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„Am Anfang vieler Rollen steht die Angst“

Den meisten dürfte Jella Haase wohl als nervig-überdrehte Schulchaotin Chantal aus der Blockbuster-Reihe „Fack Ju Göhte“ bekannt sein. Dabei zählt die 25-jährige Berlinerin schon seit längerer Zeit zu den wandelbarsten deutschen Charakterdarstellerinnen, die selbst vor den unbequemsten Rollen nicht zurückschreckt. Bevor sie ab 8. März in der bittersüßen Coming-Of- Age-Komödie „Vielmachglas“ zu sehen ist, sprach Jella mit Refinery29 über die Probleme der Generation Y, Abenteuerlust und ihre Bewunderung für Alice Schwarzer.
In „Tatort“ hast du eine minderjährige Prostituierte verkörpert, in „Kriegerin“ eine junge Nazi-Anhängerin und in „Das Leben danach“ eine Überlebende des Duisburger Love-Parade-Unglücks. Inwieweit testest du mit solchen extremen Rollen die eigenen Schauspielgrenzen aus?
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In meinem allerersten Film habe ich ein Mädchen gespielt, das mit dreizehn Jungs eine Gangbang-Party feiert. Damals war ich 15. Ich habe angeblich zu meiner Mutter gesagt: Wenn ich das schaffe, dann schaffe ich alles. Vielleicht geht es unterbewußt um eine Art des Austestens. Am Anfang vieler Rollen steht bei mir oft Angst. Versagensangst. Keine lähmende Angst, sondern eine neugierige Form. Es ist wichtig, in solchen Situationen ein sensibles Team um sich zu haben. Szenen, in denen ich liebe, weine oder andere extreme Emotionen zeige, nehme ich als sehr intensiv wahr. Aber grundsätzlich freue ich mich jedes Mal nach Drehschluss wieder Jella sein zu können. Oftmals macht man sich gegenüber einer Rolle so durchlässig, dass ich Albträume bekomme. Dagegen kann man sich nicht wehren.
In deinem neuen Film „Vielmachglas“ geht es ums Erwachsenwerden und um Selbstfindung. Hast du selber das Gefühl, „erwachsen“ zu sein?
In gewissen Bereichen schon, in anderen nicht. Zum Beispiel, was meine Tätigkeit vor der Kamera angeht. Ich habe zur Schauspielerei mittlerweile ein anderes Verhältnis entwickelt. Früher war sie eher ein Hobby, das neben der Schule ablief. So langsam begreife ich die Schauspielerei als meinen wirklichen Beruf. Ich bin keine ausgebildete Schauspielerin, sondern löse viele Situationen über meine Intuition. Ich merke aber, dass mich eine große Neugierde treibt, was die handwerkliche Seite angeht.
Gab es in deinem Privatleben einen Schlüsselmoment des Erwachsenwerdens?
Ich taste mich langsam an alles heran. Ich scheue mich noch ein wenig davor, „kompletterwachsen“ zu werden. Gerade, was Dinge wie Behördengänge oder Steuerkram angeht, muss ich mich immer sehr in den Hintern treten. Ich verdränge gern. Wenn ich den Brief nicht öffne, ist er auch nicht da... Eigentlich der totale Horror. Ich wünschte, ich hätte jemanden, der mir diese Sachen abnimmt. Mir ist klar, dass sich weniger anhäuft, wenn man sich immer gleich um alles kümmert. Ich bin nur leider der Typ Mensch, der gerne aufschiebt und dann irgendwann völlig überfordert ist. Aber ich arbeite daran. In kleinen Schritten.
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Du bist in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen. Wird man auf diesem harten Pflaster schneller selbstständig, als anderswo?
Ich glaube, dass das Kreuzberg von vor zwanzig Jahren ein ganz anderes, als das von heute war. Ich war aber nie ein Kind, das zu früh zu viel Verantwortung übernehmen oder vorschnell erwachsen werden musste. Meine Eltern haben sehr darauf geachtet, uns unsere Kindheit möglichst lange zu bewahren. Ich durfte relativ lange und gut behütet Kind sein.
Sich sein inneres Kind zu bewahren, ist für jeden Schauspieler essenziell. Wie gut klappt das bei dir?
Ganz gut, würde ich sagen! Ich finde Kinder wahnsinnig inspirierend und bewundere, mit welcher Naivität sie die Welt betrachten. Auf der anderen Seite kann man Kindern auch nichts vormachen. Sie sind in der Lage, einen zu durchschauen. Sie sind super ehrlich und unbestechlich. Ich habe schon als Kind gerne Rollen gespielt. Als Kind denkt man gar nicht darüber nach, was genau man da tut, sondern ist ganz einfach eine ganz andere Person.
Deine Rolle in „Vielmachglas“ gehört der Generation der Millennials an, die sich einerseits aus erfolgsorientierten Durchstartern, andererseits aus notorischen Couchpotatoes zusammensetzt. Ziemlich krasse Gegensätze!
Es gibt notorische Überflieger, von denen sich jeder mit coolen Tätigkeiten verwirklichen muss, Start-Ups gründet oder sich auf sonstige Art auslebt. Dann gibt es noch Typen wie meine Rolle Marleen, die sich einfach nicht entscheiden können, was sie machen wollen. Die Gesellschaft ist viel schnelllebiger geworden. Meistens verlässt man heute mit 17 die Schule und muss sich sofort entscheiden, wie man den Rest seines Lebens verbringen will. Ich finde, man wird seiner Zeit beklaut. Niemand hat heute mehr den Mut, sich auszuprobieren und auch mal Fehler zu machen. Alle müssen sich immer gleich festlegen und sofort perfekt in dem sein, was sie tun. Obwohl ich mir damals ziemlich sicher war, welchen Weg ich gehen wollte, waren meine Eltern immer sehr entspannt und haben mir die Möglichkeit des Scheiterns gelassen. Für sie war es okay, wenn Dinge nicht geklappt oder sich als unpassend für mich dargestellt haben.
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Du hast deine Mutter immer als großes Vorbild betrachtet.
Definitiv. Wobei es noch viele andere tolle Frauen in meinem Leben gab und gibt. Ich mag auch, was Alice Schwarzer zu sagen hat. Sie hat Rückgrat und ist absolut streitbar. Obwohl sie oft mit ihrer Meinung polarisiert hat und viel Gegenwind ertragen musste, ist sie immer bei sich geblieben.
Deine Rolle Marleen ist eine Träumerin, die gerne Zuhause in ihrem Lieblingssessel chillt und das Leben an sich vorbei ziehen lässt. Gibt es da Parallelen zur privaten Jella?
Kaum. Ich habe die Rolle ganz bewußt weit weg von mir als Person angelegt. Ich bin viel neugieriger. Ich gehe gerne raus, um mir die Welt anzuschauen. Ich war kürzlich mit der Punkrock- Band Bluttat zwei Wochen auf Tour durch Kolumbien. Ihre Sängerin Atti ist eng mit meinen Eltern befreundet und gehört zu den Menschen, die mich am meisten geprägt haben. Sie ist wie eine große Schwester für mich. In Deutschland hat man bisher kaum von ihnen gehört, in Kolumbien sind sie Megastars. Dort hielt sich jahrelang das Gerücht, sie hätten kollektiven Selbstmord begangen. Nach ihrer Reunion wollte ich unbedingt mit zu den Shows in Südamerika. Es war unglaublich. Ich habe meinen Blick auf die Welt während dieser Zeit unglaublich erweitern können und wahnsinnig viel über das Land und seine politischen Verhältnisse gelernt. Abseits von einschlägigen Drogenbaron-Serien...
Hattest du als Jugendliche auch selbst eine Punk-Phase?
Nicht wirklich. Ich habe irgendwann in einem ehemaligen besetzten Haus gewohnt. Mein allererstes Konzert war der Auftritt von Attis Punkrock-Band. Meine Eltern waren zwar keine Punks, aber sehr liberal eingestellt. Ich bin viel unterwegs gewesen, um es vorsichtig auszudrücken.
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Keine grüne Stachelfrisur?
Ich hätte lieber rosa Haare gehabt. Leider war es nicht möglich, weil ich schon mit 15 gedreht habe.
Als öffentliche Person wird man jeden Tag von der Umwelt neu bewertet. Wie gehst du mit diesem Druck um?
Ich bin kein Mensch, der sich selbst googelt. Mich nervt am meisten, dass man sich permanent mit anderen vergleicht. Man bekommt täglich in den Sozialen Medien vorgeführt, was andere Leute so treiben. Ich versuche, mich auf mich selbst und meine Ziele zu konzentrieren. Ich mache mir oft Gedanken über die Generation, die nach mir kommt. Eine Generation, die mit der Einstellung aufwächst, es wäre völlig normal, sich permanent selbst zu filmen und alles ins Netz zu stellen. Ich versuche auf meinen Profilen zu vermitteln, dass ich trotz meines Bekanntheitsgrads immer noch ein ganz normales Leben führe. Natürlich mache ich einerseits auch Werbung für meine Filme. Aber ich möchte meinen Fans auch vermitteln, dass man nicht krampfhaft aussehen muss wie Influencer X oder Model Y – Typen, die am Strand 3.000 Fotos von sich machen, bis eines dabei ist, auf denen sie sich selbst schön finden. Mich nervt auch diese propagierte unnatürliche Natürlichkeit: Jeder tut so aufgesetzt ungezwungen, als würde er im nächsten Moment fotografiert werden. Alles und jeder muss ständig so schön aussehen, dass man am liebsten ein Foto machen möchte. Das macht mich wahnsinnig!
„Vielmachglas“ läuft am 8. März in den deutschen Kinos an.

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