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Wie sich mein Feminismus durch ein Baby änderte

Schon als Kind bewegte ich mich immer irgendwo zwischen binären Gender-Klischees. Es gibt ein Bild von mir als Dreijährige, auf dem ich im Superman-Kostüm in meinem Spielhaus sitze und stolz in die Kamera lächle. Das war ich! Ein kleines, stolzes Mädchen, deren Eltern ihr vor dem Schlafengehen fantasievolle Geschichten über mutige Heldinnen vorlasen, die sich dem gefährlichen Drachen stellten, um die Prinzessin aus seinen Fängen zu retten. Es waren eben diese Abenteuerbücher, die meine wilde Seite früh prägten. Aber natürlich spielte ich auch mit Puppen – nur Barbies waren tabu! Wobei ich es irgendwie schaffte zumindest eine zu besitzen, nur ging ich nicht wirklich pfleglich mit ihr um. Irgendwann schnitt ich ihr alle Haare ab und warf sie aus dem Fenster. Ich kletterte auf Bäume, hasste es mir die Haare kämmen zu lassen und besaß eine beachtliche Sammlung Unisex-Velours-Trainingsanzüge – ich bin nunmal ein Kind der 80er.
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Dann, als Teenager, bezeichnete ich mich stolz als Feministin (ja, noch bevor es cool war!). Im Laufe der Zeit verstand ich aber, dass es beim Feminismus nicht nur um die Abneigung gegen das typische Bild der hilflosen Prinzessin geht – es geht nicht einmal nur um Frauen, sondern um alle Menschen auf diesem Planeten. Ich erkannte, dass es viele Faktoren gibt, die den Kampf für die Gleichberechtigung erschweren. Rassismus, gesellschaftliche Klassenunterschiede oder die Diskriminierung von nicht heterosexuellen Menschen legen uns viele Steine vor das Ziel. Nichtsdestotrotz versuchten meine Freund*innen und ich unserer feministischen Weltanschauung treu zu bleiben. Wir sahen es als unser natürliches Recht an, die gleichen Vorzüge im Leben zu haben, wie unsere männlichen Freunde. Vor allem, weil immer mehr Frauen in Führungspositionen zu sehen waren, fühlte es sich an, als würde die Welt immer fortschrittlicher werden, wenn auch nur sehr langsam.
Als ich mit 31 dann schwanger wurde, kramte ich meine alten Abenteuerbücher heraus und dachte, damit sei ich quasi perfekt vorbereitet. Ich wusste, wie ich mein Kind erziehen will und ich glaubte, dass ich mit allen Hürden problemlos klarkommen würde – und dann kam alles anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
Natürlich war mir bewusst, dass Kinderspielzeug und -kleidung immer noch in Geschlechter unterteilt werden, aber wie strikt diese Teilung war, schockierte mich dann doch. Obwohl alle Babys vom Körperbau her im Grunde genommen gleich sind, ist die Kleidung für Mädchen enger und oft mit Rüschen, Bildern von Blumen, Herzen und Schmetterlingen verziert. Und natürlich gibt es für die kleinen Prinzessinnen nur Pastelltöne zur Auswahl. „Bleibt mir ja fern mit dieser rosafarbenen Scheiße“, warnte ich alle in meinem Umfeld, als ich erfuhr, dass mein Kind eine Vagina haben würde. Meine Freundin machte für unser Baby daraufhin einen Strampler, auf dem die Worte Daddy's Little Feminist eingenäht waren. Babyschuhe holte ich nur aus der „Jungenabteilung“ und die Kleidungsstücke waren so bunt wie nur möglich.
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Hin und wieder waren Menschen auf der Straße verwirrt, Ist das nun ein Mädchen oder ein Junge?, aber das störte mich nicht. Wenn ich sie korrigierte, entschuldigten sich viele ganz beschämt, so als hätten sie etwas unglaublich Beleidigendes über sie gesagt. Einige versuchten bei ihren Fragen komplett das Geschlecht zu vermeiden, in dem sie zögernd fragten: „Und... wie alt?“, woraufhin ich nur mit Zahlen antwortete, „fünf Monate!“ und den Moment der Ungewissheit hinauszögerte, bis mein Gegenüber sich ganz alleine für eine Kategorie entschied.
Nur zum Verständnis, es geht mir nicht um die Kleidung, sondern darum, welche Eigenschaften Menschen einem Kind dadurch zuordnen. Mädchen sollen nett und ordentlich und süß sein. Sie sollen keine Szene machen und nicht zu viel Platz in dieser Welt einnehmen. Das wird ihnen und uns als Eltern immer wieder vermittelt. Neulich erzählte mir eine Mutter aus der Spielgruppe meines Kindes, wie sehr sie sich darüber freue, dass ihre fünf Monate alte Tochter nicht gerne in der Öffentlichkeit isst, „weil sie ein Mädchen ist“. Was zur Hölle?! Wir machen das Geschlecht eines Kindes so sehr zum Hauptmarker ihrer Existenz, dass ihre eigentlich interessanten Eigenschaften gar nicht herauskommen: Mögen sie Katzen? Mögen sie Musik? Blaubeeren oder Erdbeeren? Das, was einen Menschen tatsächlich ausmacht.
Und doch ist es egal, was du deiner Tochter erzählst, letztendlich nimmt sie sich ein Beispiel an dem, was du ihr vorlebst. Bevor wir Eltern wurden, hatten mein Freund und ich große Pläne in Sachen Erziehung. Wir wollten uns beide gleichermaßen viel um sie kümmern – da waren wir uns einig. Aber gerade in den ersten Monaten nach der Geburt ist das leichter gesagt als getan. Da hatten wir nun ein Baby, das den ganzen Tag an der Brust gestillt werden wollte. Und rein biologisch gab es nun einmal nur eine Person in unserem Haushalt, die das tun konnte. Und ja, auch die geteilte Elternzeit ist eine sehr gute Option und ich kenne sogar ein paar Paare, die damit sehr glücklich sind. Theoretisch wären auch wir dafür bereit gewesen, aber da mein Freund damals erst angefangen hatte seinen Beruf als Arzt auszuüben, war diese Alternative nichts für uns.
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Während er also zur Arbeit ging, war ich zu Hause und kümmerte mich um das Baby und den Haushalt: Waschen, einkaufen, seltsame zuckerfreie Haferriegel nach Instagram-Rezepten backen, damit sie das Baby quer durch den Raum schleudern kann. Wir schlüpften in die traditionellen Rollen, von denen ich immer geglaubt hatte, wir könnten sie vermeiden.
Nach dem ersten Jahr wurde es einfacher die Aufgaben fairer aufzuteilen, aber es erforderte Organisationstalent. Wir hatten Glück, denn wir fanden ziemlich schnell einen Kita-Platz für drei Tage die Woche. Da ich freiberuflich tätig bin, ist meine Arbeit flexibler als die meines Freundes, sodass ich mich hin und wieder auch alleine um sie kümmere. Wenn ich aber einen Artikel fertigstelle, passt er auf sie auf. Wir putzen beide. Wir kochen beide. Wir teilen uns die Aufgaben so, wie wir es uns damals immer vorgestellt haben.
Mit der Zeit habe ich auch meine Haltung zu Pink gelockert. Immerhin habe ich manchmal selbst rosa Haare. Ich habe gelernt, dass Feminismus nicht nur in der Karriere einen Platz hat, sondern auch zu Hause. Die Hauptsache ist, dass Kinder wissen: Sie können ihren Lebensweg frei auswählen. Das Abwischen von Baby-Popos ist genauso wichtig, wie das Geld für die Familie zu verdienen.

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