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Beth Ditto: „Es ist eine peinliche Sauerei, was in unserem Land passiert.“

Foto: Edith Lu00f6hle.
Fette feministische Lesbe. So nennt sich Beth Ditto selbst und positioniert sich ganz automatisch als wandelnde Kampfansage gegen Stereotypie. Spätestens seit sie über die cruel cruel world im Song „Heavy Cross“ sang, kannte die ganze Welt die Rampensau von Gossip. Die Frau, die sich auf der Bühne bis auf die bunt gemusterte Unterwäsche nackig machte; die Frau, die mit 95 Kilogramm für Jean Paul Gaultier über den Laufsteg ging; die Frau, die eine Meinung hat. Mal rülpst sie diese, mal singst sie diese, mal schreibt sie diese auf ein Plakat und geht protestieren. Nach siebzehn Jahren Bandgeschichte veröffentlicht die Musikerin am 16. Juni nun ihr Solo-Debütalbum „Fake Sugar”. Und das ist der herrliche Grund, warum Refinery29 die Chance hatte, mit diesem Original ausführlich zu schnacken. Gefühlt über Gott und die Welt. In Wirklichkeit über Orgasmen und die Welt, über künstliche Befruchtung, lesbische Liebe, Beautystandards und ihren Antihelden Donald Trump.
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Beth, wie wäre es mit einem kleinen Spiel zum Warmwerden? Da dein neues Album „Fake Sugar“ heißt, werfe ich dir Begriffe rund um das Wort fake zu und du haust einfach raus, was dir in den Kopf schießt. Ok?
Oh yeah, ich liebe Spiele. Wir nennen das Spiel zuhause Kürbis, das wird witzig. Also schieß los!
Falsche Brüste.
Pamela Anderson. Ich feier' sie, weil sie sich nie geschämt hat, über das Silikon zu sprechen. Ich finde falsche Brüste voll okay, aber steh dazu und sei ehrlich. Es stehen eben nur wenige Brüste von Natur aus wie eine Eins und haben eigene Persönlichkeiten wie die von Pamela.
Falsche Freunde.
Da sag ich echte Freunde. Ich denke nicht, dass ich jemand unehrliches in meinem Umfeld habe. Ich habe zwar viele Freunde, aber die habe ich schon sehr lange um mich herum. Meine Stylistin habe ich seit meinem ersten Shooting, mein Assistent ist mein bester Freund, meine beste Freundin seit meinem 18. habe ich geheiratet. Ich habe noch viele Freunde aus und in Arkansas von früher.
Vorgetäuschter Orgasmus.
Zeit ist Geld. (lacht) Ich weiß nicht, ob ich jemals einen Orgasmus vorgetäuscht habe?! Neeeeeein. Ich bleib so lang dran, bis es passiert. Frauen wissen, was sie tun. Für mich bedeutet der Orgasmus, dass es zu Ende geht und ich will nicht, dass wir aufhören, deshalb täusche ich auch keinen Orgasmus vor. Sex ist großartig!
Fake News.
Da schießt mir das Wort Faschismus in den Kopf. Es ist schon eine angsteinflößende Zeit. Es ist bitter, welche falschen Informationen herumgeistern. Mein kleiner Neffe hat mir gerade erzählt, dass er mit Wikipedia Referate und Arbeiten schreiben darf. Ich bin ausgeflippt, denn das darf doch keine Quelle in der Schule sein. Jeder kann etwas verfassen und falsche Daten in die Köpfe bringen. Gibt es Fake News über mich? Nur dass Ditto ein Künstlername sei! Hey Leute, ich hätte mir schon einen geileren Namen für die Bühne ausgesucht als Ditto, aber so hieß mein Vater.
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Künstlicher Zucker.
Glitter! Wenn ich Zucker sehe, dann ist er schön glänzend und funkelnd. Bei dem Albumtitel fand ich die Zusammensetzung der beiden Worte einfach toll. Beide Wörter sind stark und sie klingen zusammengesetzt nach meiner Mutter. Künstlicher Zucker ist weder gut noch schlecht. Künstlich kann besser sein als ein Original. Wenn wir jetzt über meine Essgewohnheiten sprechen wollen: Ich versuche, smart zu sein im Umgang mit Zucker. Du kannst nicht dumm sein, er kann dir schaden. Aber hallo, ich rauche ja auch. Lass mir eine Sache, die Spaß macht. (lacht) Ich schweife ab…
Wenn wir jetzt schon beim Thema Essen sind: Auch wenn du vorsichtig mit Zucker bist, sprichst du dich regelmäßig gegen Food-Trends aus…
Mal ist Weißmehl böse, dann der Zucker, dann alle Kohlenhydrate. Ich habe angefangen, nur auf mich selbst zu achten und mache mich frei von gesunden Bewegungen. Es ist wie mit allem im Leben: Wenn du dein Limit kennst, dann passiert auch nichts, iss eben in Maßen, aber verbiete dir nichts. Iss einen verdammten Kuchen an deinem Geburtstag! Es ist mir scheißegal, ob Gwyneth Paltrow auf Zucker verzichtet, ich gebe einen Scheiß drauf, das hat nichts mit mir zu tun.
Du kommst aus den Südstaaten, was ist das Gericht deiner Kindheit?
Ganz klar: Corn Dog! Das Würstchen, das in Maisteighülle in heißem Öl frittiert wird. Aber: Mir tut rotes Fleisch nicht gut, also esse ich es nicht mehr. Und ich bin wirklich sauer deswegen. Können wir über etwas anderes reden, ich will nicht weinen…
Du hast einmal gesagt, dass du bis zu deinem 37. Geburtstag ein Baby möchtest. Das wäre dann in sechs Monaten?!
Das hab ich verkackt! Aber es ist ja wohl immer mehr okay, das erste Baby in den 40ern zu bekommen, also arbeite ich jetzt erst nochmal an meiner Musik und dann am Nachwuchs. Wenn es in den 40ern dann nicht klappt, dann adoptieren wir Kinder. Aber ich würde schon gern ein Kind gebären. Alle meine Geschwister haben Kinder, es gibt gefühlt Millionen Kinder in unserer Familie. Sogar meine jüngste Schwester hat mit ihren 25 Jahren schon zwei Kinder. Ich habe wirklich 13 Nichten und Neffen!
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Wie konkret sind die Babypläne denn bis jetzt, habt ihr bereits mit Doktoren wegen einer künstlichen Befruchtung gesprochen?
Ja, haben wir, aber bis jetzt scheiterte es noch am Sperma. Es ist echt schwer, den richtigen Samenspender zu finden. Wir wollen mein Ei mit dem Sperma eines japanischen Mannes befruchten, da meine Frau halb japanisch und halb chinesisch ist.
Und warum befruchtet ihr nicht die Eizelle von Kristin, wenn euch das Aussehen des Kindes wichtig ist?
Kristin möchte das nicht und ich respektiere das. Eine künstliche Befruchtung bedeutet, dass man sich täglich Hormonspritzen geben muss und dann der Eingriff selbst…Sie mag noch nicht mal ihre Periode, dass da unten dann jemand im Medizinkittel rumhantiert, kommt für sie nicht in Frage. Ich finde das völlig okay, denn ich freue mich auf den Vorgang.
Käme vielleicht jemand aus der Familie als Spender in Frage?
Unmöglich. Kristin hat eine zu kleine Familie. Wenn wir auf Familienfeste gehen, dann sind auf ihrer Seite so sieben Menschen und auf meiner mindestens 37. Auf der letzten Abschlussfeier meiner Nichte haben wir 40 Hamburger gebraten! Und wieder reden wir über essen. (lacht)
Glaubst du, dass es für homosexuelle Paare unter Trump jetzt schwieriger wird, ein Kind zu adoptieren?
Ich glaube nicht. Das Ekel hat seine Aufmerksamkeit zum Glück noch nicht auf das Thema gelegt. Er hat während der Wahlen viel gehetzt, um gewählt zu werden, aber jetzt kümmert er sich um andere Dinge. Zum Glück gab es bisher noch keine wirklichen Änderungen für die LGBTQI-Community, ich denke das bleibt auch so. Ihm geht es doch nur um Geld, das einzige, was der Typ will, sind Deals mit seinen Freunden einfädeln. Es ist widerlich. Und verrückt! Ich meine, die Geschichte mit Russland und dem FBI ist auch so krass. Auf der anderen Seite, wollen wir eben Russland auch nicht als Feind. Ich bin so heilfroh, dass die Wahlen in Frankreich so ausgegangen sind. Ich hatte Angst, dass sich mit der rechtsextremen Marine Le Pen die unglaublich peinliche Geschichte wiederholt, die in Amerika gerade abläuft.
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In Deutschland stehen in diesem Jahr auch Wahlen an, auch bei uns gibt es einen Rechtsruck…
Ich hoffe für euch, dass ihr zu uns schaut und daraus lernt, was für einen Scheiß wir uns eingebrockt haben. Es ist eine peinliche Sauerei, was in und mit unserem Land passiert.
Hast du einen Rat für die deutschen Wähler?
Wollt ihr so dastehen wie wir? Schaut euch die Geschichte an. Schaut ganz genau, was Hetze, Hass und Allianzen angerichtet haben.
Lass uns wieder über etwas Hoffnungsvolles reden: Du hast jahrelang gegen Beautystandards gekämpft und zusammen mit Jean Paul Gaultier deine Plus Size Modekollektion auf den Markt gebracht. Was sagst du dazu, dass Body Positivity nun Zeitgeist ist?
Wir sehen jetzt die wunderschönen Blüten der Blumen, die wir schon vor langer Zeit gesät haben. Diejenigen, die wie ich die Basis der Bewegung darstellen, müssen jetzt gut auf die Blumen aufpassen und sich nicht darauf ausruhen, dass etwas Wundervolles gewachsen ist. Es gibt noch immer Shit Storms oder böse Kommentare zu dicken Frauen. Und wir müssen auch aufpassen, dass wir keinen neuen Körperstandard, kein Ideal vom dick sein erschaffen. Es darf nicht unter schön fett und hässlich fett unterschieden werden. Aber ich sollte die Klappe halten, nicht an die Schattenseiten denken und dankbar sein. Das bin ich nämlich, es ist so geil, dass das Internet für viele zum Zugang für Aktivismus geworden ist. Man kann heute eine kleine Kollektion für Übergrößen rausbringen – auch wenn man keine Ahnung von der akademischen Sprache eines Business’ hat und man keinen College-Abschluss hat. Mich hat das echt lange eingeschüchtert, weil ich eben nicht auf der Wirtschaftsuni war. Ich dachte, ich kann diese Dinge nicht verstehen – ha, und heute habe ich meine eigene Kollektion. Also, um deine Frage endlich konkret zu beantworten: Feminismus ist ein Trend in der Popkultur, ich liebe es, ich bekomme nicht genug davon!
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Du bist beim Finale von „Germany’s Next Topmodel“ aufgetreten. Sprechen solche Formate eigentlich nicht gegen deine Mission der Diversity?
Ich schaue das zwar nicht, aber ich sehe ein, dass es Berufe gibt, in denen man den Körper für Erfolg nutzen kann. Ich denke auch oft darüber nach, ob ich mit einem anderen Körper diese Karriere hingelegt hätte. Ich kritisiere Models nicht für den Druck, den sie zu spüren bekommen oder Mädchen, die bei diesen Shows mitmachen. Ich kritisiere die Menschen mit Macht, denn sie könnten die Industrie besser machen, sie könnten Plus-Size in die Modewelt integrieren. Und das tun sie ja auch nach und nach. Die Welt verändert sich um sie rum. Aber ich will diese dünnen Frauen nicht angreifen, sie sind nicht das Problem. Nicht ein einziges Model hat mir jemals gesagt, dass sie mich ekelhaft findet. Vielleicht denken sie es, aber sie sagen es nicht und deshalb sage ich auch nichts gegen sie. Genau wie ich niemals etwas gegen Sexarbeiter sagen würde. Früher sah ich das anders und habe das nicht verstanden und dann habe ich mich mit so vielen verschiedenen Frauen auseinandergesetzt und mit ihnen geredet. Heute denke ich: Wie kann ich als Feministin andere Frauen für das verurteilen, was sie mit ihrem Körper machen?
Man muss die Models nicht verurteilen, aber darf sich schon mehr Facetten und Möglichkeiten für Frauen jenseits gängiger Schönheitsideale wünschen…
Absolut. Und zwar nicht nur bezogen auf Kleidergrößen. Sondern ich wünsche mir Chancen für alle Hautfarben, Kulturen und Talente.

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