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Höher, schneller, weiter – brauchen wir wirklich Expresslieferungen am selben Tag?

Foto: Amy Lombard
Heute Morgen trudelte bei einigen in unserer Redaktion eine spannende und gleichzeitig irgendwie zum Nachdenken anregende Pressemitteilung im Postfach ein: Mit dem E-Commerce-Platzhirsch Asos bietet nun ein weiterer großer Onlinehandel „Same Day Delivery“, also die Expresslieferung am Tag der Bestellung an.
Das Konzept klingt verlockend und so zukünftig: Wir scrollen uns morgens durch das Angebot der Onlineshops, packen unsere Favoriten in den Warenkorb und drücken auf den Bestell-Button. Keine 24 Stunden später, nämlich noch am selben Tag, klingelt es dann an der Türe und ein*e nette*r Lieferant*in drückt uns unsere Bestellung von vor einigen Stunden in die Arme.
Kunde glücklich, Shop glücklich. Alles in Butter, oder?
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Jein. Es steht außer Frage, dass Same-Day-Delivery, also die Zustellung der Ware am selben Tag, die logische Konsequenz der rasanten Entwicklung in Sachen Onlinehandel ist. Hier hat die Nase vorn, wer den größtmöglichen Service bietet. Kostenloser Versand und Retouren gehören inzwischen zum guten Ton und ich kenne viele Leute, die schon gar nicht mehr bestellen, wenn sie für die Lieferung auch nur einen Cent bezahlen müssen. Gleichzeitig schrumpft der Zeitraum, der zwischen dem Bestellvorgang und der Ankunft der Ware liegt, immer weiter und weiter, wie ein Luftballon, aus dem die Luft entweicht.
Und genau hier sehe ich das große Problem. Wir Kund*innen sind die König*innen, uns wird jeder Wunsch von den Augen abgelesen und wir werden von hinten bis vorne verwöhnt. Doch aus den verwöhnten Kund*innen sind inzwischen verzogene Bälger geworden. Wie bitte, der Artikel ist vergriffen? Was, ich muss mit Kreditkarte zahlen? Ich warte nun schon seit drei Tagen auf meine Bestellung, langsam reicht's!
Abgesehen davon, dass ich es gruselig finde, dass man das Haus bald wirklich gar nicht mehr verlassen muss (Kinofilme, Essen, Trinken und sogar Liebe kann man sich inzwischen bequem nach Hause liefern lassen), wird bei Service-Offensiven wie bei Same-Day-Delivery vergessen, dass eine solche Dienstleistung immer auch von jemandem ausgeführt werden müssen. Das Ergebnis sind dann überarbeitete DHL-Paketbot*innen, Hermes-Lieferant*innen, die bis in die späten Abendstunden noch bei uns klingeln oder bettelarme Foodora-Fahrer*innen, die mit dem Rad durch die Straßen in Berlin juckeln, die wiederum alles andere als verkehrssicher sind.
Die Verantwortung sehe ich auch bei den Firmen, die einen derartig komplexen Service zu Dumpingpreisen anbieten. Man muss nur kein Businessgenie sein, um zu bemerken, dass es sich hierbei um eine Milchmädchenrechnung handelt. Ich möchte an dieser Stelle aber auch für Asos in die Bresche springen, deren Same-Day-Delivery-Service 20 Euro kostet. Das größte Problem an der ganzen Sache ist für mich, dass auch ich all diese Vorzüge liebend gerne nutze und zum Berserker in der Kundenhotline werde, wenn DHL schon wieder nicht geklingelt hat.
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Vielleicht werden unsere Stadtränder bald auch von zahlreichen Versandhäusern gesäumt, bis obenhin gefüllt mit der Ware, die uns dann in Windeseile erreichen kann, da sie nur so einen kurzen Weg zurückzulegen hat.
Ich habe ein wenig recherchiert und herausgefunden, dass die Auslieferung am selben Tag laut McKinsey ein potenzielles Marktvolumen von drei Milliarden Euro hat und zu dem Trendthema der Branche geworden ist. Klar, dass hier nun jeder mitspielen möchte. Wie schnell ist man denn auch selbst in die Situation gekommen? In drei Tagen ist Weihnachten und es fehlen immer noch eine Handvoll wichtige Geschenke! Die Hochzeit der besten Freundin ist schon morgen, nur das passende Kleid noch nicht gefunden! Die Schwiegereltern sind zum Abendessen eingeladen, nur die Zutaten für selbiges sind noch nicht besorgt!
Es gibt viele Gelegenheiten, in denen die Lieferung am gleichen Tag uns den Arsch retten könnte, es gibt aber auch ebenso viele Ausreden für die eigene Faulheit. Früher hat es die Menschheit schließlich auch geschafft, potenzielle Verwandte zu ernähren, nicht nackt auf Hochzeiten zu tanzen und rechtzeitig alle Weihnachtsgeschenke unter den Baum zu legen. Ganz ohne Versandservices und das Internet.
Die gleiche Studie von McKinsey, die das Marktpotenzial des Blitzversandes vorhergesagt hat, hat übrigens auch folgendes hervorgebracht: An erster Stelle steht für die Kunden der Wunsch nach einer zuverlässigen Zustellung.
Ich möchte hier auch gar nicht die „früher war alles besser”-Keule auspacken und mich jedweder Weiterentwicklung und Innovation verwehren. Es ist manchmal nur einfach wichtig, dass wir alle kurz innehalten und nachdenken, inwieweit andere Menschen für unser Highlife leiden müssen. Und wer jetzt meint, dass diese Menschen ansonsten ja keine Jobs hätten, ist bei mir an der ganz falschen Adresse.
Man kann diese Jobs schaffen, weil sie dem zeitgenössischen, westlichen Lebensstil entsprechen – und sollte sie genau deshalb angemessen entlohnen. Man könnte zum Beispiel den Foodora-Fahrer*innen vernünftige Räder zur Verfügung stellen. Die Post könnte mehr Personal einstellen, sodass nicht ein*e Fahrer*in unter einer Lawine von Paketen begraben wird und das Paket gerade mal so ins Treppenhaus legt, um möglichst alle Lieferungen aushändigen zu können. Hermes könnte faire Löhne zahlen und Amazon könnte seinen Versand nicht an Sub-Sub-Sub-Unternehmer geben. Und wir würden mit einem guten Gewissen auf den Bestellknopf drücken und dafür einfach in Kauf nehmen für die erwartete Dienstleistung einen zweistelligen Betrag zahlen.
Und wer das nicht möchte, der bewegt seinen Hintern bitte auf die Straße und besorgt sich die gewünschten Konsumgüter selbst oder muss sich drei bis vier Werktage gedulden. Life is so hard, wir wissen das.

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