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Muss ich mich ändern, wenn meine erste Freundin Mutter wird?

Foto: Ashley Armitage
Wenn deine erste Freundin schwanger wird, denkst du kurz, dass du jetzt erwachsen bist. Keine Ahnung, was sie dachte, als ihr Schwangerschaftstest zwei Striche – also positiv – anzeigte, aber in mir bereitete sich eine Art Gefühl, was Menschen vielleicht fühlen könnten, wenn sie das erste Mal eine Regelblutung erleben oder feststellen, dass die Vergangene die letzte war. Ein Gefühl von: Okay, es geht los.
Die ersten Pärchen in meinem Freund*innenkreis lebten bereits länger zusammen und ja, Schwangere hatte ich auch schon ab und zu gesehen. Aber wenn die erste enge Freundin ein Kind bekommt, ist es eine andere Hausnummer. Ich war aufgeregt, zumindest ein bisschen.
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Meine (noch nie mit der Realität besonders in Berührungen gekommene) Ablehnung des Konstruktes der Kleinfamilie wurde verbunden mit einer romantisierten Vorstellung davon, wie wir alle gemeinsam dieses Kind großziehen werden, zehn coole Tanten, zehn coole Onkel. Anarcho-Baby, wir, als Freund*innenkreis, wollten es ganz anders machen. Wir wollten für unsere Freundin da sein.
Kleinfamilien isolieren. Davon war ich überzeugt. Kleinfamilien reproduzieren patriarchale Verhältnisse und wir machen das anders. Wenn wir irgendwann mal Kinder kriegen, leben wir in Kommunen, in denen die Arbeit gerecht aufgeteilt ist. Nicht nur die Lohnarbeit. So weit, so einfach gedacht. Nur ist irgendwann nicht immer in einer weit entfernten Zukunft, sondern manchmal eben auch jetzt. Was dann, wenn du mit zwanzig schwanger wirst und deine Freund*innen nicht gerade an dem Punkt stehen, in eine Mehrgenerationenkommune zu ziehen? Was dann, wenn das Nachholen eines Schulabschlusses, das Ausziehen aus dem Elternhaus oder wilde Gruppensexpartys mehr an der Tagesordnung stehen als das Philosophieren über Wickeltücher und gerecht aufgeteilte Reproduktionsarbeit?
An verschiedenen Stationen im Leben zu stehen trennt. Auch das musste ich begreifen, als der Bauch meiner Freundin immer und immer dicker wurde. Und, dass meine Ablehnung der Kleinfamilie ein Gedanke ist, den ich leben kann, weil ich eben keine Verantwortung für einen kleinen Wurm trage. Wo sollst du plötzlich ein kinderfreundliches Kollektivwohnprojekt auftreiben, wenn die Wohnungssuche als junges Elternpaar mit eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten euch schon raus aus der Groß- und rein in die Kleinstadt drängelt, in der ihr niemanden kennt? Klar, es ist nicht weit von der Stadt. Aber es isoliert. Wie sollen junge Eltern sich lösen von festgefahrenen Strukturen, wenn Papa nicht mal in Elternzeit gehen kann, weil die Kohle sonst nicht reicht? Wie soll keine Isolation passieren, wenn Mama Tag ein, Tag aus, in einer Stadt hängt, in der sie niemanden kennt, außer ein paar andere Mütter, die etwas ähnliches leben?
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Auch ich finde es manchmal nervig, auf Veranstaltungen nicht drinnen rauchen zu können – aber es ist nun mal nicht inklusiv.

Es ist nicht leicht, Alternativen zu leben, wenn das System einem Hindernisse in den Weg stellt. Und es ist auch nicht leicht, wenn die Freund*innen nicht helfen, diese aus dem Weg zu räumen. Und nein, wir haben es nicht gut gemacht.
Im Nachhinein weiß ich, dass ich nicht genug für meine Freundin da war. Ich habe genau das gemacht, was ich mir nicht von mir gewünscht habe: Ich habe nicht genug gegen die Isolation gekämpft. Ich habe sie passieren lassen und meinem Leben genau den Fokus gelassen, den es eben vorher schon hatte: Party, Sex, Politik. Und manchmal habe ich mich deswegen mies gefühlt.
Muss ich mich ändern, wenn meine erste Freundin Mutter wird? Vielleicht nicht. Aber ein bisschen Rücksicht darauf, dass der Lebensmittelpunkt meiner Freundin sich gerade in eine andere Richtung schiebt, als der, den ich lebe, da hätte ich wohl mehr Potenzial gehabt. Ich hätte schon bei der ersten Absage verstehen können, dass sie gerade keinen Bock hat, auf eine Veranstaltung zu kommen, auf der sich alle berauschen. Ich hätte schon bei der ersten Aussage verstehen können, dass sie gerade ebenso keinen Bock hat, sich pseudospannende „wer mit wem“-Geschichten anzuhören, während der alte Partyfreund*innenkreis zwar über das werdende Elternpaar redet, sich aber gleichzeitig zurückzieht.
Die linke Szene bietet enorm wenig Raum für Eltern und Kinder. Während die Kleinfamilie gerne als die „Keimzelle des Faschismus“ bezeichnet wird, sind diejenigen, die das behaupten, häufig auch diejenigen, die das reproduzieren.
Auch ich finde es manchmal nervig, auf Veranstaltungen nicht drinnen rauchen zu können. Aber es ist nun mal nicht inklusiv, also gehen wir eben vor die Tür.
Ich bin froh, dass wir inzwischen wieder ganz guten Kontakt haben, dass das Kind gesund ist und es allen gut geht. Mit dem ersten Nachwuchs ist es nunmal nicht einfach – auch für den Freund*innenkreis nicht. Aber jetzt weiß ich's besser. Und kämpfe für's draußen Rauchen.

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