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„Du wirst 30 & hast noch keine Kinder?” – Ich kann diese Fragen nicht ertragen!

Illustration: Anna Sudit, Shawna Huang, Mallory Heyer
Neulich saß ich mit Freunden beim Abendessen. Das Thema fiel auf eine alte Bekannte, die vor ein paar Jahren geheiratet hat und mit ihrem Freund mittlerweile im Ausland lebt. Ich war die einzige am Tisch, die ab und an noch Kontakt mit ihr hatte. Wir wechselten ein paar kurze Infos, bis irgendwer wie selbstverständlich fragte: „Wieviele Kinder hat sie eigentlich mittlerweile?“ Ich war verdutzt. Sie wollte nie Kinder, das wusste eigentlich jeder, aber irgendwie schien das nicht mehr zu gelten. Sicher, wir sind alle über dreißig, im Freundeskreis jagt eine Babynews die andere, auch ich bin seit einem Dreivierteljahr Mutter. Und doch nervt mich diese Einstellung. Sind wir nicht in unseren Zwanzigern ganz versessen darauf gewesen, gesellschaftliche Normen und Erwartungen dieser Art zu ignorieren und zu brechen? Ich erinnerte mich an einen Text, den ich vor zwei Jahren kurz vor meinem 30. Geburtstag geschrieben hatte, der aber nie veröffentlicht worden ist. Beim Nachlesen wurde mir klar, dass er kein Stück an Aktualität verloren hat:
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„Gerade noch waren wir Mitte zwanzig — ziel- und planlos, aber frei. Voller Flausen im Kopf haben wir uns nach durchtanzten Nächten gegenseitig die Haare gehalten, während wir kraftlos übers Brückengeländer gebeugt unseren überschüssigen Mageninhalt in die Nacht entließen, um uns Minuten später wieder lachend in den Armen zu liegen. Konsequenzen? Fehlanzeige! Immer auf der Suche nach dem Unbekannten, ungewiss was die Zukunft bringt, getrieben von der naiven Intuition unserer Herzen. Wo ist diese Zeit geblieben?
Heute sitzen wir hier und reden über Verantwortung und Vernunft. Trunken schwirrt uns der Kopf nur noch von all den Konventionen, die wir uns selbst auferlegen. Wir wussten immer, dass der Tag kommen würde, an dem unser Bauch nicht mehr nur alleiniger Richter über unser Leben sein soll. Denn unaufhaltsam erklärt sich mit fortschreitendem Alter offenbar ein neues Organ zum entscheidungsbefugten Zentrum der Macht: der Kopf. Fremdgesteuert von besserwisserischen Kommentaren und Erwartungen aus unserem Umfeld, übernimmt er wie von selbst die Kontrolle und macht aus uns Sklaven einer Gesellschaft, von der wir uns seit der Pubertät krampfhaft versucht haben zu befreien. Drei Jahre bin ich jetzt mit meinem Freund zusammen, aber es könnten auch fünf sein oder nur eins. Das spielt keine Rolle. Kurz vor meinem 30. Geburtstag reden plötzlich all meine Freundinnen nur noch von dem all die Jahre gefürchteten „nächsten Schritt“. Heiraten, Kinderkriegen, Sicherheit.
Komisch, wenn Männer ihr Leben leben, dann tun sie das einfach, ohne dass es jemand kommentiert! Frauen scheint der Evolution zufolge noch immer eine der wichtigsten Funktionen der Menschheit anzuhaften: die Fortpflanzung (der sie ja nicht alleine frönen, aber aus unerklärlichen Gründen hält sich allgemein die Meinung, dass die biologische Uhr bei Frauen sehr viel weniger Spielraum hierfür ließe). Während bislang das Thema Kinderkriegen keine Rolle in meinem Leben gespielt hat – bis auf den Fakt, dass das irgendwann unbedingt vorgesehen ist, gibt es in meinem Umfeld plötzlich ein bis dato unbekanntes Ärgernis: Die Warum-seid-Ihr-eigentlich-immer-noch-nur-zu-zweit-Frage? Und so richtig weiß ich dieser Tage nichts darauf zu erwidern. Obwohl ich sonst um keine noch so schlagfertige Antwort verlegen bin, fühle ich mich von solch latent vorwurfsvoller Neugierde eher in die Enge getrieben – ob aufgrund ihrer ziemlich intimen und persönlichen Natur oder ihrer unglaublichen Dreistigkeit, vermag ich nicht zu sagen. Vielleicht spielt beides eine Rolle. Vielleicht macht es mich auch einfach nur wütend.
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Zwar hat sich das Image kinderloser Frauen innerhalb weniger Jahre grundlegend verändert, doch scheint das in vielen Köpfen noch nicht so richtig angekommen zu sein. Der englische Ausdruck „childless“, der negativ wertend einen Mangel implizierte, wurde unlängst durch den Begriff „childfree“ ersetzt, der ein kinderloses Leben als aktive Entscheidung statuiert. Vor wenigen Jahren wurde diese bewusste Entscheidung noch naserümpfend abgetan. Kinderlose Frauen wurden bemitleidet oder misstrauisch beäugt. Beides haben wir noch lange nicht überwunden. Doch immer mehr Frauen stellen die Selbstverständlichkeit der Mutterschaft infrage. Fragen wie: Sind kinderlose Frauen weniger weiblich? Was zeigt diese Entwicklung? Und wer sind diese Frauen, die sich diese früher unvorstellbare Freiheit herausnehmen?
Diesen Fragen stellte sich auch die Dokumentation „Kinderlos, meine Wahl“, die in Zusammenarbeit mit Arte entstanden ist. Die Regisseurin Colombe Schneck beleuchtet ihre persönliche Entscheidung, stellt ihre vermeintliche Freiheit aber auch infrage. Dafür begleitet sie drei Frauen aus Frankreich, Deutschland und Israel, allesamt aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Einkommensgruppen. Was gibt diesen Frauen den Mut, sich der gesellschaftlichen Norm nicht zu beugen und sich dem biologischen Ruf der Fortpflanzung zu widersetzen? Wie leben sie mit ihrer Entscheidung? Woher nehmen sie die Kraft, anders zu sein? Mit Sorgfalt und Feingefühl hinterfragt Schneck eines der letzten Tabuthemen unserer Gesellschaft.
Ich selbst tue die Frage oft mit einem Grinsen ab. Innerlich balle ich allerdings die Fäuste. Bereits im Kindesalter war mir eines glasklar: Ein Leben ohne Kinder stelle ich mir unerfüllt vor. Und bevor jetzt irgendwer aufschreit: Das ist mein ganz persönliches Empfinden und soll nur eines verdeutlichen: Ich werde, insofern mir die Natur wohl gesonnen ist, unbedingt eine Familie gründen. Eines Tages! Nur scheint ‚Eines Tages‘ mit 29 3/4 plötzlich keine Option mehr zu sein. Denn die verheerende Ursache für all diese Kommentare rückt unaufhaltsam näher: Mein 30. Geburtstag. 30 — eine Zahl, die mir bis dato so egal war, wie nur was! Plötzlich aber ballen sich die entlegensten Gedanken zum Mittelpunkt meines Daseins, die mich dieses dritte Lebensjahrzehnt zumindest für den Moment bereits verfluchen lassen. Frei war gestern, jetzt ist Schluss mit lustig. Was ist, wenn ich ganz allein für mich entscheide, was wann richtig ist? Was ist, wenn ich irgendwann einfach schwanger bin, ohne daran gedacht zu haben, viel Geld zur Seite zu legen? Was ist, wenn ich mein Leben lang auf mein Herz hören werde und Kopfentscheidungen in meinem Lebensentwurf einfach nicht vorgesehen sind? Was ist, wenn ich respektiere, dass mein Nachbar sich für dieses, ich mich aber eben für ein anderes Leben entscheide? Was ist wenn wir nicht nur Männer, sondern auch Frauen einfach mal machen lassen? Was wäre denn, wenn wir jeden einfach leben lassen, wie er möchte?
Fakt ist: Mein gesamtes Umfeld wird derzeit nicht müde, über Kinder zu reden. Selbst der verbittertste Single scheint laut die Uhren ticken zu hören. Mag sein, dass sich Dinge ändern, wenn wir groß sind. Mag sein, dass bestimmte Lebensetappen mit bestimmten Zeitfenstern einhergehen. Eine Sache wird sich in meiner Welt jedoch nie ändern, ganz egal, wie alt ich bin: dass nämlich mein Bauch den Ton angibt. Und wenn der meinem verdrehten und unvernünftigen Kopf zu verstehen gibt, dass es an der Zeit wäre, zu heiraten und Kinder zu bekommen, dann werde ich das tun! Ganz sicher sogar! So sicher wie es im Universum noch unentdeckte Sterne gibt. Dann aber auf meine Weise, nach meinem Zeitfenster, meinen Parametern. Denn wenn Bauch und Universum der Meinung sind, dass der Zeitpunkt passt, dann wird es so sein! Grundvoraussetzung dafür sind noch immer zwei Herzen, die intuitiv dasselbe wollen. Und da bin ich vielen anderen schon einen großen Schritt voraus, also Ruhe im Karton.“
Anm. d. Red.: Die Autorin, mittlerweile 32 Jahre alt, hat sich kurz darauf von ihrem langjährigen Freund getrennt – sehr zur Verwunderung ihrer Freunde und Familie. Das Thema Kinderkriegen schien damit erst einmal in noch weitere Ferne zu rücken. Heute, zwei Jahre später, lebt sie gemeinsam mit ihrem Freund und dem sieben Monate alten Sohn in Wien. Ungeplant und doch gewollt. Kurzum: Lassen wir doch dem Leben einfach seinen Lauf…
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