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Der Otto-Katalog wird eingestellt – & damit auch ein Teil meiner Jugend

Foto: GettyImages/ Comstock
Vergangene Woche ging ein kleiner Ruck durch Mailorder-Deutschland. Nach 68 Jahren ist es diesen Dezember so weit: Der Otto-Katalog wird ein letztes Mal deutsche Briefkästen verstopfen. Wer in den Neunzigerjahren und frühen Zweitausendern in einer mittelgroßen, deutschen Stadt aufgewachsen ist, für den*die war der Otto-Katalog damals das 1,5 Kilogramm schwere Papierfenster zur Welt. Der eigene Shopping-Horizont reichte nämlich nur so weit, wie einen die öffentlichen Verkehrsmittel trugen – und das war in der Regel bis zur nächst kleinen Stadt.
Es war eine Zeit, in der man Informationen im Papierformat konsumierte. Die Suche nach einer bestimmten Jeans einer 08/15-Marke konnte mitunter zu einer wahren Schatzsuche ausarten – über die künstliche Verknappung von limitierten 500-Euro-Sneakern kann ich daher nur müde lachen. Kataloge waren aber noch viel mehr, als nur gedruckte Schaufenster.
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Stundenlang lag ich mit meiner besten Freundin auf dem Bett oder dem harten Zimmerboden. Wir blätterten gespannt die hauchdünnen Seiten um, machten kleine Eselsohren bei allen Produkten, die wir haben wollten, und lachten uns jedes Mal kaputt, wenn wir bei den berühmten Sextoy-Seiten ankamen.
Otto hatte auf fast 1.000 Seiten die präziseste Antwort auf die Frage, was typisch deutsch ist. Mit jedem Jahr, das ich älter wurde, wuchs aber auch der Drang nach Selbstbestimmung und einer (vermeintlich) eigenen, modischen Identität. Die Phase zwischen zwölf und 17 Jahren hat sicherlich jede*r von uns durchgemacht: Die Suche nach dem ganz eigenen Stil kollidierte mit dem Bedürfnis dazuzugehören – und heraus kam ein Look des Grauens. Bei mir war das ein schiefer Bob mit noch schieferem Pony, dazu eine Tattoo-Kette, eine Neoprenjacke von G-Star, garniert mit den tiefst sitzenden Miss Sixty Jeans, die die Welt je gesehen hat, einem Spaghetti-Trägertop von Pimkie und Sneakern von Gola. Ich sah aus wie eine Hip-Hop-Raverin auf Abwegen.
Meine Dealer des verirrten, unbeständigen Geschmacks? Frontline, ...ing, Titus, Nastrovje Potsdam und EMP. Die Spannung, wenn endlich der neue Katalog der Saison im Briefkasten steckte, kann man bei den fast täglich neuen Online-Releases nur noch schwer nachvollziehen. Das stundenlange Blättern, mit Stiften einkreisen und Seitenecken einknicken waren fast schon meditativ. Mit einem Kugelschreiber bewaffnet wurde nach mehrmaligem Durchblättern dann die Bestellkarte auf der letzten Seite ausgefüllt. Dinge, die heute mit einem Mausklick erledigt sind. Damals brauchte man mindestens einen Briefkasten (das sind diese gelben, größeren Blechkisten mit den zwei Schlitzen, die du manchmal am Straßenrand stehen siehst) oder ein Faxgerät.
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Es war die absolute, modische Bevormundung. Natürlich haben auch die musikalischen Subkulturen damals die Trends geschaffen. Insgesamt sorgte der Mangel an Information aber dazu, dass man als Kind vom Kaff vorgesetzt bekam, was gerade angesagt war und diese Produkte dann auch brav konsumiert hat. So haben die mehreren Tonnen Papier, die jedes halbe Jahr mit der Post kamen den Look einer ganzen Generation mitgeprägt. Ich schimpfe heute gerne darüber, dass die komplette Generation Z aussieht, als wäre sie aus dem gleichen Instagram-Account gehopst.
Damals war es eigentlich auch nicht anders, allerdings hatte Mode in meiner Erinnerung immer einen stärkeren Bezug zu Subkulturen. Frontline hat als Versandhandel für Schallplatten angefangen, bei ...ing und Titus drehte sich alles ums Skaten, EMP und NAPO machten alle Metalheads und Rockfans glücklich und bei MZEE standen Hip-Hop und Sprayen an oberster Stelle. Und Otto? War eben für alle Durchschnittsdeutschen da und für junge Menschen das Tor zur Welt der Bekleidung.
Das Ende vom Otto-Katalog ist die logische Konsequenz unserer vernetzen Gesellschaft und mich hat ehrlich gesagt eher gewundert, dass er so lange durchgehalten hat. Aber es ist wie beim Ende von Viva, Intro, Neon und dem Frontline-Shop: Auch wenn man diese Medien nicht konsumiert hat, war es schön zu wissen, dass sie da sind. Einfach weil. Weil es irgendwie immer so war. Weil man sie kennt und weil man Gefühle, Erinnerungen und eine sehr prägende Phase des Lebens damit verbindet.
Und wie sagte auch schon Gary Barlow zum (ersten) Ende von Take That? Man soll aufhören, wenn es am Schönsten ist.

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