Schönheit ist ein Jahrhunderte altes Konzept. Eines, das seit jeher eng mit dem Weiblichen verknüpft ist. Dabei haben sich Antworten auf Fragen, wie „Was ist schön?“, mit vorherrschendem Zeitgeist und dem Wandel der gesellschaftlichen Stellung der Frau immer wieder verändert. Die Frisur glatt oder lockig, blond oder brünett; der Rock kurz oder lang, die Brüste groß oder klein, die Lippen schmal oder voll – was gerade als schön gilt, bestimmt nicht nur unser ganz persönlicher Geschmack, sondern wird uns zumeist von der Mode diktiert. Fernab gegenwärtiger Trends haben sich Menschen bis heute auch immer wieder damit beschäftigt, was Natur gegebene Schönheit eigentlich ausmacht. Gemeinsamer Konsens? Fehlanzeige! Eine von ihnen ist die Rumänin Mihaela Noroc. Seit 2013 reist sie mit ihrer Kamera um die Welt und porträtiert Frauen unterschiedlichster Kulturen und Herkunft. Das Ergebnis teilt sie unter dem Namen The Atlas of Beauty auf ihrer Website und einschlägigen Social Media Kanälen, um zu zeigen, was wir beim stetigen Vergleich mit anderen gerne mal zu vergessen scheinen: dass nicht die Ähnlichkeit, sondern die Vielfalt unser größter Schatz ist.
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Angefangen hat alles, als Mihaela mit sechzehn Jahren ihre erste Kamera geschenkt bekommt. Ihr bevorzugtes Sujet sind schon damals Menschen, die sie faszinieren. Weil sie allerdings zu schüchtern ist, Fremde auf der Straße anzusprechen, porträtiert sie vor allem ihre Mutter und ihre Schwester. Mit der Entscheidung zu studieren, wird ihre Leidenschaft jedoch erst einmal gebremst.
Von ihren Dozenten erhält sie nur wenig Unterstützung und beschliesst beruflich neue Wege zu gehen, um finanziell abgesichert zu sein. „Die Fotografie blieb immer mein Traum. Deswegen begann ich zu reisen und die Welt zu entdecken. Die Vielfältigkeit, die mir auf meinem Weg begegnete, faszinierte mich. Irgendwann wurde mir klar, dass sich beide Leidenschaften kombinieren lassen: Porträts von Frauen machen und unterwegs sein. Nach vielen Jahren kam ich beruflich also doch noch zur Fotografie und fing an, hart zu arbeiten. Nach und nach gewann ich mein Selbstvertrauen wieder und bin heute sehr glücklich mit dem, was ich tue.“ Längst ist sie dabei nicht mehr so zurückhaltend wie früher. Für ihre Portraits spricht sie die Frauen einfach auf der Strasse an und fotografiert sie in ihrem natürlichen Umfeld – unmittelbar und möglichst nicht inszeniert. In kartografischer Penibilität zeigt sie damit auf, wie vielseitig unser Planet und das weibliche Geschlecht sind.
Zu Beginn ist The Atlas of Beauty noch ein rein persönliches Projekt; finanziert durch eigene Ersparnisse. Bis Mihaela realisiert, dass ihre Fotos Millionen von Menschen auf der ganzen Welt erreichen und inspirieren. Ihr Postfach ist plötzlich voll von Nachrichten mit positivem Zuspruch. „Ich fühlte mich dadurch angespornt, noch fokussierter eine klare Botschaft zu vermitteln. Menschen aus aller Welt fingen an, für das Projekt zu spenden und mich finanziell zu unterstützen; so konnte ich meine Arbeit fortsetzen und unabhängig bleiben. Dafür bin ich sehr dankbar.“ Mittlerweile hat sie Frauen aus rund 60 verschiedenen Ländern porträtiert. „Viele fragen mich, warum ich nicht auch Männer fotografiere. Ganz einfach: Ich bin selbst eine Frau und kann mich in ihre Zweifel, Kämpfe und Träume einfach besser einfühlen und nur dadurch authentisch sein. Jedes neue Porträt ist auch ein Schritt auf dem Weg, mich besser kennenzulernen. Davon abgesehen sehe ich mich als Sprachrohr für Frauen, denen nicht dieselbe Freiheit und derselbe Respekt, wie mir zukommt. Das ist nämlich leider in vielen Gesellschaften noch immer der Fall, viele erfahren weiterhin so viel Diskriminierung. Ich fände es aber toll, wenn es ein solches Projekt über Männer geben würde.“
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Denn die Probleme, die sie mit ihrer Fotografie ins Bild bannt, sind keineswegs rein weiblicher Natur. Vielmehr geht es um das Anderssein per se. Mihaela ist Teil einer Generation, die mit den Werten eines vereinigten Europas aufgewachsen ist und gerade erfahren muss, wie wackelig diese Grundfesten, die sie die letzten zwei Jahrzehnte in Sicherheit gewägt haben, in Wahrheit doch sind. Jeden Tag berichten die Medien über gewaltsame Auseinandersetzungen. Ob sie sich mit ihrem Projekt auch als Botschafterin gegen diese Panikmache und Angst sieht? „Ja natürlich. Gerade heutzutage brauchen wir mehr denn je solche Projekte. Projekte, die uns zeigen, dass Vielfalt etwas Schönes ist und kein Grund für Konflikte sein darf. Ich wünsche mir, mit meiner Arbeit zeigen zu können, dass die Menschen stolz sein können auf ihre Kultur und sie bewahren sollten. Gleichzeitig müssen wir aber auch lernen, andere Kulturen zu schätzen und zu respektieren.“ Das sei auch der Grund, warum Mihaela das Umfeld, in dem sie die Frauen darstellt, bedacht auswählt. „Die Umwelt, aus der die Frauen kommen, ist ein wichtiger Teil ihres Lebens. Manchmal habe ich nur wenige Minuten Zeit, um ein Porträt zu machen und auf all das zu achten. Ein anderes Mal dauert eine Aufnahme eine Stunde oder länger – dann fotografiere ich nicht nur, sondern höre mir auch ihre Geschichten an, wenn sie bereit sind, mir diese zu erzählen.“
Diese Geschichten sind vielseitig, denn sie stammen von den verschiedensten Kontinenten, ebenso wie die porträtierten Frauen: Brasilianische Schönheiten aus den Favelas, den rauen Nachbarschaften Kolumbiens, den abgelegensten Gebieten Afghanistans, iranischen Moscheen, den Weiten des tibetischen Plateaus, der Intimität Nordkoreas, dem Amazonas-Regenwald aber auch den noblen Bezirken von Oxford, der Innenstadt von New York oder den Straßen von Istanbul. Mihaela war bereits überall und ist doch noch nicht am Ende. Dabei kommt ihr stets zu Gute, dass sie gleich fünf Sprachen spricht. Sollte sie sich mit ihrem Gegenüber mal nicht verständigen können, hat sie gelernt mit Händen und Füßen zu kommunizieren. Barrieren? Kennt sie kaum! Der Schlüssel zu einem guten Bild ist immer die Kommunikation und die muss nicht unbedingt verbaler Natur sein.
Und was ist nach drei Jahren auf Reisen nun ihre ganz persönliche Quintessenz zu der Thematik? Was hat es denn nun auf sich, mit diesem Konstrukt der Schönheit, über das sich die Menschen schon seit Jahrtausenden den Kopf zerbrechen? „Für mich ist Schönheit Vielfalt, die uns lehren kann, toleranter zu sein. Schönheit hat keine Grenzen und wird vor allem nicht über westlich geprägte Standards wie Geld, Rasse oder sozialen Status geprägt. Globale Trends versuchen uns damit zu locken, alle gleich aussehen zu wollen, dabei definiert sich Schönheit gerade durch das Anderssein. Wie sagt man so schön? Wahre Schönheit kommt von innen. Und das stimmt, denn erst wenn unser Äußeres natürlich und authentisch ist, wird auch unser Inneres sichtbar. Schönheit sollte nicht durch Trends oder Regeln definiert werden sollte, sondern durch unsere Gefühle.“ Und die werden oft schon durch die kleinsten Dinge ausgelöst: ein offenes Lächeln, zwei freundliche Augen, viele kleine Lachfalten, eine berührende Geschichte oder einfach eine willkommene Geste. Michaela selbst sieht darin jedenfalls unseren größten Schatz. Und um den zu bergen ist sie gerade wieder in Brasilien und Guatemala unterwegs. Was sich dabei in den letzten drei Jahren geändert hat? Nicht viel: „Ich bin immer noch die gleiche gewöhnliche Person, mit dem gleichen Rucksack, die die unbemerkte Schönheit, die gewöhnliche Menschen ausstrahlen, liebt.“ Ende diesen Jahres plant sie diese Liebe deswegen in einem Buch zu bündeln. Dann wird ihr bis dato vordergründig digitales Projekt endlich zu einem richtigen Atlas der Schönheit.
facebook.com/MihaelaNorocPhoto instagram.com/the.atlas.of.beauty
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