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Hört auf Fake-Memes zu teilen, nur weil sie eurer gefühlten Wahrheit entsprechen

Es ist der 9. November 2016, sechs Uhr morgens. Verschlafen taste ich nach meinem Handy, auf dem sich die Eilmeldungen unterschiedlicher Nachrichtensender stauen und kann es nicht fassen: Donald Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Während sich traditionelle Medien im Laufe des Tages an komplexen Erklärungen für das Unerklärliche versuchen, kursiert in meinen Social-Media-Kanälen nur ein einziges Meme – das Foto eines jüngeren Donald Trump mit einem prägnanten Zitat: „Wenn ich antrete, dann als Republikaner. Sie sind die dümmste Wählergruppe im Land. Sie glauben alles auf Fox News. Ich könnte lügen und sie würden es immer noch glauben. Ich wette, meine Ergebnisse wären unglaublich“. Aha. Der Satz macht wütend. Er vermittelt das Gefühl, vom demokratischen System hinters Licht geführt worden zu sein. Trump wird Präsident, weil er von einem großen Teil der US-amerikanischen Bevölkerung gewählt wurde. Genauer gesagt von eben jenen Republikanerinnen und Republikanern, über die er sich schon vor Jahren lustig gemacht hat. Denen er sogar Dummheit attestierte. Die Quelle wirkt eindeutig: People Magazine, 1998. Mit dem 9. November 2016 scheint klar, dass Trumps von langer Hand geplante, perfide Mission erfolgreich war. Nicht nur in meinem Freundes- und Bekanntenkreis wird das Meme am Wahlmorgen wie wild geteilt, auch Promis wie Rihanna und Lena Meyer-Landrut sharen den Post. Schnell bemerke ich, dass ich mit meiner Fassungslosigkeit und dem Wunsch, diesem Gefühl Ausdruck zu verleihen, ganz und gar nicht alleine dastehe. Das Trump-Meme leistet zwei Dinge: dem ungläubigen Entsetzen angesichts des US-Wahlergebnisses ein Gesicht zu geben. Gleichzeitig stellt das Zitat eine klare Kritik an dem Teil der US-Bevölkerung dar, der für Trump gestimmt hat. So verbinden sich Fassungslosigkeit und Kritik zu einer ganz wunderbaren Mischung. Irgendwie zu gut, um wahr zu sein. Das Zitat ist ein Fake. Und zwar einer, der an diesem grauen Novembermorgen eigentlich schon lange entlarvt worden ist. Eine kurze Recherche liefert die folgenden Fakten: Laut New York Times schwirrt die vermeintliche Aussage Trumps bereits seit den Primaries, also den US-Vorwahlen, im Oktober 2015 durch die sozialen Netzwerke. Im Juli dieses Jahres veröffentlichte die US-amerikanische Faktencheck-Seite Snopes einen Artikel, der belegt, dass für das Zitat keine Originalquelle in den People-Archiven zu finden ist. Zahlreiche Zeitschriften und Magazine verbreiten im Laufe des Jahres 2016 gebetsmühlenartig diese Information. Trotzdem ist das Meme einfach nicht totzukriegen.
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„Yes this quote is fake but it doesn't matter – Ja, dieses Zitat ist ein Fake, aber das ist egal.“

Amy Schumer
Ich frage mich, weshalb sich eine nachweisliche Lüge so lange in den sozialen Netzwerken hält. Warum wird ein Fake-Meme millionenfach geteilt? Comedian und Hillary-Supporterin Amy Schumer postet das Bild nach der US-Wahl ebenfalls bei Instagram. Dazu schreibt sie: „Yes this quote is fake but it doesn't matter – Ja, dieses Zitat ist ein Fake, aber das ist egal.“ Schumer ist sich vollkommen darüber im Klaren, dass das Trump-Zitat erfunden ist – und teilt es trotzdem. Damit folgt sie den Gesetzen eines Narratives, das man als „postfaktisch“ bezeichnen kann. Unter „postfaktisch“ wird im politischen Kontext eine Form des Denkens und Handelns verstanden, bei der Fakten im Vergleich zu „gefühlten“ Wahrheiten – und teilweise haltlosen Spekulationen – in den Hintergrund treten.

Am Ende ist an den Versprechungen genauso viel dran wie am besagten Trump-Meme – nämlich gar nichts.

Zusammen mit dem Mann, der während des US-Wahlkampfes mehr als deutlich gemacht hat, dass ihn die Wahrheit herzlich wenig interessiert, haben das englische Wort „post-truth“ und die deutsche Übersetzung „postfaktisch“ in den letzten Monaten einen ungeahnten Aufstieg erlebt. Gerade wurde „post-truth“ von der Jury des Oxford Dictionary zum internationalen Wort des Jahres gekürt, weil es sich „von einem peripheren Begriff zu einem wichtigen Bestandteil in politischen Kommentaren entwickelt“ habe, berichtet die Welt. Steuern wir tatsächlich auf eine Gesellschaft zu, in der die Wahrheit von politischen Aussagen viel weniger Wert hat als der Effekt einer Aussage auf die potentielle Wählerschaft? Und seit wann haben in der Politik Gefühle mehr Gewicht als Fakten? Die Aufgabe von Politikern ist es doch, als demokratisch gewählte Volksvertreter im Sinne ihrer Wählerschaft rational zu entscheiden. #Feelings sollten in Sachen Handelsabkommen und Klimaschutz also definitiv keine zentrale Rolle spielen. Gleiches gilt im Verhältnis zur Wählerschaft. Wenn der politische Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern das Ziel verfolgt, Angst mit populistischen Halbwahrheiten und Lügen zu schüren und subjektive Gefühle auszunutzen, entfernen wir uns von demokratischen Werten. Auf diese Art und Weise werden Menschen mobilisiert, die sich von vermeintlich „volksnahen“ Politikern endlich verstanden fühlen. Der Haken? Am Ende ist an den Versprechungen genauso viel dran wie am besagten Trump-Meme. Nämlich gar nichts.

Die vielen gefühlsgeleiteten Postings funktionieren in den sozialen Medien wie ein individuelles digitales Ventil.

Emotionen sind irrational. Ganz besonders in Momenten der Unsicherheit. In einer immer komplexer werdenden Welt scheinen sich viele in nostalgischer Manier nach einfachen Strukturen zu sehnen. Das ist der Punkt, an dem Gefühle gefährlich werden, weil sie so leicht zu manipulieren sind. Das Phänomen der „gefühlten“ Wahrheiten geht deshalb auch weit über die US-Wahl hinaus. Immer öfter kann man beobachten, dass sich nach emotionalen und tragischen Ereignissen wie zum Beispiel dem Attentat in München im Sekundentakt neue Informationen in den sozialen Netzwerken verbreiten – auch wenn diese meist nichts mit Fakten und dafür sehr viel mit Panik zu tun haben. Schneller als gedacht ist man selbst nur einen Klick weit davon entfernt, mitzumachen. #Repost, fertig. Im Zweifel gibt es eben wenig, das einfacher ist, als dem eigenen Bauchgefühl zu vertrauen. Die vielen gefühlsgeleiteten Postings funktionieren in den sozialen Medien wie ein individuelles digitales Ventil. Sie sind Ausdruck von Trauer, Angst, Empörung, Wut oder Verzweiflung. Ob man sich nun dafür entscheidet, sie so zu zeigen oder nicht: Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Postfaktizität – genau wie Demokratie – bereits im Kleinen anfängt. Das nicht tot zu kriegende Trump-Meme ist das beste Beispiel dafür, dass soziale Netzwerke leider viel zu oft nach dem Prinzip Herz über Kopf funktionieren.

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