Zum Kundinnenkreis der Haute-Couture-Kollektionen, die gerade in Paris gezeigt werden, gehören weltweit ungefähr 400 Personen. Tendenz steigend. Bei Preisen im sechsstelligen Bereich überrascht es wenig, dass ich als Moderedakteurin nicht unbedingt dazugehöre. Leider konnte ich auch noch nicht bei einer der großen Schauen dabei sein, denn diese Ehre wird nur sehr wenigen auserwählten Käufern und Meinungsmachern zuteil. Viele von ihnen können mal eben einen sechsstelligen Betrag für einen der luxuriösen Entwürfe ausgeben. Welche Designer in dieser Woche in Paris zeigen dürfen, entscheidet das 1930 gegründete „Chambre Syndicale de la Couture Française“. Bedingungen sind, dass das Atelier mindestens 15 Schneider beschäftigt und zweimal jährlich mindestens 35 Kreationen präsentiert, zu denen auch maßgeschneiderte Stücke gehören.
Haute Couture ist die hohe Schneiderkunst der Mode und die Arbeit an einem maßgefertigten Stück dauert gerne mal Hunderte Stunden. In Zahlen bedeutet das, dass an einem einzigen Kleid von Elie Saab beispielsweise 200 Näherinnen ungefähr 7000 Perlen, 5000 Pailletten, 900 Zierblumen und 500 Blütenblätter anbringen. Diese exquisite Handarbeit macht Haute Couture auch heute noch so außergewöhnlich. Bisher ist die Magie der aufwendigsten Form der Mode auch über die Distanz des Bildschirms immer bei mir angekommen. Die luxuriösen Kleider von Traditionshäusern wie Chanel und Dior haben mich zum Träumen gebracht. Detailverliebte Roben und perfekt geschnittene Anzüge können das Herz von Modeliebhabern nämlich schon beim Betrachten schneller schlagen lassen. Obendrein steigern sie die Vorfreude auf die Awardsaison, wenn die liebsten Promis die großen Kleider auf dem roten Teppich tragen.
Doch in dieser Saison ist es anders. Am Montag klicke ich mich vorfreudig durch die erste Couture-Kollektion von Maria Grazia Chiuri, der neuen Chefdesignerin bei Dior. Der Eröffnungslook ist eine Kombination aus einer hochgeschlossenen, schwarzen Blazerjacke mit Kapuze. Dazu trägt das Model einen schwingenden Hosenrock. Es folgen sieben weitere klassische Outfits in Schwarz, welche die hohe Schneiderkunst in Anlehnung an das Erbe Christian Diors gebührend zelebrieren. Meine Aufregung hält sich dennoch in Grenzen. Aber es kommen ja noch die großen Roben. Es folgen 50 weitere Looks mit schwingenden oder bodenlangen Röcken, zarten Seidenorganzalagen, feinen Stickereien und künstlerischem Kopfschmuck von Hutmacher Stephen Jones. Die Models wandeln durch einen verwunschenen Garten. Bei Instagram kann ich das grüne Labyrinth aus allen erdenklichen Blickwinkeln bestaunen. Und trotzdem lässt mich das alles kalt. Der Couture-Funke der feenhaften Luxuskreationen will diesmal einfach nicht überspringen. Die Designs erscheinen mir gleichermaßen zeitlos schön wie - und ich traue mich kaum, das zu schreiben - langweilig.
Einen Tag später zeigt dann Chanel. Ich bin optimistisch, dass der große Karl Lagerfeld mich mit seinen brillanten Visionen doch noch aus dem modischen Winterschlaf rütteln und berühren kann. Also klicke ich mich durch 66 Looks, die sich mit sechs Schlagworten einfach zusammenfassen lassen: Kostüme, Tweed, Pastell, Federn, Rüschen, Taillengürtel. Mehr Chanel geht nicht und damit wird diese Couture-Kollektion, die zwischen unzähligen Spiegeln präsentiert wurde, vor allem sich selbst gerecht. Die Kundinnen sind darüber sicher glücklich und darum geht es ja in erster Linie. Doch mir als stille Bewunderin aus der Ferne fehlt plötzlich dieser Sehnsuchtsmoment des Modejahrs. An der Winterdepression kann es nicht liegen, die ist ja jedes Jahr. Doch 2017 sieht die Welt noch etwas düsterer aus als bisher und plötzlich schafft es nicht mal mehr die Haute Couture, mich für einen kurzen Moment von Trump, Brexit und AfD abzulenken. Beim Gedanken an die absurden Summen Geld, die da über den Laufsteg wandeln, wird mir eher schlecht.
Die Diskussion um die heutige Bedeutung von Haute Couture für die großen Luxushäuser wird natürlich bereits geführt. Immerhin sind sie das komplette Gegenteil von sofort kaufbaren Runway Shows und überhypten Brands. Vor dem Hintergrund der kürzlich geschehenen Women's Marches erscheinen auch die modischen Codes wenig zeitgemäß. Die Bandbreite reicht von sexy über romantisch bis klassisch und dann ist auch schon Schluss. Das genügt vielleicht der Couture-Kundin für den begehbaren Kleiderschrank, beim Betrachten der Mode aus der Ferne sprüht der Funke allerdings längst nicht über.
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