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Wieso Nanette von Hannah Gadsby auch heute noch so wichtig ist

Foto: Getty Images/Rob Kim
Als ich das Netflix-Special Nanette von Hannah Gadsby vor ein paar Tagen das erste Mal sah, musste ich weinen, denn ihre Worte erinnerten mich an viele Dinge, die auch ich in meinem Leben durchmachen musste. Sie erinnerten mich an die Biolehrerin, die mich und meine Flamme vor der ganzen Klasse mit den Worten outet, „Ihr seid ja auch welche von denen“. Die Kinder, die mir und meiner Freundin am helllichten Tag auf der Straße „Schwulis!“ hinterher brüllen und die Frau, die mich und meine*n Freund*in morgens auf dem Weg zum Bus so übel beschimpft, dass wir vor lauter Angst die Straßenseite wechseln. Ihre Worte machten mir auf schmerzhafte Weise deutlich, dass auch ich mich bis heute nicht vor meinen Großeltern geoutet habe, so wie Hannah Gadsby. Nicht etwa, weil das Thema bisher nicht aufkam, sondern weil ich mich nicht getraut habe. Weil die Scham vor meiner eigenen Identität zu tief sitzt. Weil ich Ausreden habe, sie würden es eh nicht verstehen oder ich möchte sie auf ihre alten Tage nicht aufregen. Als pansexuelle Cis-Frau habe ich das zweifelhafte Glück, als queere Person meistens unerkannt zu bleiben, ich kann also ein relativ unbeschwertes Leben leben. Andere haben diesen Luxus nicht, sie sind täglich mit Hass und Gewalt oder Diskriminierung konfrontiert.
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Es ist verwunderlich und erschreckend, dass die Dinge auch heute noch nicht so drastisch beim Namen genannt werden wie von Hannah Gadsby in ihrem Programm Nanette. Sie berichtet, wie sie von einem jungen Mann bedroht wurde und meistens verpackt sie diese Geschichte in einen Witz. Der Kerl dachte, sie hätte seine Freundin angeflirtet. Erst hält er Hannah für einen Mann und will sie verprügeln, dann sieht er aber seinen Irrtum ein und meint großzügig „er würde keine Frauen schlagen“. Lacher im Saal. Hannah verrät erst später, dass dieser junge Mann dann doch noch zurückkam und sie verprügelte – einen Teil der Geschichte, den sie in früheren Shows immer verschwieg, weil er eben nicht lustig ist. Sie hat sich früher über das Verhalten des Kerls lustig gemacht, sie hat sich über Homophobie lustig gemacht und sich dadurch selbst erniedrigt. Weil sie eben nicht davon erzählt hat, welche traumatischen Dinge sie erlebt, sondern stattdessen Witze über sich, ihre Identität, ihre Erfahrungen gemacht hat. Weil ihr die Menschen nur zuhören, wenn sie Witze macht. Sie kommt zu dem Entschluss, dies zukünftig nicht mehr machen zu wollen, sie möchte viel lieber offen und ehrlich über Trauma, Selbsthass und Homophobie sprechen. Damit sich zukünftige Generationen nicht mehr für das schämen, was sie sind. Die Frage ist doch, ob man bestehende Verhältnisse wirklich verändern kann, indem man Witze über sich selbst macht? Hannah hat sich bisher durch ihre Witze selbst runter gemacht in einer Welt, in der sie eh schon runtergemacht wird. Sie hat sich selbst erniedrigt und das machen viele LGBTQI* täglich, indem sie Witze über sich oder über ihre Situation machen, Trauma herunter spielen oder indem sie Klischees reproduzieren. Es scheint so, als wäre die Selbsterniedrigung der einzige Weg, sich Gehör vor einer breiteren Masse zu verschaffen. Gleichzeitig wird die harte und grausame Realität und die seelische und körperliche Gewalt verschwiegen, die viele LGBTIQ* erfahren. Genau diese Praxis kreidet Hannah an und damit hat sie vollkommen recht.
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Wie Hannah wuchs ich auf dem Land auf. Zwar in unmittelbarer Nähre zu Berlin, aber trotzdem war meine Jungend sehr dörflich geprägt. Queerness war praktisch unsicher, höchstens schwule Identitäten wurden besprochen, und das nicht unbedingt im positiven Sinne. Es gab in meiner Jugend ein queeres Paar, beide Männer, beide über 50. Sie dienten also auch eher schlecht als recht zur Orientierung. Zwar war dieses Paar sehr akzeptiert, allerdings wurde ihr Schwulsein auch ständig thematisiert. Es war eben etwas Besonderes und irgendwie auch ein bisschen schrill. Aus Mangel an Vorbildern und einer Definition für das, was ich fühlte, verschwieg ich einfach meine sexuelle Orientierung. Ich argumentierte das vor mir und anderen so, dass ein Outing heutzutage ja nicht mehr nötig sei und sowieso sei das ganze Konzept eines Outings blöd, denn das würde Queerness ja einen Sonderposten jenseits der Norm einräumen, weil ein Outing eben impliziert, dass man sich außerhalb des Normalen bewegt. Das mag in Ansätzen stimmen, aber es hat mich sehr viel Zeit und viele Therapiestunden gekostet, um einzusehen, dass es eben doch nötig ist. Weil nur etwas normal sein kann, wenn man es sichtbar macht, indem man darüber redet oder offen queer lebt. Indem man es immer und immer und immer wieder ins Leben der Leute trägt, die mit dem Thema eigentlich nichts zu tun haben. Oder indem man jungen Menschen eine Orientierungshilfe bietet.
Hannah spricht etwas an, das richtiger nicht sein kann und das wohl vielen Menschen so gar nicht bewusst sein dürfte: Dinge werden nur durch Wiederholung zur Normalität. Wenn man nur Witze darüber hört, wie lachhaft etwas ist, oder wenn man sein ganzes Leben nur mit homophoben Meinungen konfrontiert wird, dann festigt sich das. Nicht nur im Bild, das andere von mir haben, auch in meinem Selbstbild. Wer immer wieder hört, die eigene Identität sei Grund sich darüber lustig zu machen oder der Auslöser für Hass, wird sich selbst nicht nur weniger ernst nehmen, er*sie wird sich auch schämen und versuchen, möglichst unsichtbar zu bleiben. Diese Scham setzt sich im Gehirn fest und mit dieser Scham leben viele LGBTQI*, manchmal bewusst, manchmal unbewusst. Sie kommt an die Oberfläche, wenn wir unseren Großeltern nicht sagen, wen wir lieben oder Leute nicht korrigieren, die uns ganz selbstverständlich als heterosexuell lesen. Sie drückt sich dadurch aus, wenn wir nicht für unsere Rechte einstehen, weil wir unterbewusst der Meinung sind, wir hätten diese eh nicht verdient.
Die Frage muss also sein, wieso sexuelle Belästigung und Sexismus noch immer salonfähig sind, wieso es so lange gedauert hat, bis sich die ersten Opfer von Harvey Weinstein getraut haben, gegen ihn vorzugehen? Wieso schafft es jemand wie Trump ins Weiße Haus? Und wieso zum Teufel ist der Ruf eines Mannes wichtiger als die Menschenwürde seiner Opfer? Es wird Zeit, dass Geschichten neu erzählt werden. Es ist endlich Zeit, wütend zu sein und diese Wut in die Welt zu brüllen. Und genau das macht Hannah Gadsby mit ihrem Netflix-Special. Sie brüllt und zittert und klagt an. Sie macht dies nicht, um sich als Opfer zu zeigen, sondern weil sie beweisen möchte, dass auch ihre Geschichte von Bedeutung ist. Und darin liegt wohl des Pudels Kern, denn nur Geschichten, die auch erzählt werden, können gehört werden. An diesen Geschichten können sich andere orientieren, sie schaffen eine Realität und Raum für Menschen, die sich außerhalb der weißen Heteronorm bewegen.
Ich kann nur jede*m raten, sich Nanette anzusehen, ein bisschen zu weinen und vor allem wütend zu werden und dann ihrem Beispiel zu folgen. Denn Vielfalt ist Stärke und jede*r kann ein kleines bisschen dazu beitragen, dass diese Vielfalt sichtbarer wird.

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