Refinery29 hat sich mit Allison Rapson und Kassidy Brown, Gründerinnen des Medienunternehmens We are the XX, für die Produktion einer Dokuserie über das Leben von Frauen weltweit zusammengeschlossen. “A Woman’s Place” zeigt die ermutigenden Geschichten von Aktivistinnen, die für echte gesellschaftliche Veränderungen eintreten. Dieser Artikel basiert auf Interviews, die Rapson und Brown geführt haben, sowie auf zusätzlicher Berichterstattung von Refinery29 in New York.
Geena Rocero erinnert sich lebhaft an den Moment, als sie ihren neuen kalifornischen Führerschein in der Hand hielt. Sie war 19 und „es war wunderschön, es war stark, es gab mir Wert”. Für Rocero, die von den Philippinen stammt und auf der ganzen Welt als Model tätig ist, war dieser Ausweis sehr viel mehr als eine Fahrerlaubnis oder ein Beweis dafür, dass sie nun in Kalifornien zu Hause war. Für Rocero lag die Bedeutung des Ausweises in dem aufgeführten Geschlecht: weiblich.
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„Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass ich alles erreichen könnte, was ich wollte. Ich könnte überall auf der ganzen Welt hingehen und der Welt mitteilen: 'Dort bin ich. Schau meinen Ausweis an.' Es spiegelte wider, was ich bin”, sagt Rocero, ein Transgender. Jetzt ist Rocero eine der Anführerinnen einer Kampagne für Gleichberechtigung und rechtliche Anerkennung von Transgendern in ihrem Heimatland.
In mancher Hinsicht hat die Gemeinschaft der Transgender in der philippinischen Kultur einen besonders sichtbaren Platz. Schönheitswettbewerbe haben auf den Philippinen eine reiche Tradition und anders als in den USA, wo Transgender-Models für ihre Inklusion kämpfen mussten und müssen, wird die Schönheit von Transgenders dort schon lange gefeiert. Ganze Familien besuchen gemeinsam die beliebten Schönheitswettbewerbe, die oft gleichzeitig mit Festivals stattfinden. Manche werden landesweit im Fernsehen übertragen.
„Auf den Philippinen feiern sogar die kleinsten Dörfer Fiesta”, sagt Maki Gingoyon, Aktivistin und ehemalige Teilnehmerin an Schönheitswettbewerben. „Und bei jeder Fiesta gibt es einen Schönheitswettbewerb für Transgender-Frauen.”
Aber umfassendere kulturelle und politische Barrieren behindern weiter den Kampf um Akzeptanz und Gleichberechtigung, sagen Juristen.
Auf den vorwiegend katholischen Philippinen können Transgender-Frauen und -Männer ihr Geschlecht nicht offiziell ändern. Viele Menschen kennen den Unterschied zwischen Genderidentität und sexueller Orientierung nicht, auch deshalb, weil der Begriff „bakla” sowohl für schwule Männer als auch für Transgender-Frauen gebraucht wird.
Ohne volle Anerkennung und rechtlichen Schutz sind Transgender Diskriminierung sowohl am Arbeitsplatz als auch in der Gesellschaft überhaupt ausgesetzt. Und wie der Mord an der Transgender-Frau Jennifer Laude von 2014 zeigt, sind sie akut gefährdet, Opfer von Hassverbrechen zu werden. Dem internationalen Trans Murder Monitoring-Projekt zufolge war die Mordrate an Transgendern in den Philippinen zwischen 2008 und 2014 die höchste in ganz Asien.
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ES GIBT UNS BEREITS. SIE WISSEN NUR NICHT, WER WIR WIRKLICH SIND UND WIE WIR GESELLSCHAFTLICH AKZEPTIERT UND WAHRGENOMMEN WERDEN WOLLEN.
MAKI GINGOYON, TRANSGENDER-AKTIVISTIN
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Diese beunruhigenden Fakten waren 2012 der Grund für die Society of Transsexual Women of the Philippines, dem UN-Menschenrechtsrat mitzuteilen, dass die Gemeinschaft der Transgender “einer der marginalisiertesten und vernachlässigsten Sektoren der Philippinen im Hinblick auf den Schutz, die Beförderung und Umsetzung der Menschenrechte” ist.
Rocero und andere Aktivisten vor Ort und in anderen Ländern versuchen das zu ändern. Sie kämpfen dafür, dass der Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz angenommen wird, welches die Änderung des Geschlechts in amtlichen Dokumenten erlauben würde, ein Vorschlag, der von der Regierung des Landes schon lange blockiert wird. Sie arbeiten auch gegen die Stigmatisierung an, indem sie Transgender-Frauen ermutigen, über ihre Erfahrungen zu sprechen.
Gingoyon sagte gegenüber Refinery29, dass ihr Ziel ist, dass man “rechtlich [als] der- oder diejenige anerkannt wird, der oder die man in Wirklichkeit ist, egal, was man zwischen den Beinen hat.” Sie sagt, dass sie selbst schon Diskriminierung erlebt hat, als sie in ihrem Fitnessstudio nicht in die Damenumkleide gelassen wurde. Sie kämpfte mit einer Social-Media-Kampagne dagegen an und sagt, dass sie viel Unterstützung erhalten habe.
Aktivistin Maki Gingoyon sagt, dass ihr der Zugang zur Damenumkleide in ihrem Fitnesscenter verweigert wurde. Als jemand, der früher selbst an Schönheitswettbewerben teilgenommen hat, sieht Gingoyon in den Misswahlen ein “Podium, auf dem wir unsere Botschaft verkünden können … wo wir allen sagen können, was wir erreichen wollen, wie wir wahrgenommen werden wollen … die Leute über Transgender-Frauen aufklären, ihnen sagen, dass wir keine schwulen Männer sind”, sagt Gingoyon.
Aber Missverständnisse gibt es noch immer: Manche großen Schönheitswettbewerbe werden immer noch als „Miss Gay”-Wahlen vermarktet. „Transgender” war bis in die frühen 2000er, als sich Gruppen wie die Society of Transsexual Women of the Philippines (STRAP) gründeten, nicht einmal ein Begriff.
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Diese in sich widersprüchliche Behandlung wirft bei Gingoyan die Frage auf, “warum wir hier von der Gesellschaft gefeiert, aber nicht rechtlich anerkannt und geschützt werden.”
Viele Transgender-Frauen und Männer berichten, dass es ohne diesen Schutz schwer ist, Arbeit zu finden, besonders in Berufen außerhalb der Schönheits- und Unterhaltungsindustrie. Dr. Brenda Alegre, jetzt Dozentin an der Universität Hongkong und STRAP-Mitglied, sagt, dass sie sich als junge Transgender-Frau auf über 50 Stellen beworben hat, mit mäßigem Erfolg.
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ICH WOLLTE ES GROSS UND LAUT, WEIL MIR AUCH KLAR WAR, DASS ICH EIN RISIKO EINGING.
GEENA ROCERO, TRANSGENDER-AKTIVISTIN UND MODEL
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„Es war unmöglich”, erinnert sie sich. “Ich war auf einer der vier besten Universitäten. Ich zählte zu den besten 20 % meiner Abschlussklasse.”
Am Ende fand sie eine Anstellung in der Personalabteilung eines Musikhändlers; danach arbeitete sie 10 Jahre lang für ein internationales Callcenter. Dort, stellte sie fest, boten die Firmenrichtlinien ihr einen gewissen Schutz - so durfte sie zum Beispiel die Damentoilette benutzen -, auch wenn sie weiterhin von einheimischen Managern diskriminiert wurde.
„Sie haben ein globales Leitbild. Die meisten sollten Gender und Sexualität keine Beachtung schenken”, sagt Alegre.
Emmanuel David, Dozent für Frauen- und Genderforschung an der University of Colorado Boulder, hat im Rahmen seiner Studien Dutzende Transgender von den Philippinen, die in Callcentern arbeiteten, befragt. David sagte Refinery29, dass es zwar immer noch Spannungen an diesen Arbeitsplätzen gebe, die Center aber einen “sicheren Raum” für viele Transgender-Mitarbeiter geschaffen hätten.
Diese Callcenter-Stellen sind attraktiv für Personen, die “ihren Lebensunterhalt verdienen wollen, ohne auf die stereotypen Jobs für Transgender-Frauen angewiesen zu sein”, sagt David. Zu letzteren zählten Positionen in der Schönheits- oder Unterhaltungsindustrie oder Sexarbeit, fügt er hinzu. Die Positionen als Callcenter-Agent, die als “kosmopolitisch” gelten, hätten einigen Transgender-Frauen sogar zu einer höheren sozialen oder wirtschaftlichen Stellung verholfen.
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Viele Interessengruppen vor Ort versuchen nun, die Gemeinschaft der Transgender zu ermutigen, von diesen Fortschritten zu profitieren und weiter für Gleichberechtigung und Anerkennung zu kämpfen. Das Wichtigste dabei sei, sagen die Gruppen, Transgender-Frauen dazu anzuhalten, sich öffentlich zu bekennen. Rocero verweist auf ihre eigene Erfahrung ihres weltweiten Coming-outs als Transgender-Frau im Rahmen eines TED-Talks 2014. Die Rede wurde bisher 2,7 Millionen Mal angesehen.
„Ich wollte es groß. Ich wollte es groß und laut, weil mir auch klar war, dass ich ein Risiko einging”, sagt Rocero.
Rocero benutzte ihren TED-Talk als Ausgangsbasis für ihren eigenen Einsatz als Referentin über LGBTQ-Rechte auf der ganzen Welt und als Gründerin der Organisation Gender Proud.
Zu Beginn des Jahres schloss sich Gender Proud mit anderen Organisationen zusammen und veranstaltete eine Reihe von Workshops für Transgender-Frauen und Partner in den Philippinen. Sie hielten Frauen an, ihre Erfahrungen zu teilen, um das Verständnis für die Gemeinschaft und die Probleme ihrer Mitglieder zu befördern.
„Niemand kennt unsere Geschichten so gut wie wir”, sagte Rocero zu den Teilnehmern eines Seminars zum Thema Medienarbeit. Und den Mut zu finden, diese Geschichten zu erzählen, könnte zu jenem Wandel für die Transgender-Frauen des Landes führen, den Rocero und Andere anstreben, und ihnen die Anerkennung und die Rechte bringen, die ihnen zustehen.
„Es gibt uns bereits”, sagt Gingoyon. „Sie wissen nur nicht, wer wir wirklich sind und wie wir gesellschaftlich akzeptiert und wahrgenommen werden wollen.”
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