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Warum ich im 1. Trimester so einsam war wie nie zuvor

Foto: Ashley Armitage.
Bei den meisten sieht man bis zum dritten Monat absolut nichts. Wenn du dich also nicht gerade regelmäßig übergeben musst oder auf einmal auf Sushi und Alkohol verzichtest, wird wahrscheinlich niemand vermuten, dass in deinem Bauch ein Baby heranwächst. Passt gut, klar, denn in den ersten zwölf Wochen, so wird es Schwangeren in der Regel geraten, solltest du eh niemandem von der Schwangerschaft zu erzählen.
Diese Handhabung ist nicht nur fragwürdig (weil stigmatisierend), sondern für die meisten Schwangeren auch absolut kontraintuitiv, denn höchstwahrscheinlich würdest du am liebsten den ganzen Tag über nichts anderes als deine Schwangerschaft reden. Und das ist auch ganz logisch und natürlich – schließlich trägst du ein menschliches Wesen in dir herum!
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Trotzdem sollst du dich zurückhalten, bis die ersten drei Monate überstanden sind und die Gesundheit des Kindes sichergestellt ist. Das ist nicht nur eine ganz schön verzwickte Situation, sondern auch ein Bilderbuchbeispiel für ein durch unsere Kultur erzwungenes Phänomen. Es ist einfach makaber, dass die Gesellschaft von uns erwartet, nichts zu sagen, so lange die Möglichkeit einer Fehlgeburt besteht. Der absurde Gedanke dahinter? Wenn du eine Fehlgeburt erleidest oder aus gesundheitlichen Gründen erst später abtreibst, müsstest du allen das Unerklärbare erklären: deine unermessliche Verzweiflung. Die unterschwellige Botschaft, die hier mitschwingt, lautet: Natürlich würde es dir richtig dreckig gehen, wenn du dein Baby verlierst, aber überleg doch mal, wie sich erst deine armen Kolleg*innen, Freund*innen und Familienmitglieder fühlen würden! Du wirst sie doch nicht etwa mit deinen privaten Problemen belasten wollen, oder? Das wäre ja unerhört!
Allein die Möglichkeit einer Fehlgeburt zwingt dich dazu, zu realisieren, dass du jetzt ganz auf dich gestellt bist und nur wenig Kontrolle darüber hast, was in deinem Körper passiert. Du kannst dich noch so gesund ernähren und auf rohen Fisch, weichen Käse, Mousse au Chocolat, Wein und Co. verzichten, und trotzdem kann etwas schiefgehen. Weil dein Körper (noch) nicht bereit für ein Baby war. Oder deine Psyche. Oder, weil du einfach nur ganz großes Pech hast.
Ich bin ehrlich gesagt ein kleines Plappermaul, aber mein Ehemann wollte unsere Neuigkeiten erst auf unseren Social-Media-Kanälen kommunizieren, wenn wir das erste Trimester überstanden haben. Und ich habe seinen Wunsch respektiert. Allerdings erzählte ich ziemlich vielen Leuten persönlich von dem winzigen Alien, der in mir heranwuchs: Kellner*innen, Bekannten, Taxifahrer*innen – eben all den Menschen, bei den es ganz offensichtlich auf der Hand lag. Auf der einen Seite hatte ich das Gefühl, mein blasses, krank aussehendes Gesicht erklären zu müssen; auf der anderen Seite wollte ich einfach nicht die Einzige sein, die diese ganz schön große Sache mit sich herumträgt (buchstäblich).
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Als ich herausfand, dass ich schwanger bin, schwebte ich auf Wolke Sieben. Ich fühlte mich beschwingt, superglücklich und energiegeladen. Ich bin schwanger!!! Das hatte ich mir so lange gewünscht und jetzt war mein Traum endlich Realität geworden. Ich war bereit dazu, eine Mutter zu werden und die Welt durch die winzigen Augen eines kleinen Menschen neu zu entdecken. Durch Augen, deren Sicht hoffentlich nicht wie bei mir durch eine Hornhautverkrümmung getrübt werden.

Stell dir vor, du wärst monatelang seekrank.

Eine Woche später, als ich fünf Wochen und zwei Tage schwanger war, wurde aus dem Feuerwerk der Amphetamine permanente Müdigkeit und lähmende Übelkeit. Und das ohne jede Vorwarnung. Von Morgenübelkeit hatte ich natürlich schon mal etwas gehört. Ich wusste auch, dass der Begriff irreführend ist, weil es dich nicht nur (wie es in Hollywoodfilmen immer so total lustig dargestellt wird) früh, sondern jederzeit überkommen kann. Aber ich hatte ja keine Ahnung, wie beschissen es mir gehen würde. 15 der 16 Stunden, die ich am Tag wach war, verbrachte ich mit unerträglicher Übelkeit. Darauf war ich wirklich nicht vorbereitet. Stell dir vor, du wärst monatelang seekrank. Dann hast du eine ungefähre Idee davon, wie es mir ging.
Ich wurde von Nausea-Wellen überrollt, die ich nur überstand, wenn ich mich in Embryonalstellung aufs Sofa oder ins Bett legte und laut jammerte (jammern und stöhnen half mir tatsächlich ganz gut). Dazu kamen schreckliche Heulanfälle und extreme, tagelange Verstopfungen. Ach und wie konnte ich sie nur vergessen: Dysgeusie. Eine seltene Geschmacksstörung, die genauso eklig ist, wie sie klingt, weil du permanent einen metallischen, Abwasser- und Verwesungsgeschmack im Mund hast. Die Freuden der Schwangerschaft…
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Auch, wenn ich die sexistische Verspottung von Frauen, die sich „hormongesteuert“ verhalten, zum Kotzen finde, muss ich zugeben, manchmal in Tränen ausgebrochen zu sein – besonders nach tagelang anhaltendem Brechreiz. Stundenlang saß ich einfach nur da und heulte. (Wobei ich mich im Nachhinein wirklich frage, was da los war. Ich bin keine Heulsuse. Ich bin schließlich ein Steinbock! Und ich bin, zum Erstaunen meiner extrem von Ängsten geplagten Eltern, emotional eigentlich sehr stabil.)
Immer, wenn mein Ehemann nach Hause kam und ich wie ein Häufchen Elend vor mich hin weinte, wollte ich ihm erklären, was in mir vorgeht. Aber das konnte ich nicht. Es gab keinen Auslöser, keinen Grund. Er nahm mich in den Arm und versuchte, mich zu beruhigen, während ich leise vor mir her schluchzte: „Ich weiß, du denkst, ich übertreibe. Aber das mache ich nicht. Ich fühle mich so unglaublich schrecklich und hilflos!“. Wenn er entgegnete, dass er mir natürlich glaubt, kam das nicht wirklich bei mir an. Meine ohnehin schon verquollenen Augen kniff ich zusammen und schaute ihn ungläubig an, während ich weiter bitterlich weinte. Tief in mir drin wusste ich, dass er dachte, ich wäre eine Drama Queen. Ein hormongeladenes, niedergeschlagenes, verzweifeltes Wrack. Eine leere Hülle meiner Selbst. Weil ich keine äußerlichen Symptome hatte – keine Beulenpest, kein gebrochenes Bein –, sah man mir nicht an, was mir fehlte. Wieso ich so emotional war. Dadurch fühlte ich mich furchtbar einsam. Ich meine, wenn du Windpocken oder eine Grippe hast, dann bist du damit wenigstens nicht allein. Selbst, wenn du die einzige Person bist, die es im Freundeskreis getroffen hat, können sich die anderen wenigstens in dich hineinversetzen, weil sie das auch schon mal durchgemacht haben.
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Ich glaube, der Hauptgrund dafür, dass die wenigsten Schwangeren berichten, wie grauenvoll die ersten drei Monate sein können, ist folgender: Wenn es endlich soweit ist, dass sie der Welt von der Schwangerschaft erzählen dürfen, haben sie das Schlimmste (das erste Trimester) schon hinter sich. Dieses sagenhafte Gefühl der Erlösung und Erleichterung, wenn du dein Glück endlich mit anderen teilen darfst, löscht die letzten qualvollen Wochen einfach aus. Als ob die vielen Stunden, die du zusammengekauert auf dem Badvorleger gelegen hast, nie geschehen wären.

Die Wahrheit über das erste Trimester

Vor meiner eigenen Schwangerschaft hatte ich keinen blassen Schimmer davon, was mich im ersten Trimester wirklich erwartet. Deshalb wollte ich meine Erfahrungen teilen, damit alle, die gerade schwanger sind, sich ein bisschen weniger allein fühlen und alle, die überlegen ein Kind zu bekommen, wissen, worauf sie sich einlassen. Wobei ich natürlich betonen muss, dass nicht alle Schwangeren dieselben Erfahrungen machen. Manchen ging es noch deutlich schlimmer als mir, anderen dagegen viel besser.
Nichtsdestotrotz finde ich, die ganzen Mama-Blogs, die seit ein paar Jahren wie Pilze aus dem Boden schießen, extrem einseitig. Meine Schwangerschaft war kein Spaziergang. Sie war alles andere als magisch und ich habe mich auch nicht wie eine Göttin gefühlt. Im ersten Trimester fühlte ich mich unglaublich einsam und isoliert. Oder anders gesagt: Es war buchstäblich zum Kotzen. Die folgenden drei Monate wurde es dann zum Glück aber deutlich besser. Ich hatte endlich wieder Kraft und Energie und konnte die Bewegungen des kleinen Würmchens in meinem Bauch tatsächlich genießen. Danach ging es aber leider wieder bergab, denn im letzten Trimester musste ich mich neuen Herausforderungen Beschwerden stellen, die ich so auch nicht erwartet hatte. Aber es half ja nix – irgendwie musste ich das ja alles durchstehen. Allein. Und eins steht fest: Egal, wie viele Bücher, Magazine und Blogs du liest, egal wie viele Podcasts du hörst und wie viele Tutorials du siehst: Du weißt erst wie es sich anfühlt, schwanger zu sein, wenn du es selbst bist.
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Ich bereue, die Story nicht schon in meinem ersten Trimester geschrieben zu haben, sondern erst kurz vor der Geburt meines Sohns. Aber es gab keine auch nur ansatzweise kreative Ader in meinem Körper während der ersten zwölf Wochen – der psychisch und physisch dunkelsten Wochen meines Lebens. Ironischerweise untermauert aber genau das die Aussage des Artikels: Als ich endlich wieder fit genug zum Schreiben war, war ich schon mitten im zweiten Trimester und realisierte, dass die Hölle, durch die ich gerade gegangen war, für mich gar nicht mehr richtig greifbar war. Bleibt zu hoffen, dass es sich was die Schmerzen bei der Geburt angeht ähnlich verhält. Falls nicht würde schließlich niemand freiwillig ein zweites Kind bekommen, oder?
Seitdem ich von meiner Schwangerschaft wusste, habe ich meinem Baby jede Woche einen kleinen Liebesbrief geschrieben. Die ersten waren voller pathetischer, sentimentaler Phrasen, aber an einem bestimmten Punkt im ersten Trimester, konnte ich einfach nicht mehr. Und dann entstanden Briefe wie dieser:
„Hallo du, früher mochte ich dich. Wirklich. Aber die letzten Wochen waren die Hölle. Was habe ich dir nur getan? Hasst du den Namen, den wir für dich ausgesucht haben so sehr? Ich ändere ihn. Magst du deinen Vater nicht? ICH VERLASSE IHN! Ich mach alles. Aber bitte, bitte mach, dass ich mich wieder wie ein Mensch fühle.
Nichtsdestotrotz liebe ich dich natürlich über alles – trotz deiner Launen und deiner ziemlich wahrscheinlich sadistischen Ader.
In ewiger Liebe,
deine komplett überlastete Mama (MAMA!!!)“

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