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Was der „Tod“ der Skinny Jeans für mich als dicke Frau bedeutet

Foto: bereitgestellt von Marie Southard Ospina.
2021 war bisher voller Überraschungen. Ich hätte vorher zum Beispiel nie erwartet, dass Europa über ein Jahr nach seinem ersten Coronafall immer noch weitestgehend im Lockdown steckt oder Donald Trump tatsächlich mal von Twitter verbannt werden würde. Noch schockierender fand ich aber die News, dass Generation Z nicht bloß Seitenscheitel und den Freudentränen-Emoji gecancelt hat, sondern jetzt auch die Skinny Jeans. Yep – TikTok-Teens haben soeben das Ende einer modischen Ära verkündet, die mich schon seit meiner Oberschulzeit begleitet. Dabei ist die Skinny Jeans für mich als übergewichtige Frau und ehemals auch übergewichtige Teenagerin so viel mehr als nur ein Trend, den wir jetzt einfach abhaken können.
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Als die stretchy, hautenge Hose zuerst überall auftauchte, war mein körperliches Selbstbewusstsein auf dem Nullpunkt. Ich gab mir alle Mühe, meine Kurven unter zeltartigen Kleidern und weiten, olivfarbenen Baggypants zu verstecken. Damals redete ich mir ein, Letzteres sei einfach inspiriert von Lindsay Lohans Look in Freaky Friday. Dabei wusste ich eigentlich genau, dass ich meinen Körper in jeder Menge Stoff verstecken wollte, weil ich mich für ihn schämte.
Erst, als Skinny Jeans zum Trend wurden, erlaubte ich es mir selbst, meine Figur in hautenge Klamotten zu hüllen. Ich weiß noch genau, wie ich mir in einem Goth-Laden meine erste Skinny Jeans kaufte: Sie war schwarz mit dünnen, roten Streifen. Um den Look zu perfektionieren, gönnte ich mir dazu noch einen Nietengürtel. Ich erinnere mich, wie anders ich mich in dieser Hose fühlte: Durch das Stretch-Material trug sie sich so anders als die steifen Bootcut-Jeans, die ich mir immer in der „Große Größen“-Abteilung im Lieblings-Kaufhaus meiner Mom geholt hatte. Sie war auch so weich. Ich fühlte mich fast… wohl.
Seit Gen Z die Skinny Jeans für „over“ erklärt hat, ist mir eins bewusst geworden: Viele Plus-Size-Frauen verbinden diesen Style mit einem Wendepunkt ihres eigenen Körpergefühls. Für die Teenies von heute kann die Skinny Jeans in Sachen Coolness vielleicht nicht mit Schlaghosen à la 1970er mithalten – für viele von uns wird sie aber immer ihren emotionalen Wert behalten, weil sie uns beibrachte, unsere Figur zu lieben wie nie zuvor.
Da wird mir sicher nicht jede:r zustimmen, aber ich glaube, die Beliebtheit der Skinny Jeans begann vor allem in der alternativen Community. An meiner Schule trugen sie jedenfalls die Emos, Goths, Punks und Co., bevor sie die „Coolen“ für sich entdeckten. Und genau deswegen fühlte ich mich mit dem Trend vielleicht auch so wohl: Ich war ja durch mein Gewicht eh schon eine Außenseiterin. Warum sollte ich also nicht mit den typischen Außenseiter-Klamotten rumexperimentieren?
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Und mit dieser Erfahrung bin ich nicht alleine: Ich habe mich mal umgehört. Tatsächlich bedeutet die Skinny Jeans zahlreichen Plus-Size-Frauen genauso viel wie mir – Rebecca zum Beispiel. „Ich denke, Skinny Jeans gehörten einfach zu der Szene, in der ich groß wurde und waren ein wichtiger Teil davon, wie ich mich der Welt zeigen wollte.“ Ihr Lieblings-Outfit von damals ist dasselbe wie meins: hautenge Jeans, Band-T-Shirt, Kapuzenpulli. „Mir ist total egal, ob ein Trend inzwischen ‚out‘ ist. Ich werd das trotzdem weiter tragen“, betont sie. „Meine Figur war auch nie ‚in‘. Warum sollte es mich also kümmern, was andere denken?“
Für andere war der dehnbare Stoff der Hose das Reizvolle daran. Carolyn erzählt mir: „Meiner Meinung nach gab’s das vorher in Denim noch nicht. Dicke Körper bewegen sich völlig anders – und normale Jeans dehnen sich dafür einfach nicht genug.“ Für sie brachte die Skinny Jeans auch ganz neue Kombinationsmöglichkeiten: „Die Hose fühlte (und fühlt) sich für mich einfach irgendwie befreiend an – denn obwohl sie eine totale Alltagshose ist, kann sie, je nach Outfit, auch schick oder superlässig aussehen. Vor der Skinny Jeans hatte ich immer das Gefühl, overdressed aussehen zu müssen, um einigermaßen präsentabel zu sein. Mit dieser Jeans und einem Pulli bin ich aber in fünf Minuten fertig und trage ein Outfit, das jede:r so tragen könnte. Ich fühle mich weniger ‚auffällig‘ – und das ist mir echt wichtig, weil ich seit über 30 Jahren von anderen dafür verurteilt werde, wie ich meinen dicken Körper kleide.“
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Und auch für May bedeutete die Skinny Jeans eine Veränderung ihres Selbstbilds. „Körperbetontere Klamotten sorgten dafür, dass ich meine Figur plötzlich selbst ganz anders sah und weniger das Gefühl hatte, mich für andere zu kleiden“, erklärt sie. „Als ich jünger war, mochte ich meine Outfits zwar und hatte auch immer den Eindruck, meine Klamotten drückten meinen Charakter ganz gut aus. Im Nachhinein glaube ich aber, dass ich mich bloß nicht traute, figurbetonte Sachen zu tragen. Zwar habe ich immer einen selbstbewussten Style gehabt, bin aber doch meistens den typischen ‚Moderegeln‘ für Plus-Size-Figuren gefolgt. Die Skinny Jeans war für mich der Zugang zu körperbetonterer Mode.“ Obwohl May den Skinny-Jeans-Look zwar liebt, muss sie aber auch gestehen: Sie findet die Hose weder sonderlich bequem noch praktisch. Zum Glück hat sich die Plus-Size-Branche in den letzten Jahren aber so weiterentwickelt, dass sie inzwischen genug andere Klamotten zur Auswahl hat, die ihrer Figur gut stehen und gemütlich sind. 
Und natürlich haben auch nicht alle dicken Frauen eine märchenhafte Beziehung zu den hautengen Jeans. Kaomi zum Beispiel sieht das Ganze etwas komplizierter. „Als Teenagerin habe ich immer weite Jeans und Schlaghosen getragen, um meine fülligen Oberschenkel zu kaschieren. Erst in meinen frühen 20ern traute ich mich, Skinny Jeans auszuprobieren – und ich kann seitdem nicht mehr auf sie verzichten.“ Sie trug die Jeans in Clubs, in Restaurants, beim Spazierengehen und Chillen. Und trotzdem: „Ich liebe den Schnitt und das Tragegefühl – aber mit meinen Oberschenkeln rieb ich trotzdem immer wieder Löcher in den Stoff“, meint sie. Das gilt zwar nicht nur für Skinny Jeans – aber genau das sollte der Modeindustrie eigentlich zu denken geben. „Ich finde, Frauenjeans brauchen ein besseres Größensystem, vielleicht mit drei Maßen für die Beinlänge, den Hüft- und Taillenumfang, und definitiv dickeren Stoff an den Oberschenkeln. Für uns dickere Frauen wäre das ein echter Gamechanger.“
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Und auch der Name der Hose an sich ist fragwürdig, wenn man mal drüber nachdenkt. „Skinny“, also „magere“, Jeans implizieren eine sehr bestimmte Zielgruppe – zu der Plus-Size-Körper eindeutig nicht gehören. „Mit dem ‚Skinny‘ hatte ich damals schon so meine Probleme, konnte aber nicht genau sagen, woran das lag“, meint Caroline. „Im Nachhinein weiß ich: Der Name gab mir das Gefühl, etwas zu tragen, was nicht für mich bestimmt war. Und ich bin mir sicher, dass das damals in Zeitschriften auch unterschwellig so vermittelt wurde. Aber wenn ihr bequeme Jeans in meiner Größe herstellt, dann werd ich die verdammt nochmal tragen!“
Kaomi hatte früher ebenfalls das Gefühl, eine Art „Hochstaplerin“ zu sein, die Jeans trug, die zumindest vom Namen her nicht für sie geschaffen waren. Dennoch liebt sie ihre Skinny Jeans – und hofft auf eine Zukunft, in der die Hosen (und prinzipiell alle Jeans) dort verstärkt werden, wo unsere Körper ein bisschen mehr Halt gebrauchen könnten. Außerdem ist sie sich sicher, dass der Kreislauf der Modetrends immer dafür sorgen wird, dass die Skinny Jeans früher oder später in die Läden zurückkehren wird – selbst wenn sie jetzt, auf Geheiß der Gen Z, erstmal verschwinden sollte.
Und solange werden wir die Skinny Jeans weiter tragen, meint auch das britische Model Em Smyth, obwohl sie anfangs einen weiten Bogen um den Trend machte. „Ich ging davon aus, dass dieser gequetschte Look mich aussehen lassen würde wie eine Denim-Wurst“, meint sie, „und dass die ganzen Körperzonen, die ich jahrzehntelang versteckt hatte – meine Hüften, meine Oberschenkel, mein Po –, plötzlich im Rampenlicht stehen würden.“ Trotzdem ist sie heute treue Anhängerin der Skinny Jeans: „Und hier bin ich jetzt, im Jahr 2021, mit einem ganzen Schrank voller Skinny Jeans in jeder Farbe, für jeden Anlass“, erzählt sie. „Das ergab sich so, als ich mehr Selbstbewusstsein entwickelte und begriff, dass ich mich für mich anziehe, nicht für die Fremden auf der Straße. Noch dazu ist die Skinny Jeans das nützlichste, vielseitigste Kleidungsstück überhaupt, und ich sehe darin einfach grandios aus. Wenn ich schon eine Denim-Wurst bin, dann aber eindeutig eine echt heiße.“

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