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In Gesundheit & Krankheit: Beziehungen mit chronisch kranken Partner:innen

Foto: Elizabeth Castillo Gama/EyeEm
Mein Freund wäscht meine Haare, kocht mein Abendessen, putzt unsere Wohnung und holt die Post. Nein, er ist keine Art Superheld; er erledigt einfach jene Dinge, die ich nicht erledigen kann, damit wir beide glücklich und gesund bleiben. Unser gemeinsames Leben war nicht immer so. Wir lernten uns beim Wandern in den Bergen kennen und verliebten uns bei einer Flasche Rotwein und einem nächtlichen Kinobesuch ineinander. In der Zwischenzeit hat sich aber fast alles bei uns verändert, außer eine Sache: Wir sind immer noch so glücklich miteinander wie wir es auch vor meiner Erkrankung waren.
Oft wird es als ein Akt modernen Feminismus angepriesen, Partner dazu zu bringen, die Wäsche zu waschen oder sich zu gleichen Teilen an der Hausarbeit zu beteiligen. Bei mir und vielen anderen Menschen mit Be_hinderungen sind diese Handlungen aber eine Voraussetzung fürs Überleben. Natürlich wirken sich diese Umstände auf Beziehungen aus – wie jede Veränderung im Leben, an die wir uns anpassen müssen. Sie machen mich aber nicht zu einem bedürftigen oder pflegeintensiven Menschen oder ihn zu etwas Besonderem (für andere Menschen). Bei uns gibt es keine Rollenverteilung à la: Er ist der Erlöser und ich die Erlöste. Wir sind einfach nur zwei Menschen, die sich ineinander verliebt haben und in Gesundheit wie auch Krankheit gut zurechtkommen.
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Wenn es um Beziehungen geht, in denen eine Person eine Be_hinderung hat, werden Annahmen getroffen, über die ich stundenlang sprechen könnte. Jeden Tag werden wir daran erinnert, dass wir in einer ableistischen Gesellschaft leben. Dabei bin ich jemand, der nur einen Teil der Zeit im Rollstuhl sitzt und meine Be_hinderung für Außenstehende so nicht immer sichtbar ist. Leute halten neben unserem Auto an und zeigen mit Gesten, dass sie mir in meinen Stuhl hinein helfen wollen; Mütter mit Kinderwagen und bevormundendem Lächeln schauen zu mir, dann zu ihm und dann wieder zu mir rüber. Manchmal fragt mich auch jemand, was passiert ist oder wann es mir wieder besser gehen wird (als ob ich Kontrolle darüber hätte). Wenn Fremde auf der Straße an uns vorbeigehen, kommt uns oft dieser wissenden Blick entgegen, den wir beide inzwischen in-und auswendig kennen und der Folgendes zu sagen scheint: „Gut, dass du dich um sie kümmerst, mein Freund. Das ist groß von dir.“ Die meisten Menschen, die uns beiden wichtig sind, haben sich mittlerweile an meine Be_hinderung und die daraus resultierenden Einschränkungen bei sozialen Aktivitäten oder Veranstaltungen gewöhnt. Das macht es aber nicht leichter, fast jedes Wochenende Einladungen ablehnen zu müssen.
Mit diesen Erfahrungen bin ich nicht allein. Ciska ist 24 und seit über sechs Jahren mit ihrem Freund zusammen. Sie hat Endometriose und leidet an POTS (posturales Tachykardie-Syndrom), neben anderen nicht diagnostizierten chronischen Schmerzen. Ciska erzählt, dass es Menschen in ihrem Leben gibt, die oft darüber reden, wie toll ihr Freund doch nicht sei, weil er all die Jahre zu ihr gehalten hat. Diese Form von Beurteilung durch Außenstehende empfinden viele Menschen mit Be_hinderung, die mit Menschen ohne Be_hinderung zusammen sind, als frustrierend. Ciska meint, sie müsse sich immer wieder vor Augen führen, wie viel emotionale Arbeit sie eigentlich in ihrer Beziehung leistet. Sie erwähnt außerdem, dass ihr Therapie dabei geholfen habe, besser mit diesen Gefühlen umzugehen.
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Eine ungleiche Verteilung der körperlichen und geistigen Lasten wird oft als Ursache für gescheiterte Beziehungen angeführt. Ich muss mich selbst immer wieder daran erinnern, dass der Wunsch nach einer 50:50-Aufteilung in allen gemeinsamen Lebensbereichen eines Paares eine ableistische Norm ist. Ciska sagt auch, dass sie mit vielen Schuldgefühlen zu kämpfen hat, wenn es um die Aufteilung von körperlichen Aufgaben im Haushalt geht, die sie mit ihrem Partner teilt. „Ich fühle mich sehr schuldig, weil ich nicht in der Lage bin, meinen Beitrag im Haushalt zu leisten, aber ich kenne auch meine Grenzen und weiß, wann ich meinem Partner mitteilen muss, dass ich etwas nicht erledigen kann.“

Abendessen vorzubereiten, ist mit viel mehr körperlicher Anstrengung verbunden, als sich die meisten Menschen ohne Be_hinderung vorstellen können. Diese Aktivität verbraucht mindestens ein Drittel meiner Tagesenergie, und das, nachdem ich gearbeitet, gelernt und mich geduscht und fertig gemacht habe. Mein Partner wiederum findet Kochen entspannend. Er lässt dabei ein Fußballspiel im Hintergrund laufen und solange er ein Rezept hat, höre ich dann für gewöhnlich eine Stunde lang nichts von ihm. Ich kümmere mich dafür um alles, was nötig ist, bevor das eigenetliche Kochen beginnt. Ich suche nach Rezepten im Internet, erstelle einen Essensplan, verfasse eine Einkaufsliste und bestelle die Lebensmittel. Diese Aufgaben sind genauso wichtig wie die tatsächliche Zubereitung der Mahlzeit. Für Außenstehende sieht das Ganze aber möglicherweise so aus, als ob mein Freund für mich kocht und putzt und ich mich dafür glücklich schätzen soll.
Alex, 28, lebt mit körperlichen und psychischen Krankheiten, die ebenfalls chronischer Natur sind. Er:sie sagt, dass seine:ihre derzeitige Fernbeziehung aufgrund seiner:ihrer ständigen Symptome kompliziert ist. Es gibt keinen bestimmten Leitfaden für Beziehungen, in denen eine Person chronisch krank ist, sagt Alex. „Ich denke, dass es in jeder Beziehung wichtig ist, die Gefühle und Erfahrungen des Gegenübers zu respektieren und bereit zu sein, neue Dinge zu lernen und sich an Veränderungen anzupassen.“ Außerdem gibt es einen Mythos, mit dem wir chronisch kranke Menschen gerne aufräumen würden: Auch wenn wir mit unseren Krankheiten ringen, durchlebt doch jedes Paar Tiefen, die die Beziehung auf die Probe stellen. Das ist kein Grund, chronisch kranke Menschen zu bemitleiden oder ihnen für ihre Partner:innen zu gratulieren. In Sachen Liebe werden sich viele Leute nie in unsere Lage versetzen und unsere Erfahrungen nachvollziehen können. Aus diesem Grund werden oft Annahmen getroffen.
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Seit meiner Krankheit hat sich auch mein Liebesleben verändert. Die größte Umstellung war der Verlust an Spontaneität. Auch anderweitig hat sich viel geändert. Früher war ich immer die Erste, die im Pub eine weitere Runde bestellte, bei Partys lange blieb oder ein Überraschungswochenende buchte. Aufgrund meiner Be_hinderung ist mein Leben alltäglicher geworden, schließlich stabilisieren Routinen und Regeln meinen Gesundheitszustand: Ich gehe immer in dieselben drei Restaurants, in denen die Musik nicht zu laut ist und es keine Treppe auf dem Weg zur Toilette gibt. Außerdem gehe ich jeden Tag zur gleichen Zeit schlafen, esse dasselbe zum Frühstück und bleibe die meiste Zeit zu Hause – vier Wände, die sich nie wirklich verändern.
Die neunundzwanzigjährige Athene lebt mit ihrem langjährigen Partner zusammen, auf den sie bei der körperlichen Pflege, z. B. beim Waschen angewiesen ist. Sie sagt, dass sich die Dynamik zwischen ihnen verändert hat und ein deutlicher Unterschied zwischen der Zeit „vor“ und „nach“ ihrer Erkrankung zu spüren ist. Damit spricht sie eine Angst an, mit der ich und viele andere junge Frauen mit chronischen Krankheiten zu kämpfen haben. „Wir wollen unser Leben miteinander verbringen. Als es mit meiner Gesundheit bergab ging, machte er es sehr klar, dass er an meiner Seite bleiben würde, egal was auf uns zukommen würde. Das beruhigte mich ungemein, denn ich hatte große Angst davor, dass er mich früher oder später aufgrund meiner Krankheit verlassen würde.“ Die Vorstellung, dass wir weniger wert sind, sobald es uns gesundheitlich schlechter geht oder wir pflegebedürftiger werden, ist bei vielen von uns tief verwurzelt. Das hat damit zu tun, dass wir in einem ableistisch-normierenden Gesellschaftssystem aufgewachsen sind. Der Glaube, dass unser Wert mit unserer körperlichen Leistung zusammenhängt – sei es durch bezahlte Arbeit oder Hausarbeit–, ist schwer zu verlernen.
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Auf die Frage, was ihre Beziehung auch in schwierigen Zeiten am Laufen hält, antwortet Athene: „Seitdem wir Routinen entwickelt haben, fällt es uns leichter, zu planen. So können wir alles, was uns Freude bereitet, in den Vordergrund stellen: Wir geben Geld für Dinge aus, die wir mögen (Essen, gute Filme, Musik) und die wir von zu Hause aus machen können, und wir versuchen, in der Natur zu sein, wann immer es mein Gesundheitszustand erlaubt.“
Viele Menschen setzen Spontaneität mit Romantik gleich und versuchen ständig, den Funken durch gemeinsame neue Erfahrungen am Leben zu erhalten. Das war auch genau das, was ich getan hatte, bevor ich krank wurde. Vor Kurzem mussten mein Partner und ich wochenlang damit auskommen, dass ich mich nur vom Bett zum Sofa und wieder zurück bewegen konnte. Wir spielten Scrabble im Dunkeln, als ich aufgrund meiner neurologischen Symptome kein Licht vertrug, und sind in Hotels, nur um dann im Zimmer festzusitzen und Essen zu bestellen; ganz zu schweigen von den vielen Date-Abenden, die wir gegen Besuche im Krankenhaus tauschen mussten, wann immer meine Schmerzen so unerträglich waren, dass ich kaum noch stehen konnte.
Das alles soll aber nicht heißen, dass wir keinen Spaß miteinander oder keine Gelegenheiten dazu haben, uns wie andere Paare in unserem Alter zu fühlen. Das Gras ist aber sicherlich nicht immer grüner. Ich hasse es, toxische Positivität zu verbreiten und zu behaupten, dass ich durch meine chronische Krankheit eine bessere Freundin oder ein freundlicherer Mensch geworden bin. Die meiste Zeit trauere ich um den funktionierenden Körper, den ich einmal hatte, und fürchte mich vor der Zukunft, die fast immer dunkler erscheint. Ich weiß aber, dass meine Be_hinderung meinen Partner und mich näher gebracht hat; wir haben einen Grad an Intimität erreicht, von dem ich nie gedacht hätte, dass er möglich sei. Sich von jemandem pflegen zu lassen, der einen liebt, berührt einen auf eine Weise, die ich nur schwer beschreiben kann. Als ich meinen jetzigen Partner kennenlernte, begannen sich die Erwartungen, die ich früher von den Personen, die ich datete, hatte, zu ändern und sind jetzt fast völlig verschwunden. Wenn dich jemand in deinem schwächsten Zustand sieht – im übertragenen und im wörtlichen Sinne –, und dich in den Arm nimmt, um dich daran zu erinnern, dass ihr alles gemeinsam durchstehen könnt und werdet, dann weißt du, dass du den richtigen Partner bzw. die richtige Partnerin an deiner Seite hast.

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