WERBUNG
WERBUNG

Wegen meiner psychischen Erkrankung kann ich niemals Mutter werden

Foto: Eylul Aslan.
Rachel Rowan Olive ist 26 Jahre alt. Sie würde gerne irgendwann mal Kinder haben, hat aber Angst, dass das wegen ihrer psychischen Verfassung nicht möglich ist. „Wenn ich wüsste, dass ich jederzeit problemlos an Unterstützung herankomme, wenn ich sie benötige, würde ich nicht zögern, mit der richtigen Person ein Kind zu bekommen. Aber bei der Sparpolitik, die gerade gefahren wird, ist das einfach nicht der Fall“, sagt Rachel.
Bei der Londoner Illustratorin wurden über die Jahre hinweg verschiedene psychische Probleme diagnostiziert. Aktuell kümmert sich ein Team von Fachkräften um sie. „Ich kenne Frauen, die ähnliche Probleme haben wie ich und fantastische Mütter sind. Aber man braucht Unterstützung und die bekommt man heutzutage nur schwer.“
WerbungWERBUNG
Außerdem befürchtet Rachel, vom Sozialamt diskriminiert zu werden: „Du wirst automatisch als Risiko für deine Kinder gesehen, wenn du in der Vergangenheit psychische Probleme hattest”. Dazu kommt, dass sie homosexuell ist und Angst vor Vorurteilen hat.
Frauen, die eine psychische Krankheit haben – wie Depressionen, Schizophrenie, Angst- oder bipolare Störungen – machen sich mehr Gedanken darüber, ob sie gute Mutter sein können, so Dr. Gertrude Seneviratne, Vorsitzende der Perinatalen Fakultät des Royal College of Psychiatrists in London. „Einige Frauen haben Angst davor, dass ihnen ihr Kind weggenommen wird.“ Auch wenn das nicht oft passiert, verschweigen manche ihre Symptome, fragen nicht nach Hilfe und riskieren einen Rückfall, weil sie ihre Kinder nicht verlieren wollen, falls sie sich behandeln lassen müssten.
„Es ist ein Irrglaube, dass Menschen mit psychischen Problemen keine guten Eltern sein können“, ergänzt Dr. Seneviratne. Trotzdem hatte sie schon Patientinnen, die sich bewusst dagegen entschieden haben, Kinder zu bekommen. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es meistens um Krankheiten geht, die immer mal wieder und vor allem in stressigen Lebensabschnitten auftauchen. Dr. Seneviratne bestätigt, dass es aus medizinischer Sicht tatsächlich schwer sein kann, ein Kind großzuziehen, wenn man an schweren, chronischen psychischen Krankheiten leidet, besonders dann, wenn diese mit starken, wiederkehrenden psychotischen Episoden einhergehen oder mit Selbstverletzung oder Selbstmordabsichten.
Fiona Thomas war etwa 27 Jahre alt, als sie feststellte, dass Kinderkriegen einen Einfluss auf ihre Depression und Angststörung haben könnte. „Etwas so Großes würde auf jeden Fall einen Rückfall auslösen und ich glaube, es wäre schwer für mich, das ganz alleine zu managen. Was, wenn ich ein Kind habe und es mir dann auf einmal richtig schlecht geht? Diese Vorstellung macht mir Angst.“
WerbungWERBUNG
Mittlerweile ist Fiona 31 Jahre alt. Sie hatte nie wirklich vor, Kinder zu kriegen und ihre Diagnose bekräftigt sie in dieser Entscheidung. Ihr Ehemann versteht und unterstützt sie: „Das Wichtigste für ihn ist meine Gesundheit. Er denkt, dass es zwar nicht unmöglich für uns wäre, Kinder zu kriegen, aber sicher extrem stressig.“
Ein weiteres Thema, das viele beschäftigt, ist die Vererbbarkeit. Es ist immer noch nicht komplett klar, ob oder wie psychische Störungen vererbt werden können. Vielleicht genau deshalb also auch nachvollziehbar, dass sich betroffene Frauen darüber Gedanken machen. Fiona erzählt, dass es auch in ihrer Familie schon psychische Störungen gab. „Sollte mein Kind irgendwann dieselben Symptome aufweisen wie ich, würde ich mich schuldig fühlen.“
Obwohl Fiona schon einen Artikel über ihre Diagnose und das Kinderkriegen geschrieben hat, fällt es ihr immer noch schwer, darüber zu reden. „Selbst mit Freunden oder Bekannten würde ich das Thema nicht unbedingt ansprechen. Und das, obwohl ich über psychische Störungen blogge.“ Nachdem ihr Artikel veröffentlicht wurde, sind nur wenige Leute auf sie zugekommen und haben ihr erzählt, dass sie dieselbe Entscheidung getroffen haben. Aber sie glaubt, dass das vor allem daran liegt, dass niemand darüber reden möchte und sich viele ganz einfach nicht mit dem Thema beschäftigen wollen. „Besonders ältere Generationen sagen oft, dass man sich nicht so viele Gedanken machen und einfach Kinder kriegen soll, wenn man es möchte. Aber wenn man psychische Probleme hat, macht man sich ja prinzipiell zu viele Gedanken.“
Fiona nimmt seit 2012 Medikamente, nachdem sie durch einen mentalen Breakdown fast ein Jahr lang nicht arbeiten konnte. „Ich glaube nicht, dass ich sie jemals absetzen kann. Um mit meiner Krankheit leben zu können, nehme ich Medikamente und versuche, Sport zu machen, mich gut zu ernähren und mich zwischendurch auszuruhen, damit ich mein Stresslevel auf einem Minimum halte. Denn Stress ist ein großer Trigger für mich.“
WerbungWERBUNG
Viele Frauen, die schwanger sind oder darüber nachdenken Kinder zu bekommen, machen sich Sorgen über die medikamentöse Behandlung, doch Dr. Seneviratne sagt: „Ein weiterer, weit verbreiteter Irrglaube ist, dass Frauen ihre Medikamente nicht nehmen dürfen, wenn sie schwanger sind oder stillen.“ Tatsächlich gäben viele Fachleute aus dem Gesundheitswesen falschen Rat. „Wir leben im Jahr 2018. Mittlerweile gibt es durchaus Medikamente, die man auch in der Schwangerschaft nehmen kann.“ Allerdings muss man sich bei eine*r Spezialist*in informieren und von ihr*ihm begleiten lassen. „Diese Information gibt dir nicht jede*r.“
Und auch eine Google-Suche gibt nicht nur wenig fachlichen Aufschluss, sondern kann sogar negative Auswirkungen haben. „Wenn du beispielsweise auf einer Website liest, dass die Wahrscheinlichkeit nach der Geburt einen Rückfall zu haben, etwa wenn man eine bipolare Störung hat, bei 50 Prozent liegt, kann das natürlich sehr beängstigend sein. Und dann denkst du vielleicht, dass du besser kein Kind kriegen solltest.“ Doch in der Realität handelt es sich eigentlich um ein handhabbares Risiko, erklärt Dr. Seneviratne – vorausgesetzt, man bekommt die richtige Unterstützung und Behandlung.
„Frauen können vor der Empfängnis einen Termin zur Beratung machen und sich von eine*r Psychater*in über mögliche Risiken aufklären lassen – darüber, welchen Einfluss die eigene Krankheit auf das ungeborene Kind haben kann oder ob beziehungsweise welche Medikamente genommen werden dürfen. „Keine Frau sollte das Gefühl haben, dass es komplett unmöglich für sie ist, Kinder zu bekommen. Eine gute Unterhaltung mit der richtigen Person kann da einen großen Unterschied machen.“
Das klingt zwar sehr beruhigend, aber es stehen einfach immer noch zu wenig Mittel zur Verfügung. In einer perfekten Welt könnte man einfach zur Hausärztin oder zum Hausarzt gehen und dort eine Überweisung zur entsprechenden Spezialistin oder zum Spezialisten bekommen. Doch so einfach ist das leider nicht, auch in Deutschland nicht. Zu oft muss man Monate, wenn nicht sogar Jahre auf einen Therapieplatz warten. Außerdem wird der wirtschaftliche Aspekt oft nicht bedacht: Wenn man nicht in die seelische Gesundheit der Mütter investiert, kann das Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben, so Dr. Seneviratne. „Leider bekommen viele Frauen nicht rechtzeitig die Hilfe, die sie brauchen würden. Hausärzt*innen sind zum Teil schlecht informiert, Symptome werden kleingeredet oder nicht ernst genommen und es gibt zu wenig Fachkräfte – es gibt also noch viel zu tun.“
WerbungWERBUNG
Was sich daraus schließen lässt? Um echte Veränderung zu schaffen, ist es wichtig, nicht nur über das Thema zu sprechen, sondern auch zu handeln.
Wenn du oder eine Person die du kennst Hilfe benötigst, kannst du dich beispielsweise hier informieren:

More from Mind

WERBUNG