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Nicht alle Prostituierten sind Opfer – Deshalb sorgt der „Hurenpass“ für Unmut

Der deutsche Staat möchte Prostituierte schützen. Deshalb hat er zum 1. Juli 2017 das neue Prostituiertenschutzgesetz (kurz ProstSchG) erlassen. Darin wird vor allem die einheitliche Meldepflicht aller Sexarbeiter*innen geregelt. Diese müssen sich bis zum Jahresende als solche anmelden und bekommen einen Lichtbildausweis mit Berufsbezeichnung „Prostituierte“, den sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit mitführen müssen. Bei Verstößen droht eine Strafe von bis zu 5000 Euro.
Der so genannte „Hurenpass“ sorgte für große Unruhe in der Branche, erst Anfang Dezember wurde wieder dagegen vor der zuständigen Berliner Behörde, dem Rathaus Schöneberg, protestiert. „Viele Prostituierte haben Angst“, erklärt Simone Wiegratz von der Berliner Prostituierten-Beratungsstelle Hydra. „Sie sorgen sich: Was passiert mit den Daten? Wer bekommt Einblick? An wen werden die Daten weitergegeben?“ Das Zwangs-Outing ist gerade für Alleinerziehende, Student*innen und Migrant*innen, in deren Heimat Prostitution verboten ist, eine Katastrophe.
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2002 hat die rot-grüne Bundesregierung per Gesetz Prostitution liberalisiert. Inzwischen haben viele Sexarbeiter*innen zwar eine Steuernummer, doch bei der Berufsbezeichnung konnten sie einigermaßen fantasievoll sein. Viele bezeichneten ihre Tätigkeit lieber als Begleitservice, Hostess, Tänzerin oder Masseurin. Mit dem Ergebnis, dass sich von den „80 größten Städten 20 außerstande sahen, überhaupt eine Zahl der Prostituierten vor Ort zu nennen“, wie die Tageszeitung Die Welt 2103 schrieb.
Damit soll nun Schluss sein. Außerdem ist dem Gesetzgeber der Schutzgedanke wichtig. Menschen, die zur Prostitution gezwungen werden, sollen eine Möglichkeit bekommen, auszusteigen. Deshalb brauchen nun auch Betreiber eine behördliche Erlaubnis, wenn sie ein Bordell oder Wohnungsbordelle betreiben. Eine gute Absicht, aber der Staat übersieht, dass es auch Sexarbeiter*innen gibt, die keine Opfer sind. Die mit dem Beruf anständiges Geld verdienen, ihn gerne ausüben – aber dennoch nicht stigmatisiert werden wollen mit einem „Hurenpass“.
Scheinbar ist der Gedanke, dass nicht alle Prostituierten Opfer sind, schwer vorstellbar. Besonders Frauenrechtlerin Alice Schwarzer ist Prostitution ein Dorn im Auge. Die Journalistin und „Emma“-Gründerin ist eine entschiedene Kämpferin gegen die Prostitution und hatte sich schon oft für verschärfte Gesetze ausgesprochen. Dass Frauen, den Beruf freiwillig wählen, ihn vielleicht sogar als Berufung sehen, ist in ihren Augen ausgeschlossen.
Fräulein Schmitt hört nun zum Ende des Jahres, wenn die Anmeldefrist abläuft, auf. Seit 2002 Jahren arbeitet sie als Domina, zurzeit einen Tag in der Woche in einem S/M-Studio. Nebenbei hat sie einen normalen Bürojob. „Domina zu sein, macht mir Spaß und spült Geld in die Urlaubskasse“, sagt sie. Ihr Lebenspartner weiß davon, aber ihre Eltern nicht. „Anmelden werde ich mich auf gar keinen Fall“, sagt sie entschieden. „Wer weiß, ob die Datei nicht gehackt wird.“ Sie möchte schließlich nicht, dass ihre Eltern, Nachbarn und Freunde wissen, was sie treibt.
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Einige Sexarbeiter*innen werden sich anmelden, einige aufhören wie Fräulein Schmitt und einige auch ohne Anmeldung weitermachen. „Diese Frauen werden erpressbar“, erklärt die Hydra-Beraterin. Freier können nun Druck ausüben, ganz nach dem Motto: „Du bist nicht gemeldet, daher bezahle ich dich nicht. Schließlich kannst du mich ja nicht verklagen“. Als Außenstehender mag man das für eine Ausnahme halten, aber „dazu gibt es schon Fälle“, sagt Simone Wiegratz. Bei der Beratungsstelle Hydra in Kreuzberg verzeichnet man sogar eine „echte Zunahme“.
Noch kann die Stadt Berlin (wie viele andere Länder) das Gesetz nicht umsetzen. Seit Juli erhalten die Prostituierten lediglich eine Bescheinigung des Anmeldeversuchs. Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung teilte mit, dass anlässlich einer parlamentarischen Anfrage im Oktober beim Bezirk Mitte ein Zwischenstand abgefragt wurde. „Damals waren es 76“. Die Zahl steigt nun aber mit dem nahenden Fristende an. Und auch sonst klärt sich vieles. Fest steht: Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg wird die Anmeldung und Beratung für alle Bezirke übernehmen. 24 Stellen werden geschaffen, die ersten Stellenausschreibungen sind raus, Kosten von 1,2 Millionen sind jährlich im Haushalt eingeplant.
Gegen Sommer 2018 dürfte der Betrieb dann laufen und tragfähige Zahlen da sein. Für Simone Wiegratz ist aber bereits jetzt eines klar: „Das neue Gesetz erreicht den Schutz der Prostituierten“, sagt sie. Doch ihre Stimme klingt voller Galgenhumor, wenn sie das sagt. „Indem viele aufhören oder in die Illegalität abdriften werden. Man schützt quasi die Prostituierten mit der Stigmatisierung durch den Pass vor der Erwerbsarbeit Prostitution“, sagt sie und lacht bitter.

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