellten sie fest: Hey, das funktioniert ja gar nicht.

Dana Omari, @igfamousbodies
„Viele glauben, das Internet hätte die Medienwelt völlig verändert – aber die alten Methoden von Promi-Magazinen findest du genauso jetzt einfach online“, erklärt Adrian Bingham, Professor für moderne britische Geschichte an der Sheffield University. Er ist Experte für die Klatschpresse und meint: Vieles von dem, was heute viral geht, gab es genauso schon früher in Papierform, von True Crime bis hin zu Promi-Gossip.
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Die Gründer:innen dieser Instagram-Accounts sehen das aber anders. Sie weigern sich, diesen Vergleich zu akzeptieren, und behaupten, ihre Posts hätten einen tieferen moralischen Sinn. „Ich gebe mir viel Mühe, die Posts nicht zu hämisch klingen zu lassen“, erklärt mir Dana Omari. Ihr gehört einer der größten „Vorher/Nachher“-Accounts auf Instagram, @igfamousbodies (181.000 Follower). Sie stellt klar: Jeder ihrer Posts soll entweder bilden oder dem dargestellten Menschen ein Kompliment für sein Aussehen machen. 
„Bilden“? Ja, sagt Dana – sie meint das im journalistischen Sinne. Ihrer Meinung nach ist es nämlich „ziemlich gefährlich“, wenn Stars ihre kosmetischen Eingriffe nicht selbst öffentlich machen. Ein Beispiel dafür ist Kylie Jenner, die 2014 (damals mit 15 Jahren) verheimlichte, dass sie sich die Lippen hatte aufspritzen lassen – und im nächsten Jahr eine Firma gründete, die ihre Lippenprodukte mit Kylies (kosmetisch behandelten) Lippen bewarb.
„Diese Leute haben so viel Einfluss, und viele von ihnen wollen uns etwas verkaufen“, sagt Dana. „Als Kylie Jenner ein ganzes Jahr lang ihre Lippen-Filler verschwieg, verkaufte sie während dieser Zeit massenweise Lip Kits. Sie behauptete halt einfach: ‚Ach, ich habe meine Lippen nur mit dem Liner umrandet.‘ Als ihre Kund:innen das dann selbst ausprobierten, stellten sie fest: Hey, das funktioniert ja gar nicht.“
Gute Absichten hinter Posts wie denen von Danas Seite hin oder her – aus feministischer Sicht gibt es damit trotzdem ein paar Probleme. Zum Einen wäre da die Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit dieser Fotos Frauen zeigt, obwohl auch unzählige berühmte Männer in Sachen Schönheit angeblich chirurgische Hilfe hatten. (Google doch bloß mal „Joe Biden + Botox“. Glaub mir.) Und bei den Frauen sind es noch dazu immer dieselben Gesichter: Bella Hadid, Kylie Jenner und Kim Kardashian tauchen immer und immer wieder auf, und manche Accounts widmen sich sogar speziell nur der „Enthüllung“ einzelner Personen, wie dieser zu Kendall Jenner. Dana gibt zwar zu, dass auch ihr Account deutlich mehr Bilder von Frauen als von Männern postet, hat dafür aber auch eine simple Erklärung: Die Eingriffe bei Männern sind meistens weniger auffällig und demnach schwerer zu zeigen.
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Während Dana und ihre Instagram-„Kolleg:innen“ ihre Posts also zwar für nötig und nützlich halten, empfinden wir gleichzeitig trotzdem Mitleid mit Kylie Jenner und Co. – schließlich haben auch sie gute Gründe dafür, ihre Eingriffe zu verheimlichen und dafür, warum sie sich ihnen überhaupt unterziehen. Diese Gründe sind wohl den meisten klar: Stars stehen unter einem enormen Druck, westlichen Schönheitsstandards zu entsprechen – und wer da kosmetisch nachhilft, „schummelt“ in den Augen vieler. 
Dieser Kontext findet sich aber auf den wenigsten dieser Instagram-Accounts. Die meisten behaupten in ihrer Bio, sie würden „die Lügen der Stars enthüllen“ oder „die Realität der Hollywood-Schönheit zeigen“. Andere wiederum drehen das Ganze etwas positiver, verkünden ihre Liebe für das „Glow-Up“ oder schreiben, dieser oder jener Star sei „vorher schön & nachher schön“. Keiner dieser Accounts würde je von sich selbst behaupten, diese Foto-Vergleiche seien einzig und allein dazu da, das Aussehen dieser Promis zu verurteilen – obwohl sie genau das tun, wie auch die Klatsch-Magazine von früher, nach dem Motto: „Ha, beim Schummeln erwischt!“

Der Körper verändert sich von Natur aus so langsam – deswegen sind wir solche drastischen Veränderungen einfach nicht gewöhnt und finden sie schockierend.

Helena Lewis-Smith, Centre for Appearance Research
„Das ist eine ganz komische Mischung: Diese Posts machen sich eindeutig über die Beauty-Eingriffe dieser Stars lustig, wie es die gehässigen Promi-Zeitschriften früher gemacht haben – gleichzeitig wollen uns diese Accounts oft aber auch durch diese Fotos zeigen: Hey, es ist voll okay, dass dein Gesicht normal und natürlich aussieht“, meint Sarah.
Das sieht auch Victoria so. Sie ist 26 und folgt zwei oder drei dieser Accounts, weil sie ihr dabei helfen, sich in den sozialen Netzwerken nicht von irgendwelchen absurden, unerreichbaren Schönheitsstandards verunsichern zu lassen. Diese Accounts, erklärt sie, beruhigen sie irgendwie, weil sie beweisen: Die schönsten Menschen hatten häufig Hilfe von Chirurg:innen oder Photoshop. Es tut gut zu wissen, „dass ich auch so heiß sein könnte, wenn ich reich wäre“, erklärt sie. 
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Und das geht vielen so, bestätigt mir auch Helena Lewis-Smith von der weltgrößten Studieneinrichtung zum Thema Body Image, dem Centre for Appearance Research in Bristol. Sie glaubt, dass das Format dieser Accounts vor allem deswegen so beliebt ist, weil wir Menschen von äußerlichen Veränderungen am Körper und im Gesicht fasziniert sind. 
„Der Körper verändert sich von Natur aus so langsam – deswegen sind wir solche drastischen Veränderungen einfach nicht gewöhnt und finden sie schockierend“, erklärt sie und weist auf Studien hin, die beweisen, dass User:innen jemanden unsympathischer finden, der oder die eindeutig bearbeitete Bilder postet. Das wird oft als unehrlich empfunden, meint sie – und vielleicht erklärt das auch, warum wir kosmetische Eingriffe so gerne enthüllen, um die „Wahrheit“ herauszufinden. Und das kann sogar für eine gewisse Zufriedenheit sorgen. 
Denn tatsächlich haben solche „Vorher/Nachher“-Vergleiche manchmal auch positive Effekte auf uns – zum Beispiel, wenn ein solcher Vergleich zeigt, dass dieser oder jene Star zugenommen hat und sich offensichtlich dennoch im eigenen Körper wohlfühlt. „Dabei sind die User:innen zufriedener mit sich selbst“, erklärt Helena. Anders ist es wiederum bei Gewichtsverlust-Beispielen. Ist das „Nachher“ deutlich dünner oder fitter als das „Vorher“, sorgt das bei vielen für Zweifel an der eigenen Figur. All das zeigt: Unsere Faszination mit diesen „Vorher/Nachher“-Bildern hängt stark mit unserem Selbstwertgefühl zusammen. In einer Welt, in der absolute Perfektion als erstrebenswert gilt, ist es irgendwie beruhigend, ganz klar präsentiert zu bekommen: Diese „Perfektion“ ist oft mehr Lüge als Realität.
Und obwohl unsere Gesellschaft heute zum Glück feministisch genug ist, um das Aussehen-Shaming von Frauen hart zu verurteilen, zeigen Accounts wie diese: So ganz haben wir diese alten Verhaltensmuster noch nicht abgelegt, sondern sie lediglich neu verpackt. 

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