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Rassismus ist die Krankheit, die Deutschland von innen auffrisst

Foto: GettyImages/ TF-Images
Özil ist raus. Raus aus der deutschen Nationalmannschaft. Raus aus der Verschwiegenheit. Mesut Özil hat seinen Rückritt, die Beweggründe für sein Handeln und seine Gefühle ausgedrückt und viele Menschen damit erreicht, negativ wie auch positiv. Vor allem unter jungen Menschen mit sogenanntem „Migrationshintergrund“ wird er zu einem Symbol des Widerstandes, zu einem Symbol der Wahrheit. Er wird als Held gefeiert. Doch das ist er nicht. Er ist ein Sportler. Und nur als solcher wollte und sollte er gesehen werden. Möchte man ihn einen Helden nennen, dann deswegen, weil er im Jahr 2014 in Brasilien zur Weltmeisterschaft Deutschlands beigetragen hat. Aber eigentlich ist er einer von uns. Ein Mensch, der Fehler macht. Ein deutsches Kind türkischer Eltern. Zwischen zwei Kulturen aufgewachsen, verbunden mit Deutschland, verbunden mit der Türkei.
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Als die deutsche Nationalmannschaft Erfolge verbuchen konnte, wurde er akzeptiert und gefeiert. Er war ein „Beispiel für gelungene Integration“. Er teilte das Schicksal von vielen Deutsch-Türken in Deutschland. Denn haben deine Eltern das Licht der Welt in einem anderen Land erblickt, und liegt dieses Land zufällig nicht in Europa, dann wirst du nie wirklich genug sein – auch wenn du in Deutschland geboren und aufgewachsen bist. Du wirst immer auch „Deutsch-Türk*in“, „Muslim*in“ sein. Das Privileg ganz ohne Attribute zu leben, wird dir nicht gegönnt sein. Gewinnst du Titel und verbuchst Erfolge, bist du im gängigen Narrativ ein Prachtexemplar. Du bist „der Deutsch-Türke, der es endlich zu etwas gebracht“ oder „die kopftuchtragende Muslima, die es trotzdem geschafft hat“. Machst du jedoch Fehler, erfüllst du häufig nur die niedrigen Erwartungen, die immer schon an dich gestellt wurden. Du bist immer irgendwie anders, irgendwie fremd.

Mesut Özil ist vermutlich das erste Kind von Migranten, das eine bundesweite Debatte über den realen Rassismus in Deutschland ausgelöst hat und dabei die Zügel in der Hand hält.

Ungefragte Zuschreibungen kommen übrigens genauso von der vermeintlich anderen Seite. Schlimmer noch: Zu Beginn seiner Karriere wurde Özil von vielen Deutsch-Türk*innen beschimpft, ausgebuht und „Verräter“ genannt. Und zwischen diesen Fremdzuschreibungen, zwischen den Nationen und Kulturen stand schon damals und steht noch immer die Person Mesut Özil. Doch er steht nicht alleine. Er ist nicht der Einzige, der diese Identitätskrisen durch- und überleben muss. Der einzige Unterschied ist, dass er international bekannt ist, eine Stimme hat – und dass ihm zugehört wird. Dieses Privileg hat Özil jetzt genutzt und den Hass, den Rassismus und die fehlende Fairness angesprochen. Und ja, er hat dabei sehr vielen aus der Seele gesprochen. Vermutlich ist er auch das erste Kind von Migranten, das eine bundesweite Debatte über den realen, existierenden, hässlichen und alltäglichen Rassismus ausgelöst hat und dabei die Zügel in der Hand hält.
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Er hat alle warten lassen, hat die Schikane geduldet, hat sich das deutsche Trikot, das ihm millionenfach abgesprochen wurde, immer wieder übergestülpt, ist auf das Spielfeld gelaufen. Er hat sich in Schweigen gehüllt, hat alle diskutieren lassen und abgewartet. Dann plötzlich: eine in englischer Sprache verfasste Stellungnahme, verteilt über einen Tag veröffentlicht, keine Entschuldigung und Boom! Jetzt reden wir alle über Rassismus. Manche sind verwundert, manche sagen, er würde jammern und manche sagen: endlich! Endlich nutzt eine international bekannte Person ihre Plattform, um über uns und unsere Probleme zu sprechen. Darüber, dass man nie genug sein wird, dass man immer mehr leisten, immer besser sein muss. Dass man immer der Kanake bleibt, egal was ist. Dieser Gedanke ist nicht neu; neu ist allerdings, dass alle gezwungen sind hinzuhören.

Sein Rücktritt ist keine Resignation, sondern das deutlichste Symptom der Krankheit, die unser Land von innen auffrisst.

Manche bewerten seinen Rücktritt als eine Art Niederlage, dabei ist er im Grunde genommen schlicht der Beweis dafür, wie folgenschwer Rassismus ist. Dass er Menschen hart treffen und verletzen kann, dass seine Hässlichkeit zur Resignation führen kann. Ähnlich ist es auch den vielen Jugendlichen ergangen, die resigniert haben, nachdem sie sich in der Schule mehrfach anhören mussten, dass sie doch „lieber eine Ausbildung machen sollen anstatt es auf dem Gymnasium zu versuchen“, und somit das Klischee des Kanaken erfüllt haben. Wie bei Özil, wird die Schuld bei ihnen gesucht. Laut, undiszipliniert, schlecht und aggressiv, so seien sie. Nur sehr wenige kamen auf den Gedanken, dass sie Kinder sind und Kinder nun einmal Fehler machen. Nur sehr wenige haben weiter zu ihnen gehalten, sie weiterhin gefördert. Genauso wie die meisten nach Özils umstrittenem Bild mit Erdoğan nicht auf den Gedanken kamen, zu reflektieren, ihn wie jeden anderen Fußballer zu bewerten, der sich einen medialen Fauxpas erlaubt, ihm diesen Fehler vielleicht sogar zu verzeihen. Das Bild darf durchaus kritisiert werden – aber nicht mit dieser hässlichen Fratze, nicht mit diesem Rassismus, der uns gezeigt hat: Ja, auch ein Özil, ein international geschätzter und bekannter Athlet wird immer nur der Kanake bleiben.
Und genau das wollte Özil nicht mehr. Er wollte auch nie ein Held sein. Er wollte einfach nur Fußball spielen. Wie Enver Şimşek, der einfach nur Blumen verkaufen wollte. Wie Marwa-El Sherbini, die einfach nur mit ihrem Kind auf einem Spielplatz spielen wollte. Wie Oury Jalloh, der einfach nur einen guten Abend mit seinen Freunden haben wollte. Sie alle fielen dem Hass zum Opfer. Auch wenn es sich in Mesut Özils Fall nicht um einen Todesfall handelt – zum Glück –, wird Eines doch ganz klar: Sein Rücktritt ist keine Resignation, sondern das deutlichste Symptom der Krankheit, die unser Land von innen auffrisst: Rassismus.
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