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6 Dinge, die Menschen mit Migrationshintergrund nicht mehr hören können

Neulich erst wurde ich in der Garderobenschlange im Theater von einer Dame erst von Weitem beäugt, dann lauthals angesprochen: „Sind Sie Tongaerin?“ – „Nein“, antwortete ich. „Echt?! Sie sehen wirklich tongaisch aus. Hätt' ich jetzt so gesagt“, erwiderte die Frau. Sie führte ihre Theorien noch weiter aus, erzählte mir außerdem von einer Freundin, die „dasselbe Problem“ hätte, weil ihr die Menschen nie glauben würden, woher sie wirklich käme.
Da stand ich nun. Um mich herum waren gefühlt alle einen Schritt zurückgetreten und betrachteten mich. In einem Meer aus Schwarz hatte ich ein rotes Kleid an und zog den Altersdurchschnitt gewaltig runter. Ich war also Exot durch und durch. In so einem Moment geht einem alles durch den Kopf. Warum musste ich ausgerechnet dieses Kleid anziehen? Hätte ich einfach was Schwarzes an, wäre ich nicht so aufgefallen.
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Ich weiß, dass die Frau mir nichts Böses wollte. Ich weiß auch, dass die Situation nicht die richtige war, um ihr beizubringen, wie man mit seinen Mitmenschen umgeht. Aber es ist nunmal ein Moment der Bloßstellung, auch wenn es gut gemeinte Bloßstellung ist: Ich bin kein Zootier.

Es gibt einen Unterschied zwischen exotisierendem Bestaunen und zwischenmenschlichem Interesse auf Augenhöhe.

Am liebsten hätte ich gesagt, „Nein, ich bin keine Tongaerin. Aber Sie, Sie sind alt, blond und blauäugig – Sie könnten ein Nazi sein. Sind Sie ganz sicher, dass Sie keiner sind?“
Im besten Fall sind solche Äußerungen einfach unsensibel und taktlos, im schlimmsten Fall diskriminieren sie und das auch noch vorsätzlich. Oft lassen sich diese unangenehmen Situationen aber ganz einfach vermeiden, indem man die Frage einmal auf sich selbst projiziert: Wie würde ich mich fühlen, wenn mich, seit ich denken kann, jeden Monat mindestens eine Person fragt, ob ich wirklich deutsch bin? Würde mich das auf die Dauer nicht auch ein bisschen stören?
Dass ich mit 30 Jahren nicht immer noch erklären möchte, warum ich genauso deutsch bin wie meine Nachbarin Sabine Müller* (*Achtung: fiktive Person), müsste langsam verständlich sein.
SAG MAL WAS AUF ...
Als Kind war das der unangenehmste Teil des Kennenlernens – nicht, weil die anderen Kinder so neugierig waren, sondern weil die Eltern einen vorgeführt haben, als wäre man ein Aufziehspielzeug. „Sag mal hallo, wie geht's dir“, „Sag mal ich liebe dich“, „Kannst du auch fluchen?“ – Wenn jemand Hilfe oder Rat braucht und dafür meine Sprachkenntnisse in Anspruch nehmen möchte, jederzeit! Wenn ich Papagei spielen und vorplappern soll, eher nicht.
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WOHER KOMMST DU? ... ALSO, WOHER KOMMST DU WIRKLICH?
R29-Germany-Chefin Nora Beckershaus sagte es hier schon perfekt: „Interesse an Menschen ist kein Rassismus. Ein Gespräch über die Herkunft ist es ebenfalls nicht. Aber die Antwort ‚Ich komme aus Berlin‘ nicht stehen lassen zu können, weil jemand eine dunkle Hautfarbe hat, finde ich übergriffig und unangenehm.“
DU KANNST ABER GUT DEUTSCH.
Das wird einem immer gesagt, als wäre es ein Kompliment. Wie ein gut gemeinter Schulterklopfer. Es ist das, was ich „positiven Rassismus“ nenne: meist ungewolltes Bloßstellen durch Betonung der Andersartigkeit. Nur weil mein Nachname nicht so klingt, als wäre meine Familie seit Hunderten von Jahren in Brandenburg ansässig, heißt das nicht, dass ich für jeden grammatikalisch korrekten Satz ein Sternchen bekommen und beklatscht werden muss.
DARF ICH DEINE HAARE ANFASSEN?
Nein. Einfach nein. Hier klappt das im Übrigen mit der Projektion auf sich selbst auch ganz gut: Möchtest du, dass dir fremde Menschen einfach so zwischendurch in die Haare fassen? Möchtest du immer wieder zum Paradiesvogel unter Spatzen gemacht werden? Eben.
DU SIEHST SO EXOTISCH AUS.
Apropos Paradiesvogel: Ich frage mich in solchen Momenten immer Bin ich ein Tier, das sich aus der Savanne aufs Rübenfeld verirrt hat, oder bin ich ein Mensch?
Das Einzige, was 2017 in Deutschland noch ansatzweise exotisch ist, sind die südamerikanischen Chiasamen, die du dir heute Morgen in dein Müsli gerührt hast.
DAS IST DAS Su00dcDLu00c4NDISCHE TEMPERAMENT.
Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich das früher immer als Kompliment aufgefasst habe. Mittlerweile kann ich das nicht mehr, vorrangig weil die meisten Menschen, wenn sie so etwas sagen, einen klischeebehafteten, längst überholten Stereotypen im Kopf haben. Einen vollbusigen, Tango tanzenden Penelopé-Cruz-Verschnitt mit Schmolllippen und ordentlich „Feuer unterm Hintern“. Oder wahlweise einen Don Juan mit Dreitagebart und gutem Hüftschwung. Das sind alles schön kitschige Fantasien – wenn ich mich aufrege, möchte ich allerdings nicht als „temperamentvoll“ durchgehen. Meine Wut wird einen Grund haben, der nichts mit dem Namen auf meinem Pass zutun hat. Ebenso will mein Bruder nicht als „einer von denen“ durchgehen, sondern gerne bei Null anfangen, wenn es darum geht, sich zu profilieren.
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Und wer hat eigentlich jemals definiert, was „südländisch“ ist? Zählt Österreich auch schon dazu? Frage für eine Freundin, sie kommt aus Wien, hat große Brüste und isst gerne scharf.
Es hat eine ganze Weile gedauert, bis mir gewisse Sätze auf die Nerven gingen. Das sind Sätze, die ich mein ganzes Leben lang schon höre. Regelmäßig. Und in den meisten Fällen sind sie nicht böse gemeint, auch das ist mir bewusst. Aber genau die Personen, die mich das fragen würden, bitte ich jetzt darum zu verstehen, warum es irgendwann dann doch zu viel wird mit der Fragerei. Demografisch hat sich in der Gesellschaft so viel getan, warum dann nicht auch zwischenmenschlich dazulernen?
Über 60 Jahre, nachdem die ersten Gastarbeiter ins Land strömten; fast 30 Jahre nach dem Mauerfall – ich könnte das an so vielen Jahreszahlen festmachen. Fakt ist: Es kann nicht sein, dass ich 2017 dieselben Fragen gestellt bekomme wie 1997.
Es geht mir weder um zwanghafte Political Correctness noch um das Tabuisieren oder Stummschalten. Zwischen exotisierendem Bestaunen und zwischenmenschlichem Interesse auf Augenhöhe lässt sich allerdings sehr wohl unterscheiden.

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