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Wie ich meinen Eltern erklärte, dass ich lieber Weihnachten ohne sie feiern möchte

Ted Cavanaugh
Sie gelten als die schönste Zeit des Jahres: die Feiertage im Dezember. Ist das wirklich so – oder wollen wir das nur glauben? In dieser Reihe erzählen Mütter und Töchter aus kleinen und großen Familien von Traditionen, Wünschen und Erwartungen – alle Jahre wieder.
Es ist das Lebensgefühl so vieler Menschen zwischen 18 und 35: Am 23. Dezember, eingequetscht zwischen Koffern, Trekkingrucksäcken und Menschen in Daunenjacken in überhitzten Zügen zu sitzen – zu stehen – und nach Hause zu fahren. Driving home for christmas. Ich war grundsätzlich immer gern an den Feiertagen bei meinen Eltern. Es ist nur schade, dass das Beamen noch nicht erfunden wurde. In den letzten Jahren stand nämlich nicht nur die Reise nach Hause auf dem Plan, sondern auch das Hin- und Herfahren zwischen der Familie meines Partners und meiner. In diesen drei Tagen hatten plötzlich alle das Bedürfnis, jetzt besonders viel Zeit miteinander zu verbringen. Denn das macht man ja so. Das musste ein Ende haben. Und so griff ich eines schönen Herbsttages zum Telefon:
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„Mama, du hast doch wegen Weihnachten gefragt.“
„Ja!“
„Also, ich komme Heiligabend nicht mehr. Wir machen das jetzt zu zweit.“
Es folgte eine lange Pause am Telefon.
Dabei haben meine Eltern schon als sie wesentlich jünger waren als wir jetzt Heiligabend ohne den Rest der Familie verbracht. „Aber wir waren da schon verheiratet“, sagt meine Mutter, als wäre das ein Argument. Als ich nicht reagiere, schiebt sie „Wir hatten da auch schon Kinder!“ hinterher. Das ist also das Ticket, um ungestört sein zu dürfen. Als wäre man mit Kind dann ungestört.

„Das müsste icheigentlich auch so machen“, sagen meine Freund*innen. Und ich antworte: „Ja, dann mach’ das doch.“

Den ersten Heiligabend zu zweit haben wir zelebriert. Wir saßen in Jogginghosen auf dem Sofa herum, hatten gemütlich gegessen und überlegten nun, welchen Quatsch wir uns im Fernsehen anschauen sollten. Bis uns einfiel, dass wir gar keinen Alkohol mehr im Haus hatten. Überhaupt waren wir ziemlich unvorbereitet – aufgrund von akuter Unlust, uns in das Supermarktgetümmel am Vormittag zu schmeißen.
Also machten wir uns auf – am 24. Dezember, um 19 Uhr abends – zur Tankstelle. Es war niemand draußen. Das war der schönste Spaziergang, den ich seit langem gemacht hatte. Es lag ein bisschen Schnee und war so still wie es sonst nur mitten in den Bergen sein kann. Dabei waren wir in einer Großstadt. In vielen Fenstern war Licht und dahinter standen Menschen an Herden und rührten in großen Töpfen. Und wir schlichen mit Winterjacke und Bier im Jutebeutel wieder zurück zur Wohnung. Niemand war genervt, niemand startete politische Diskussionen, niemand wollte unbedingt besonders besinnlich sein. Es war einfach alles wie immer – nur, dass die Lichterkette im Wohnzimmer blinkte.
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Wir machen Sushi selbst, essen Kroketten mit Ketchup oder schieben einfach eine Pizza in den Ofen.

Seitdem haben wir einmal im Jahr diese kleine Auszeit in Schlumperhosen. Und werden von anderen neidisch angesehen, wenn sie fragen, zu welcher Familie wir fahren oder wie wir Weihnachten verbringen. „Das müsste ich eigentlich auch so machen“, sagen sie dann. Und ich antworte: „Ja, dann mach’ das doch.“ Ich war sowieso nie eine Freundin von verordneter Besinnlichkeit. Wenn ich schon mit dem Gefühl, dass es jetzt aber mal drei Tage wirklich richtig schön werden muss, an die Sache herangehe, dann wird da meist nichts draus. Ich mag all diese Konventionen nicht und bekomme bei dem Satz „Das macht man eben so“ schon Gänsehaut. Jetzt kann ich meine eigenen Traditionen schaffen. Und zu denen gehört definitiv der Tankstellengang an Heiligabend. Allein, um wieder in alle Fenster sehen zu können.
Seitdem freue ich mich auf Heiligabend. Allein, weil ich keinen Kartoffelsalat essen muss. Ich hasse Kartoffelsalat. Wir machen Sushi selbst, essen Kroketten mit Ketchup oder schieben einfach eine Pizza in den Ofen. Wir schauen zum hundertsten Mal dabei zu, wie Kevin versucht, die Einbrecher zu überlisten und stoßen dabei mit dem frisch besorgten Bier an. Wir sind das langweiligste Heteropärchen of all times und fühlen uns richtig wohl damit.
In diesem Jahr sind wir nicht mehr nur zu zweit. Das Baby kommt hinzu. Und macht dann doch wieder alles anders. Wir dekorieren die Wohnung – nur für das Gefühl. Wir kaufen ein paar Geschenke und diskutieren, ob ein Baby schon einen Weihnachtsbaum braucht oder ob es nicht reicht, wenn wir im nächsten Jahr einen haben. Die Aussicht, den Baum hoch und irgendwann wieder runterschleppen zu müssen, bringt schnell Einigung: nächstes Jahr. Ich habe plötzlich Lust auf Weihnachtslieder und lasse das Kind zu Wham! und Mariah durch die Wohnung robben.
Und wir machen dann doch wieder Termine mit der Familie. Alle wollen das Baby sehen. Nur der 24. Dezember bleibt heilig – im wahrsten Sinne des Wortes. Da sind wir unter uns. Jogginghose und Jutebeutel für das Baby liegen schon im Schrank.

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