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Von Dingen, die wir glauben, richtig zu machen – im falschen System

Gerade träume ich an der Supermarktkasse im Basic vor mich hin, als mein Blick auf eine Packung getrockneter Papaya-Streifen fällt. 3,99€. Schnäppchen! Auf die Schachtel ist ein schwarzer Mann gedruckt, der mir freudestrahlend eine reife Papaya reicht und exakt so aussieht, wie wir versnobten Mitteleuropäer uns einen Erntehelfer von den Philippinen vorstellen.
Wahrscheinlich wurde das Bild von irgendeiner Hamburger Werbeagentur geschossen, der Erntehelfer ist in Wirklichkeit der Junior Art Director und das Shooting war teurer als eine komplette Papaya-Plantage.
Warst du schon mal im Basic in der Innenstadt von München? Ich habe mich zweitweise schon gefragt, ob sie bald einen extra Parkplatz für die ganzen SUVs bereitstellen. Fakt ist: Das Essen hier ist teuer und die Menschen, die hier einkaufen, haben eines auf keinen Fall: Geldprobleme.
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Wir denken, dass wir bessere Menschen sind, wenn wir das Richtige tun. Ich Gut-Mensch vergesse nur immer wieder, dass ich selbst definiere, was richtig und was gut ist. Was uns aber der Erntehelfer auf der Verpackung vermittelt, ist, dass wir mit dem Kauf dieses Produktes etwas Gutes für andere tun.
Wir werden zu Samaritern und stülpen unsere Wahrheit über die eines anderen. Ihr dürft jetzt gerne aufstehen und protestieren, aber ich finde das arrogant. Für mich ist das Bild des lachenden Erntehelfers im Snob-Basic von München eine Farce. Es hat etwas Verlogenes, denn was wir hier alle wirklich machen, ist unser „grünes Ego“ zu befriedigen.
Jetzt aber genug von dem ganzen „Nicht-Gut-Mensch“-Gesülze. Ich stehe ja auch an der Kasse im Öko-Snob-Supermarkt und habe keine Antwort darauf, wie man es wirklich richtig macht.
Ich kaufe übrigens Tee. Eine Packung mit 12 verschiedenen Sorten, die den Namen „Magic Box – Alles ist drin“ trägt. Der Tee ist für meine beste Freundin. Die wohnt in Berlin. Sie liebt diesen Tee, vor allem wegen der kleinen Sprüche auf dem Tee-Papierchen. Ich habe gerade nachgesehen und der erste Spruch, den ich gefunden habe, lautet: „Gehe nur Wege mit Herz.“ Traumhaft, oder?
Unser Herzens-Weg führt uns an diesem Wochenende nach Berlin ins Sisyphos. Um 4 Uhr morgens stehen wir in der Schlange vor dem Club. Das Bier in meiner rechten Hand ist kalt und der Pulverschnee bereitet mir Kopfweh. Unsere Gruppe unterhält sich: „Mindestens!“, sagt die Freundin aus Berlin und zerbeißt ein tic tac, um es mit dem Typen neben sich zu teilen. Ich schaue zu, wie durch eine Wand aus Nebel. „Magst du?“ Ich winke ab, gerade kein tic tac, danke.
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Ich habe das Gefühl, die Schlange wird länger, je nüchterner ich werde. Eine fatale Kombination. Wie an der Supermarktkasse versinke ich wieder in meine Träumerei und Fetzen von dem Gespräch hinter mir fließen mir unaufhaltsam in mein rechtes Ohr.
Eine attraktive Frau, die ich leider absolut nicht attraktiv finde, spricht mit einer zu hohen Stimme: „Ich mache das ja nicht für jemand anderen, sondern für mich selbst. Ich meine, so ein bisschen Hartkäse von einem guten Biobauernhof ist echt kein Ding, aber wenn ich dann Leute sehe, die sich jeden Tag drei Joghurts reinziehen … Das ist doch krank!“
Was für ein Bullshit! Nein, ich habe nichts gegen Veganer. Genauso wenig wie gegen Fleischesser, Erntehelfer, Weiße, Schwarze, Gelbe, Rote … warte mal, gibt es Rote überhaupt? Seht ihr? Das meine ich. Es ist mir egal. Vegan sein liegt im Trend. Iss, was du willst oder lass es. Aber bitte denke doch nicht, dass es dich zu einem besseren Menschen macht.
Ständen wir vor 80 Jahren hier, dann wäre das vielleicht ein Aufmarsch der Hitler-Jugend. Und würden wir keine silbernen Nikes tragen, sondern blonde Zöpfe, dann würden wir voll im Trend liegen und hätten alles richtig gemacht. Nur eben leider im falschen System.
Dann endlich macht die Schlange einen Ruck und wir tauchen in die heiße, dicke Luft. Vor uns die Tanzfläche. Ort des Vergessens und Seins, der Tempel der Neuzeit. Heilig vibriert er vor mir, als warte er nur darauf, dass ich meinen Körper auf ihm hüpfen lasse, ihn mit meinen Füßen massiere und mit meiner jubelnden Euphorie und purer Gedankenlosigkeit beglücke. Tanzen.
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Hier in der Dunkelheit löse ich mich von allen Konsequenzen. Ich nehme für ein paar Stunden Urlaub von mir selbst. Gerade werfe ich die Arme in die Luft, als mich eine Hand unangenehm fest an der Schulter packt. Ich drehe mich um, um dem Idioten hinter mir eine zu scheuern, doch da steht kein Typ, sondern meine Freundin. Sie klammert sich mit letzter Kraft an mich, bevor ihre Augen nach hinten kippen und ich nur noch das Weiße sehe.
Ihre Beine geben nach und sie sackt in sich zusammen, wie eine dieser mit Luft gefüllten Figuren, die man von Jahrmärkten kennt. Sie fällt mir mit ihrem gesamten Körpergewicht in die Arme und ich komme ins Straucheln, remple andere Tänzer an, die den Ernst der Lage natürlich nicht verstehen und mich von der Seite dumm anmachen.
Einer aus unserer Gruppe bekommt mit, was gerade passiert, und hilft mir, sie aus der Menge zu tragen. „Anfänger“, höre ich einen Mann in engen Lederhosen sagen. Wir setzen uns auf die Couch und der Freund holt Wasser. Langsam kommt sie wieder zu sich und um uns drei legt sich eine Glocke der Vertrautheit.
Die Partygäste sind Ausgeschlossene und ich frage mich, was da gerade geschehen ist? Ich bin jetzt 27 und anstatt Kinder zu planen, trage ich meine bewusstlosen Freunde durch Clubs. Die Antwort liegt irgendwo in unserem Leben, weil man manchmal eben alles richtig machen kann und trotzdem scheitert. Weil der Wille danach, das richtige Leben zu finden, manchmal so groß ist, dass man sich beim Sprung ins kalte Wasser verschätzt und kurz mit dem Kopf untertaucht, in Berlin landet, tic tacs frisst und umfällt.
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Als wir aus dem Club gehen, brennt das Licht in den Augen, das Bier auf der Zunge und die Füße in den Schuhen. Der Türsteher mustert uns zufrieden, als hätte er seinen Pferden genug Auslauf gegeben. „Tschau!“ „Tschau!“
Ich drehe mich um, als mein Blick nochmals auf den Türsteher fällt. Ohne einen wissentlichen Grund bleibt mein Blick hängen, länger und länger, bis mir auffällt: Der sieht einfach exakt so aus, wie der Erntehelfer auf der Papaya-Schachtel aus dem Basic. Nur mit übergroßem Parka, statt einem Leinengewand. Mir wird klar: Es war gar keine Hamburger, sondern eine Berliner Werbeagentur!
Ich überlege, ihn darauf anzusprechen, während die Sonne sich in meinem Gesicht unglaublich falsch anfühlt. Ich stehe in dem dreckigen Hinterhof und weiß noch viel weniger, wo ich anfangen soll mit dem Richtigsein. Zuhause angekommen setzen wir heißes Wasser auf. Die Zeit ist gekommen.
Ich hole die Magic-Tea-Box aus meinem Rucksack und frage laut in die Runde: „Wer will was? In dieser Box ist alles drin, ihr müsst euch nur für das Richtige entscheiden!“

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