„Du siehst nicht aus wie eine Mutter.“ Ach echt? Das liegt vermutlich daran, dass ich gerade Bier in einem Pub in London saufe, es Mitternacht ist und ich frage, wo wir noch hingehen, wenn der Laden schließt. Nicht zu mir, ergänze ich schnell, weil mein kleiner Sohn schlafend in seinem Bettchen liegt. Und keine Panik, er ist nicht allein. Oma und Opa sind auch da und beobachten vermutlich, wie er atmet. So sind sie halt – besessen davon, dass er lebt.
Seit ich Mutter bin, fühle ich mich von Außen konstant be- und manchmal auch verurteilt. Die Einen finden, dass du nicht aussiehst wie eine Mutter, die anderen, dass du zu sehr aussiehst wie eine Mutter. Oder schlimmer noch: „Für eine Mutter siehst du ziemlich cool aus.“ Ich habe das Gefühl immer nur als „Mutter“ wahrgenommen zu werden. Als ich mir kürzlich ein Tattoo stechen ließ, war ich „die Mutter im Tattoostudio“, wenn ich meinen Job mache bin ich eine „berufstätige Mutter“, selbst als ich gestern Abend mit Freunden zum Abendessen aus war, hieß es „Mama hat Ausgang!“
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Es gibt einen Gedanken, der in den Medien auch heute noch aufrechterhalten wird und soweit zurückreicht wie die Bibel: Der Madonna/Huren-Komplex – Frauen werden auf zwei Rollen reduziert werden – die Mutter und die Hure. Das mag extrem klingen, aber selbst heute werden weibliche Charaktere in Filmen häufig als Mütter vereinfacht, die nur auf mütterliche Eigenschaften reduziert werden. Dadurch wird ein mütterliches Ideal aufrechterhalten, in dem Spaß, sexy und selbstsüchtig zu sein nicht vorkommt. Das führt unter anderem dazu, dass ich, immer wenn ich etwas tue, das man normalerweise nicht mit einer Mutter in Verbindung bringen würde, wie zum Beispiel einen Lederminirock zu tragen oder eine Firma zu leiten, nach wie vor einen Funken Scham verspüre.
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Sobald ich etwas tue, das nichts mit dem Muttersein zu tun hat, verfolgen mich Scham und Schuld.
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Ich möchte an dieser Stelle die Power-Moms schlechthin erwähnen: Da wäre zum Beispiel Serena Williams, die 2017 die Australian Open gewann, während sie schwanger war. Oder Beyoncé, die ihren post-Schwangerschaftskörper zelebriert wie die Königin, die sie nun mal ist. Und trotzdem, bei all diesen Vorbildern, bestehen die Scham und die Schuld, die ich verspüre, sobald ich etwas tue, was nicht mütterlich ist, weiter. Ganz normale Dinge wie einen Job zu haben, Freunde zu treffen oder ein Bier zu trinken, haben mir nach der Geburt meines Sohns Angst gemacht. Angst, die mir die Brust zuschnürte und mir das Atmen erschwerte. Jedes Mal machte sich in mir das Gefühl breit, versagt zu haben.
„Du musst deine innere Mutter lokalisieren“, sagt Dr. Rachel Andrew, Co-Autorin von The Supermum Myth, „und diese zwei Teile zusammenbringen – den deiner inneren Mutter und den Teil, der am meisten du selbst ist.“ Ich bin selbstsüchtig. Ich gehe Risiken ein. Ich bin ambitioniert. Ich finde Regeln lästig. Ich klinge wie eine entzückende Mutter, oder? Dr. Andrew empfiehlt mir, mich durch die alten Fotos von mir und meiner Mutter zu arbeiten, um mich mit den Eigenschaften meiner Mutter in Verbindung zu bringen, die ich als Kind am meisten genossen habe.
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Meine Mutter war rebellisch. In den Ferien in Griechenland kletterte sie mit meinem Bruder und mir über eine Mauer, um in einen schicken Hotelpool einzubrechen und mitternachts zu schwimmen. Als Teenager bin ich zum ersten Mal mit ihr getrampt. Wir schliefen gemeinsam auf Fährendecks. Meine allerliebsten Erinnerungen sind die, in denen meine Mum mich aus meiner Komfortzone geschubst hat. Sie war nie verantwortungslos, sie wollte einfach nicht langweilig sein. Sie lachte immer nur über die Eintönigkeit der Mütter am Schuleingang.
Ich möchte auch keine langweilige Mutter sein. Und an meine Mutter zu denken, half mir dabei zu realisieren, dass ich das auch nicht muss. Sie warf den einfach Stereotypen ab und dafür bin ich hier heute dankbarer denn je. Als mein Sohn acht Wochen alt war, nahmen wir ihn mit auf einen einmonatigen Roadtrip durch Kalifornien; viele Menschen sagten „Aber was ist mit seinen Impfungen?“ oder „Aber die Sonne!“ und dann wies mich plötzlich ein Freund darauf hin, dass, ganz egal wohin ich ihn auf der Welt mitnehmen würde – Indien, Marokko, Kalifornien –, auch dort Babys geboren werden. Als er erst acht Wochen alt war, hatte ich noch einen Fuß in meiner alten Welt.
Er ist jetzt fast zwei und ich habe langsam das Gefühl, dass mein altes Ich von dem Druck, wie ich als Mutter zu sein hatte, zerfressen wurde. Vielleicht sind es die urteilenden Blicke und Kommentare im Vorbeigehen. Wenn du denkst, dass du noch nie eine Mutter verurteilt hast – versuch es mal hiermit. An einem heißen, sonnigen Samstag um 14 Uhr läuft eine Frau mit Kinderwagen durch den Park. Sie ist barfuß und trinkt ein Bier. Wirst du sie a) von oben bis unten mustern, b) etwas über „diese Mutter“ zu deiner Freundin sagen oder c) dir nichts dabei denken. Vermutlich hat sie das Picknick mit ihren Freunden kurz verlassen, um das Baby zum Einschlafen zu bringen. Diese Frau bin natürlich ich. Ein Bier zu trinken, während dein Baby schläft (ich kann nicht glauben, dass ich das Gefühl habe, klarstellen zu müssen, dass er einen Sonnenhut trägt und im Schatten liegt), ist kein Verbrechen, aber selbst in Großstädten wie New York oder Berlin fühlt es sich manchmal so an.
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Du denkst, das Beste in deinem Leben sei vorbei. Dabei hast du das Beste bisher noch nicht einmal gesehen.
Dr. Anita Abrams
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„Als ich zum ersten Mal Mutter wurde, dachte ich, Wo sind die Mütter, die so aussehen, wie ich es gerne würde? Und jetzt, in dieser neuen Ära, bin ich jeden Tag dankbar dafür, dass es Mütter gibt, die ihr Leben im Internet mit uns teilen und einfach ehrlich sind.“ Ich chatte mit Clemmie Telford, deren Instagram-Account über das Leben mit ihren zwei Söhnen ziemlich bekannt ist. Ich liebe es, Clemmie zu folgen, sie gibt mir das Gefühl komplett normal zu sein, auch wenn ich nicht dem Status Quo dessen entspreche, wie eine Mutter sich verhalten sollte. Aber hier ist der Knackpunkt: Online zeigen Mütter anderen Müttern, dass es ok ist du selbst zu sein, aber es fühlt sich so an, als würde das eben nur online bleiben. Der Rest der Welt denkt immer noch, das Samstagsturnier deines Kinds sei das Highlight deiner Woche.
Es gab einen wirklich rührenden Moment, während ich für diesen Artikel mit Dr. Anita Abrams sprach, einer klinischen Psychologin, die auf Beziehungen spezialisiert ist. Sie ist im Ruhestand und hat Enkelkinder. Ich erzählte ihr von meinem Problem und dass ich damit Schwierigkeiten hatte, mich selbst weiterhin cool (oder wichtig, interessant, anwesend, bestärkt, selbstbewusst) zu finden, seitdem ich Mutter bin. An einem Punkt unseres Gesprächs fing sie herzhaft an zu lachen; als sie sich wieder gefangen hatte, sagte sie: „Wir sind immer zu pessimistisch, was die Zukunft angeht. Du denkst, das Beste in deinem Leben sei vorbei. Aber als eine Frau im Ruhestand mit Enkelkindern kann ich darüber nur lachen. Es werden noch so viele tolle Dinge kommen, bisher hast du das Beste noch nicht mal gesehen.“
Da begriff ich, dass das mein früheres Ich nicht das coolste war, was es jemals werden würde. Das Leben macht dich cooler und ich habe jetzt einen kleinen Kumpel, mit dem ich das teilen kann. Ich verspreche, mein wahres Ich mit ihm zu teilen. Ich werde immer auf ihn aufpassen, aber ich werde ihn auch unterhalten und ich werde niemals langweilig sein, nur um in irgendeine Schublade zu passen.
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