Instagram ist die Gute-Nacht-Geschichte für Millennials, die nicht nur vorm Schlafengehen funktioniert. Morgens und abends, wenn die Sonne noch nicht auf oder längst untergegangen ist, leuchten unsere Gesichter im Schein der Smartphones. Auf dem Display: die Timelines der Menschen, die uns inspirieren – und uns erlauben, in Welten einzutauchen, die wie ein Urlaub im Kopf funktionieren. Es gibt die Naherholungsziele: das eine Ganni-T-Shirt in Kombination mit der halbabgeschnittenen Jeans vor einer besprayten Tür, das wir spätestens beim nächsten Berlinurlaub genauso tragen könnten. Außerdem sind da die Fernreisen, zum Beispiel ein rosafarbener Strand auf dieser tausende Kilometer weit entfernten Privatinsel oder eine perfekt sortierte Açai-Bowl an einem Wochentag vor einem 14-Stunden-Job. Unerreichbar, aber schön.
Instagram ist die Eintrittskarte in Welten, die zeigen, was alles möglich sein kann. Obwohl ich weiß, dass viele dieser Optionen weder mit meinem Gehalt noch in meiner Stadt denkbar sind, kann ich ein Teil davon sein. „Der rosafarbene Strand, das bist total du“, ist ein Satz, der fallen kann, obwohl ich nie da war – weil ich mich dazu entschieden habe, gerade am liebsten Pastellbilder zu posten.
Was die App ausmacht, sind die sorgfältig kuratierten Feeds, die weit Entferntes aussehen lassen, als wäre es ganz nah. Genau das steht auf dem Spiel: The Verge berichtete bereits Anfang des Monats, dass Instagram an einer Galeriefunktion arbeitet und diese in einer Beta-Version bereits testet. Im Laufe der nächsten Woche erscheint das Update offiziell für iOS und Android. Man kann damit bis zu 10 Bilder in einem einzigen Post teilen – ein ganzes Album.
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Um es sich anzusehen, drückt man einfach länger auf das dann als Deckblatt fungierende Bild im Feed und wischt hin und her: So sieht man alle geposteten Bilder des Albums, die zwar einzeln geliked und bearbeitet werden können, aber nicht mehr einzeln im Feed sichtbar sind. Blaue Punkte unter dem Beitrag zeigen, bei welchem Bild es sich um eine Galerie handelt.
Obwohl ich auch bei Lieblingsapps eher nach vorne blicke, als in der Vergangenheit zu schwelgen, bekomme ich an dieser Stelle auf einmal Magenschmerzen. Dabei ändert Instagram gar nicht viel am Aussehen. Ich befürchte jedoch, dass sich die neue Funktion auf den Charakter auswirkt: Das angenehme Gefühl, eine sorgfältig kuratierte Geschichte statt Momentaufnahmen, Überfluss und zu viel des Guten in der Timeline zu sehen, steht für mich auf der Kippe.
Was viele bereits mit der Einführung von Instagram Stories befürchtet haben, könnte nun Realität werden. Doch sind der Minimalismus und das Selektieren nicht längst Vergangenheit, wenn jeder 24/7 Live-Aufnahmen posten kann? Nein, weil die Stories-Funktion geschickt von der Timeline abgetrennt ist. Die kleinen Stories-Profilbilder in der Appleiste oben stören mich nicht, wenn ich sie nicht sehen, sondern lieber ziellos scrollen möchte.
Eine Instagram-Galeriefunktion macht aus der Ruhe Überforderung, Hektik und Stress, weil ich auf einmal das Gefühl habe, weiterklicken zu müssen statt nur nach unten zu scrollen. Ein Gefühl, das ich bereits von Facebook kenne. Instagram ist mein Rückzugsort, der nichts von mir will, wenn ich das nicht möchte.
Während bei The Verge darauf hingewiesen wird, dass die Alben-Funktion eine Motivation sein könnte, nur noch die absoluten Sahnehäubchen im Feed zu teilen, weil „die endlosen Urlaubs-, Baby- und Hochzeitsfotos“ dann endlich unter einem Deckblatt verschwinden, was eine ganz und gar gute Entwicklung sei, bin ich skeptisch.
Gut möglich, dass Instagram ab nächster Woche eine der Apps wird, die ich nur noch aus Pflichtgefühl öffne – und beim nächsten Speicherplatzproblem komplett lösche.
Dieser Artikel wurde zuerst am 9. Februar veröffentlicht.