Lange, dünne Beine, nicht zu viel Busen, aber auch nicht zu wenig. Die Schultern nicht allzu breit und wie wäre es mit einer Thigh Gap? Die ständige Social Media-Beschallung kann, bei allen Vorteilen, zu einem Fluch werden. Besonders, wenn man, wohin man auch scrollt, perfekten, braungebrannten Körpern und Frauen, die mit ihrer Ab-Crack um die Wette lächeln, begegnet. Zeitweise hat der ganze Perfektionshype abstruse Formen angenommen und sogar Models wie Gigi Hadid mussten das Bodyshaming über sich ergehen lassen.
Wunderbar radikal hat das japanische Label Comme de Garçons von Rei Kawakubo nun mit dem gängigen Verständnis von Silhouetten und Idealen aufgeräumt und uns unseres Urteilsvermögens beraubt. Denn ihre Kollektion für Herbst / Winter 2017, die sie vor zwei Tagen in Paris zeigte, ist schlicht jeglicher Form enthoben. Die Models kamen in formlosen, scheinbar willkürlich ausgebeulten Konstruktionen den Laufsteg entlang. Einige ohne Löcher für die Arme, anderen schienen die Entwürfe sprichwörtlich über den Kopf zu wachsen. Das Material reichte von leinenartigen Stoffen über silberne Kunstfasern bis zu couturiger Spitze und Papier. Betrachtet man die Kollektion, schießen einem viele Assoziationen in den Kopf. Erinnern die Nesselstoffe und Papierdrapagen noch an die ersten Entwürfe im Designprozess, drängt sich bei den wulstigen und armlosen Silhouetten das Bild griechischer Büsten auf, die ja ebenfalls wunderbar ohne Arme auskommen, wenn auch mit etwas definierterem Körper.
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Dank eines Museumsbesuchs in Wien vergangenen Winter erscheint vor meinem inneren Auge das Bild der Venus von Willendorf, ihres Zeichens eines der ältesten Fruchtbarkeitssymbole der Menschheit. Rei Kawakubo schafft es mit dieser außergewöhnlichen Präsentation also, die gängigen Regeln für das, was einen Frauenkörper scheinbar ausmachen soll, einzureißen und dabei gleichzeitig die ultimative Weiblichkeit zu feiern und auf das Schöpferische und den Ursprung allen Lebens zu verweisen. Der Titel der Kollektion lautet „The Future of Silhouette“, vielleicht hole ich also auch etwas weit aus und es geht Rei Kawakubo tatsächlich nur um das Auflösen von Formen – vielleicht geht es aber auch um mehr.
Übrigens: die Kollektion wird als letzte Teil der Comme des Garçons Ausstellung im Museum of Modern Art in New York. Wer ab Mai nach Übersee fliegt, sollte sich das also nicht entgehen lassen.
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