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Wie Zähneknirschen meine Beziehung ruiniert

Foto: Michael Beckert
Es ist 1:30 Uhr. Ich liege wach, obwohl ich hundemüde bin. Der Grund? Mein Verlobter knirscht mit den Zähnen und dieses furchtbare Geräusch lässt mir keine Ruhe.
R. hat keine Ahnung davon, was gerade passiert und schläft friedlich mit unserem Hund neben seinen Beinen zusammengerollt vor sich hin. Deshalb kann ich es einfach nicht über mich bringen, ihn aufzuwecken. Deshalb drehe ich mich um, atme tief ein und aus und versuche, sein Knirschen zu ignorieren, aber es gelingt mir einfach nicht. Langsam macht sich Wut in mir breit und ich trete ihm schnell mal eben gegen sein Schienbein.
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Zähneknirschen oder Schlafbruxismus ist seit Beginn der Pandemie auf dem Vormarsch (obwohl R. seit seiner Kindheit darunter leidet). Es gibt keine eindeutige Ursache dafür, aber es ist wahrscheinlich auf den Anstieg des allgemeinen Stressniveaus zurückzuführen, was Verspannungen im Nacken und im Kiefer verursacht, die sich im Mund manifestieren. Nach Angaben von Forscher:innen der Universität Tel Aviv (TAU) leiden Frauen häufiger unter diesen Symptomen als Männer, und 35- bis 55-Jährige sind am stärksten betroffen.
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Zähneknirschen und Kieferpressen können zu unbeschreiblichen Zahnproblemen führen, vor allem, wenn es nachts dazu kommt. Eine schlafende Person ist sich ihrer Bisskraft nämlich nicht bewusst (und kann sie nicht richtig kontrollieren). Das bedeutet, dass sie ihre Zähne mit einer zehnmal stärkeren Kraft als beim normalen Kauen zusammenbeißt. Jahrelanges hartnäckiges, unwillkürliches Knirschen kann die Zähne schädigen, Kieferbeschwerden verursachen und zu Kopfschmerzen führen. Zum Glück hatte R. bisher keine Nebenwirkungen. Dafür bekommt er aber zu spüren – mehr, als ihm lieb ist –, wie sehr es mich ärgert, dass ich wegen seines Knirschens oft kein Auge zubekomme.
Eine wichtige und wenig erforschte Nebenwirkung von Bruxismus im Schlaf ist die Belastung, die er für eine Beziehung darstellt. Zähneknirschen kann sie ernsthaft beeinträchtigen. Das ist ja auch kein Wunder: Während eine Person friedlich schläft, kommt die andere nicht dazu, sich auszuruhen. So baut sich Frustration auf und kann sich schädlich auf die Dynamik zwischen Partner:innen auswirken.
Die Bedeutung von Schlaf in Beziehungen ist gut belegt. Eine Studie aus dem Jahr 2017 untersuchte den Zusammenhang zwischen Schlaf und dem Beziehungszufriedenheitsgrad bei einer Gruppe von 68 frisch verheirateten Paaren. Sie ergab, dass „die Ehepartner:innen an Tagen, an denen sie die Nacht davor länger geschlafen hatten, zufriedener waren“. Wenn erholsamer Schlaf mit einem warmen Bad zum Entspannen und Auftanken am Ende eines Tages verglichen werden kann, dann ist Schlafmangel so wie eine ständige Eisdusche. Und ein zähneknirschender Partner wie R. ist derjenige, der den Eimer voller Eis ausleert.
Mit jeder Nacht, während der ich nicht schlafen kann, werde ich wütender und wütender auf R.; das hat zwei Gründe: Erstens versteht R. nicht, wie schlimm die Sache wirklich ist. Ich habe versucht, ihn während der Nacht aufzunehmen, aber er hört immer dann mit dem Knirschen auf, sobald ich mein Handy in die Hand nehme. „So schlimm kann es doch nicht sein“, sagt er morgens, während meine roten Augen auf seine Kieferpartie gerichtet sind. Entweder hat er einfach kein Mitgefühl oder er glaubt mir nicht. Um ehrlich zu sein, fühle ich mich ein bisschen gegaslightet. Bilde ich mir das nur ein? Ist das Geknirsche wirklich so schlimm?
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Zweitens, und das ist wahrscheinlich noch schlimmer, habe ich im Laufe der Zeit eine Abneigung gegen gewisse Geräusche entwickelt, weil ich dieses nächtliche Zähneknirschen seit bereits zehn Jahren ertragen muss. Es ist ja klar – wenn nicht sogar vernünftig –, dass mein Gehirn negativ auf solch ein Geräusch reagiert (zumindest rede ich mir das ein). Was eine große Rolle in diesem Zusammenhang spielt, ist meine Misophonie. Dabei handelt es sich um eine Fixierung, die mit einer intensiven Angst vor Geräuschen verbunden ist. Ich leide seit meiner Kindheit daran. Geräusche, die aus dem Mund einer Person kommen, sind meine größten Auslöser. Ich kann das Ganze am besten so beschreiben: Wenn ich ein Geräusch höre, das mich triggert (das kann alles sein), macht sich ein Schrecken in mir breit, der im Magen beginnt und in den Ohren endet und sich so intensiv anfühlt, dass ich mir am liebsten die Haare ausreißen möchte. Versuch einmal, wieder einzuschlafen, wenn du dich so fühlst.
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Wenn du gut schläfst, funktioniert die Amygdala (der Teil des Gehirns, der Emotionen mit Erinnerungen verknüpft) so, wie sie sollte. Eine Studie aus dem Jahr 2013 bestätigte eine Verbindung zwischen der Aktivität der Amygdala bei Menschen, die schlecht schlafen, mit Depressionen und Stress während des Tages. In meinem Fall bedeutet das: Der Tag beginnt und R. wacht ausgeruht auf und ist bereit für den Tag. Währenddessen geht mein Teufelskreis weiter und ich lasse meine Frustration darüber immer wieder an ihm aus. „Die Wahrheit ist, dass schlechter Schlaf eine Beziehung belastet. Alltäglicher Beziehungsstress und Herausforderungen wiederum können sich negativ auf unseren Schlaf auswirken“, erklären die Schlafexpert:innen Jason Wooden und Kristal McKinney.
„Besorg ihm eine Zahnschiene“, raten mir Freund:innen. Das haben wir ausprobiert. Sie ist zwar gut für die Zähne, aber ändert nicht unbedingt etwas am Geräusch. „Eine Schiene hält Patient:innen nicht davon ab, mit den Zähnen zu knirschen, aber sie schützt die Zähne und das Gelenk“, sagt Zahnärztin Dr. Yanell Innabi-Danial. Außerdem können individuell angepasste Schienen sehr teuer sein und eignen sich nicht unbedingt für alle. Getrennt zu schlafen, wäre ein anderer Lösungsversuch. Niemand von uns beiden hat aber Bock darauf, auf dem Sofa zu schlafen und ein Extra-Zimmer haben wir nicht.
Was bleibt uns also übrig? Uns zu trennen? Das kommt nicht in Frage. Trotz allem, was du bisher gelesen hast, ist uns beiden Liebe wichtiger als Schlaf oder unerträgliche Geräusche, die aus dem Mund anderer kommen. Wie bei den meisten Konflikten, die Paare so haben, ist eine Therapie wahrscheinlich die beste Option in dieser Situation. „Wenn du eine Schlafkrise hast, ist es möglich, dass du mit mehr zu kämpfen hast, als du vielleicht denkst“, schreiben Wooden und McKinney. „Chronischer Schlafverlust kann sich negativ auf die besten Beziehungen auswirken, während alltäglicher Beziehungsstress und Probleme den Schlaf wiederum beeinträchtigen können.“ R. wird versuchen, der Ursache seines Schlafbruxismus auf den Grund zu gehen, und ich werde Wege finden, mit meiner intensiven Misophonie umgehen zu lernen. Gemeinsam werden wir schon wieder einen Weg finden, damit sich unser Bettgeflüster wieder in die richtige Richtung entwickelt.

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