Seit Hedi Slimane vor wenigen Tagen seine erste Kollektion für Celine in Paris entworfen hat, habe ich "6 Meter 90" von Blumentopf im Ohr. Falls irgendjemand diesen Klassiker des deutschsprachigen 90er-Hip-Hops nicht kennt: Es geht um den Selbstmord eines Fans, die sich nach der Trennung von Take That aus dem Fenster stürzt. Beim Durchscrollen der schockierten Reaktionen vieler Redakteure, Einkäufer und Social-Media-Nutzer könnte man fast meinen, dass einige im Oversize-Kaschmir von der letzten Céline-Designerin Phoebe Philo zumindest schon die Fensterbank erklommen hätten.
Dabei sind weder die neuen Stücke auf dem Laufsteg noch Slimanes Designs nach der Enthüllung des Logos wirklich überraschend. Und das ist durchaus doppeldeutig zu verstehen, denn eigentlich wäre es ja nur wirklich schockierend, wenn der Designer das Erbe Philos weiterentwickelt oder die 80er aus dem Pariser Atelier ausgesperrt hätte. Doch die Modekritik plustert sich in amtlichem Schock auf, was für den neuen Kreativdirektor sicher nicht die unliebsamste Reaktion auf die Show ist. Vanessa Friedman von der NY Times versteht Babydolls und Punkte als Absage an die Female Gaze, also den Blick der weiblichen Betrachterin. Bei Instagram wird angeprangert, dass er das Brand nicht weiterentwickelt und besser seine eigene Marke hätte gründen sollen. Leandra Medine versteht die Kollektion als Weckruf zu einer neuen Diskussion darüber, was es 2018 bedeutet, eine Frau zu sein. Wenn eine der bekanntesten Stimmen der Mode schon so weit geht, schicke ich mal meine ganz persönliche Antwort hinterher. Für mich gehört dazu auch, den Slimane-Look absolut großartig zu finden, auch wenn ich mich selbst immer ein wenig zu kräftig dafür empfinden werde und meine Köperform mindestens ungeeignet (No fishing!). Plus 82365 andere Dinge, die mit Kleidung und Mode nichts zutun haben.
Dabei schließe ich die gesellschaftliche Bedeutung von Mode natürlich nicht aus. Gleichzeitig geht es in Paris gerade einfach nicht darum, was ich gerne im Kleiderschrank hängen hätte. Viele Rezensionen zu Slimanes Celine lesen sich trotzdem genau so. Gegenüber dem Figaro erklärt der Designer die Veränderungen der Marke in einem seiner seltenen Interviews: „Es bedeutet, ein neues Kapitel zu beginnen. Du kommst mit einer eigenen Geschichte und einer eigenen Sprache an, die sich vom Modehaus unterscheidet. Du musst dir selbst treu bleiben, gegen alle Widerstände.”
Slimane hat bereits bei Saint Laurent sein Ding durchgezogen und das Label damit wieder nach vorn gebracht. Von seinem Vorgänger Stefano Pilati war die Luxuskundschaft deutlich weniger Aufsehen erregende Designs gewohnt und das hat sich in den Verkaufszahlen widergespiegelt. Beim It-Label Celine ist die Situation eine andere, doch der ikonische Philo-Look ist nach Hochphasen in Pariser Vorstädten und Galerien weltweit mittlerweile auch fast in Wanne-Eickel angekommen. Ob Slimanes Strategie zu steigenden Verkaufszahlen bei Celine führen wird, wird sich zeigen. Allein durch die erweiterte Kundschaft durch die Männerlinie als auch die vielen treuen Slimane-Anhänger ist das durchaus denkbar, wie Marie Jaster bei Beige betont. Da können die Philo-Fan-Girls noch so viel mimimimi machen. Die Essentials des Looks gibt's ja sowieso längst in luxus bei The Row, in günstig bei Zara und second hand bei Vestiaire Collective. Dort können sich die Modekritiker*innen zusammenfinden und Take That summen. Die Zeit ein halb eitles Review zu lesen, haben dann wahrscheinlich doch die wenigsten...
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