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Warum sind Frauen ab 40 immer nur die gestresste Mutter oder die Karrierefrau?

Wer mich zwei Worte sagen hört, merkt: Ich bin in Österreich aufgewachsen. Neben einer ewigen Verbundenheit zu Mehlspeisen aller Art („Pies before Guys“ ist inoffizieller Teil der österreichischen Verfassung) ist es vor allem eine tief empfundene Liebe zum „Kaffeehaussitzen“, die mir im Blut zu liegen scheint. Meine liebste Freizeitbeschäftigung – auch in Deutschland – ist es, mit Kaffee und Kuchen Leute zu beobachten und meine Gedanken schweifen zu lassen. In letzter Zeit fehlt mir aber etwas.
Nein, nicht die Melange oder die Sachertorte, sondern Frauen. Um ganz präzise zu sein: Frauen, die älter als 35 Jahre alt sind.
Dass ich nur wenige solcher Frauen um mich herum habe, ist mir nicht aufgefallen, weil ich so ein aufmerksamer Mensch bin, dem es wichtig ist, dass seine Umgebung altersmäßig so durchmischt wie möglich ist. Es ist ein viel egoistischer Grund: Ich suche Vorbilder für meine Zukunft und finde sie nicht.
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Als Endzwanzigerin habe ich immer häufiger das Gefühl, große Fragen beantworten und mich für die Zukunft festlegen zu müssen. Ich soll einen Job finden, der mich ausfüllt, damit ich dort Karriere machen kann. Ich soll eine Beziehung finden, damit wir gemeinsam alt werden können. Ich soll entscheiden, ob ich Kinder will und diese auch bald bekommen. Ich soll an meine Altersvorsorge denken und anfangen, Geld zur Seite zu legen. Ich soll einen festen Wohnort finden und endlich sesshaft werden. Ich soll so vieles, vor allem soll ich aber mit allem, was ich tue, die Grundsteine für mein zukünftiges Leben legen. Das stresst mich so wahnsinnig, dass ich, wenn ich eine Entscheidung über meine Zukunft treffen soll, stattdessen zu viele Kekse esse und auf meiner Couch einschlafe.

Ich suche Vorbilder für meine Zukunft und finde sie nicht.

Meine Freundinnen sind keine große Hilfe. So sehr uns unser geteilter Hass gegen gemeinsame Bekannte und unsere Liebe für Kartoffelprodukte eint: Unser Alltag ist zu unterschiedlich. Mich mit meinen Zukunftsplänen an ihnen zu orientieren wäre in etwa so, als würde sich Schwimmstar Michael Phelps am ehemaligen Schachweltmeister Bobby Fisher orientieren, wenn es um eine Verbesserung seines Kraulstils geht. Statt mich mit jemandem zu vergleichen, der gleich alt ist, dachte ich deshalb, es wäre eine gute Idee, mir Frauen anzusehen, die mir voraus sind.
Seitdem ich nun bewusst nach Frauen Ausschau halte, die älter sind als ich, fällt mir auf, dass ich mich sehr bemühen muss, sie zu finden. Nicht, weil ich ein hipper Trendsetter bin, der nur an den coolen Orten abhängt, zu denen man ausschließlich Zugang erhält, wenn man aussieht wie ein Model und eine reiche Erbin. Eher, weil die einzigen Frauen, die älter als 35 zu sein scheinen, nicht abends in den heimeligen Cafés oder schummrigen Bars sitzen, in denen ich so rumhänge. Letztendlich habe ich dann doch noch Frauen über 35 gefunden, aber nicht entspannt Cappuccino trinkend oder ein Stück Kuchen essend. Auf meinem Weg zur Arbeit und beim Lebensmittelkauf im Supermarkt um die Ecke sind in großer Zahl Frauen aufgefallen, die älter sind als ich. Und an beiden Orten sind diese Frauen extrem beschäftigt.
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Entweder sind sie Mütter und erledigen den Familiengroßeinkauf, während ihre Kinder quengeln, dass sie unbedingt den einen Kilogramm schweren Lindt-Osterhasen zum Überleben brauchen (ich auch, kleiner Junge, ich auch). Oder sie sind Frauen, die so wie ich allein unterwegs sind, aber eine Spur schneller, etwas schicker und vor allem viel professioneller als ich aussehen, obwohl (oder gerade weil?) sie so wirken, als würden sie in ihrem Job die Welt retten. Kurzum: Die Frauen, die über 35 sind und mir begegnen, sind entweder Mütter oder Karrierefrauen.
Keine Sorge, ich werde jetzt nicht das Für und Wider der beiden Lebensentwürfe beleuchten, um mit: „Für welchen Lebensentwurf sich eine Frau auch entscheidet: Es macht sie nicht zu einer besseren oder schlechteren Frau“ abzuschließen. Worauf ich hinaus will, ist eher, dass ich nicht wusste, dass es nur diese zwei Wege zu geben scheint: Kind oder Karriere.
Wo sind die anderen Möglichkeiten? Klar, die springen einem nicht ins Auge, wenn man im Supermarkt an der Kasse hinter einer Mutter mit zwei Kindern steht. Aber sie werden auch nicht in den Medien aufgegriffen oder in Filmen und Serien erzählt. Frauen scheinen entweder Karriere oder Kinder oder, wenn sie ganz verwegen sind, beides zu wählen. Alternative Lebensentwürfe, wie auch immer sie aussehen mögen, scheinen für Frauen nicht vorgesehen.

Hat man keinen Nachwuchs, hat man „noch“ kein Kind.

Als Mann kann man hingegen aus den Vollen schöpfen, wenn es um die Gestaltung des eigenen Lebens geht. Nicht Kind oder Karriere, sondern Nachwuchs und Karriere und Hobby und Entspannung ist ohne große Abstriche möglich. Die Care-Arbeit für die kleinen Racker erledigt dann schon die Partnerin, fragt ja bei Herrn Papa auch keiner nach, wie er das macht. Hat man keinen Sprössling, hat man „noch“ kein Kind. Eine Frau in der gleichen Situation ist kinderlos und wird darauf auch immer und immer und immer wieder von der Gesellschaft darauf hingewiesen.
Ob Lone-Ranger, der im Wald haust, Junggeselle, der um die Häuser zieht, introvertierter Intellektueller, der im Café den großen deutschen Roman schreibt: Hätte ich nach männlichen Vorbildern gesucht, es wäre um einiges einfacher gewesen, denn die Männer, die mir täglich begegnen, leben verschiedenste Lebensentwürfe – in Film, Fernsehen und Realität.
Meine Suche nach Vorbildern hat nicht so funktioniert, wie ich gedacht habe. Statt großer Ideale habe ich nun eher große Warnschilder im Kopf, wenn ich an meine Zukunft denke. Nicht, weil mich die Frauen enttäuscht haben, die ich gesehen habe. Ich bewundere sie dafür, wie sie all ihre Aufgaben wuppen. Für meine eigene Zukunft wünsche ich mir aber, dass es nicht nur Rush-Hour gibt, sondern auch mehr öffentlich gezeigte Entspannung und Genuss. Ich möchte mir nicht einreden lassen, ich hätte nur die zwei Wege Kinder und Karriere vor mir, wenn ich doch weiß, dass anderen die ganze Welt offen steht.

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